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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Vorstellung machen zu wollen, die ihre Stelle in der Kunstgeschichte einnehmen
könnte, würde wol eine vergebliche Mühe sein. Die Ausdrücke akademisch und
naturalistisch, symbolisch und realistisch u. s. w. haben einen bestimmten Inhalt
und sind daher allgemein verständlich. Mit dem Ausdruck "Romantik" dagegen
wird für die Malerei nicht viel gewonnen.

Der Ausdruck findet seinen bestimmten Sinn nur in der Literatur. Ro¬
mantisch nennt man den Charakter der romanischen Literatur, wie er sich dem
modernen Bewußtsein im Gegensatz gegen unsre eignen Vorstellungen, gegen
die classische Poesie und gegen die specifisch deutsche Literatur darstellt. Wenn
Wieland in einer Zeit, wo jener Ausdruck noch kein Stichwort für die.literari¬
schen Kämpfe geworden war, die Musen auffordert, ihm den Hippogryphen zu
satteln zum Ritt ins alte romantische Land, so meint er damit die Fabelwelt,
welche den Stoff der romanischen Dichter ausgemacht hatte. Daß er an eine
eigentliche romantische Behandlung nicht dachte, zeigen schon die Gottheiten,
die er anrief. Erst mit der sogenannten romantischen Schule kam das Be¬
streben aus, mit Bewußtsein im Sinn eines vergangenen Zeitalters zu dichten.
Wenn man bisher eine'fremde Literatur nachgeahmt hatte, so war es immer
im Gefühl geschehen, daß man es mit einer überlegenen Bildung zu thun habe:
so war bald die antike, bald die französische, bald die italienische Literatur
ein Vorbild der übrigen Nationen gewesen. In diesem Fall aber wußte man
sehr wohl, daß man den romanischen Dichtern an Bildung überlegen war;
man ahmte sie nach, nicht wegen der Bildung ihres Geistes, sondern weil ihr
Geist den wahrhaft Gebildeten interessanter war, als die moderne Bildung selbst.
Dies war allerdings eine Methode der Production, wie sie wenigstens in aus¬
gedehntem Maße in der Geschichte der Literatur noch gar nicht vorgekommen
war, und daraus erklärt sich auch der doppelte Begriff, der sich sogleich in dem
Ausdruck Romantik einführte: indem man nämlich einmal nur den Charakter
des nachgebildeten Gegenstandes ins Auge faßte, dann aber die Art und Weise
der Nachbildung.

Es ergibt sich von selbst, daß eine solche Vermischung zweier Vorstellungen
auch bei der gedankenlosen Methode unsrer Aesthetiker nur dann möglich war^
wenn zwischen beiden eine gewisse Verwandtschaft stattfand. Der Proceß, in
welchem die romanischen Völker sich die von den Römern überkommene religiöse
und ästhetische Bildung asstmilirten, hat in der That eine gewisse' Ähnlichkeit
mit demjenigen, durch welchen unsre romantische Schule die romanische Vor¬
stellungsweise wieder einbürgern wollte, nur daß der erste naiv und unbewußt,
der zweite dagegen durch die Vermittlung der Reflexion erfolgte. Zwar ist
auch bei den germanischen Völkern in der Christianisirung altheidnischer Mythen
und in der Germanisirung antiker Vorstellungen eine Analogie jenes Processes
vorhanden; aber indem die Germanen in Deutschland und England ihre


Vorstellung machen zu wollen, die ihre Stelle in der Kunstgeschichte einnehmen
könnte, würde wol eine vergebliche Mühe sein. Die Ausdrücke akademisch und
naturalistisch, symbolisch und realistisch u. s. w. haben einen bestimmten Inhalt
und sind daher allgemein verständlich. Mit dem Ausdruck „Romantik" dagegen
wird für die Malerei nicht viel gewonnen.

Der Ausdruck findet seinen bestimmten Sinn nur in der Literatur. Ro¬
mantisch nennt man den Charakter der romanischen Literatur, wie er sich dem
modernen Bewußtsein im Gegensatz gegen unsre eignen Vorstellungen, gegen
die classische Poesie und gegen die specifisch deutsche Literatur darstellt. Wenn
Wieland in einer Zeit, wo jener Ausdruck noch kein Stichwort für die.literari¬
schen Kämpfe geworden war, die Musen auffordert, ihm den Hippogryphen zu
satteln zum Ritt ins alte romantische Land, so meint er damit die Fabelwelt,
welche den Stoff der romanischen Dichter ausgemacht hatte. Daß er an eine
eigentliche romantische Behandlung nicht dachte, zeigen schon die Gottheiten,
die er anrief. Erst mit der sogenannten romantischen Schule kam das Be¬
streben aus, mit Bewußtsein im Sinn eines vergangenen Zeitalters zu dichten.
Wenn man bisher eine'fremde Literatur nachgeahmt hatte, so war es immer
im Gefühl geschehen, daß man es mit einer überlegenen Bildung zu thun habe:
so war bald die antike, bald die französische, bald die italienische Literatur
ein Vorbild der übrigen Nationen gewesen. In diesem Fall aber wußte man
sehr wohl, daß man den romanischen Dichtern an Bildung überlegen war;
man ahmte sie nach, nicht wegen der Bildung ihres Geistes, sondern weil ihr
Geist den wahrhaft Gebildeten interessanter war, als die moderne Bildung selbst.
Dies war allerdings eine Methode der Production, wie sie wenigstens in aus¬
gedehntem Maße in der Geschichte der Literatur noch gar nicht vorgekommen
war, und daraus erklärt sich auch der doppelte Begriff, der sich sogleich in dem
Ausdruck Romantik einführte: indem man nämlich einmal nur den Charakter
des nachgebildeten Gegenstandes ins Auge faßte, dann aber die Art und Weise
der Nachbildung.

Es ergibt sich von selbst, daß eine solche Vermischung zweier Vorstellungen
auch bei der gedankenlosen Methode unsrer Aesthetiker nur dann möglich war^
wenn zwischen beiden eine gewisse Verwandtschaft stattfand. Der Proceß, in
welchem die romanischen Völker sich die von den Römern überkommene religiöse
und ästhetische Bildung asstmilirten, hat in der That eine gewisse' Ähnlichkeit
mit demjenigen, durch welchen unsre romantische Schule die romanische Vor¬
stellungsweise wieder einbürgern wollte, nur daß der erste naiv und unbewußt,
der zweite dagegen durch die Vermittlung der Reflexion erfolgte. Zwar ist
auch bei den germanischen Völkern in der Christianisirung altheidnischer Mythen
und in der Germanisirung antiker Vorstellungen eine Analogie jenes Processes
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/50>, abgerufen am 22.07.2024.