Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.über in die Nacht der Phantastik zu stürzen, sondern aufkläre, durchgebildete und Der schwierigste Punkt dabei ist immer die Religion. Wenn der Staat Dies führt uns auf den dritten Punkt unsrer Anforderungen an Oestreich. über in die Nacht der Phantastik zu stürzen, sondern aufkläre, durchgebildete und Der schwierigste Punkt dabei ist immer die Religion. Wenn der Staat Dies führt uns auf den dritten Punkt unsrer Anforderungen an Oestreich. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98768"/> <p xml:id="ID_1436" prev="#ID_1435"> über in die Nacht der Phantastik zu stürzen, sondern aufkläre, durchgebildete und<lb/> einsichtsvolle Schulmänner, wie sie für die mittlere Schicht der Bildung noth¬<lb/> wendig sind. Die Negierung darf deshalb keineswegs in die bisherigen geist¬<lb/> lichen Schulen eingreifen, sie darf nur Concurrenzschulen errichten und der<lb/> Concurrenz erprobter Schulmänner freien Spielraum eröffnen; alles Andre<lb/> wird sich von selbst machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1437"> Der schwierigste Punkt dabei ist immer die Religion. Wenn der Staat<lb/> sich nicht entschließt, protestantische Lehrer anzustellen, so ist jeder Versuch einer<lb/> Schulreform für den Augenblick unmöglich, weil sich die nöthige Anzahl katho¬<lb/> lischer Lehrer für ein Gymnasium im norddeutschen Sinn nicht vorfindet. Man<lb/> mag die Gründe dafür suchen, wo man will, vor der evidenten Thatsache kann<lb/> man sein Auge nicht verschließen. Sobald eine neue Generation gebildet sein<lb/> wird, kann das Verhältniß sich ändern; aber vorläufig darf man die Prote¬<lb/> stanten nicht umgehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1438" next="#ID_1439"> Dies führt uns auf den dritten Punkt unsrer Anforderungen an Oestreich.<lb/> Es liegt in den Händen dieses Staats mehr noch, als eine Reform seiner eig¬<lb/> nen Einrichtungen. Oestreich kann für ganz Deutschland die Religionsfreiheit,<lb/> oder vielmehr die gleiche Berechtigung der beiden historisch beglaubigten Kon¬<lb/> fessionen zur Wahrheit machen. Nach den Bestimmungen des westphälischen<lb/> Friedens, die ohnehin aus ganz andren Voraussetzungen beruhen, als die<lb/> Gegenwart, ist sie eine Illusion. Solange Oestreich ein specifisch katholischer<lb/> Staat bleibt, wird Preußen, sein natürlicher Rival, sich als ein specifisch pro¬<lb/> testantischer erhalten müssen. Wenn aber Oestreich die Rechtsgleichheit bei sich<lb/> einführt, so wird sich diese ohne weiteres über ganz Deutschland ausbreiten.<lb/> Es wird dadurch die Möglichkeit gegeben, für die gesammten Staaten des<lb/> deutschen Bundes ein einheitliches, von allen Regierungen anerkanntes und<lb/> vertheidigtes Kirchenrecht zu geben, ebenso unabhängig von dem Belieben der rö¬<lb/> mischen Kirche, als von den Agitationen unruhiger Gemeinden. Jahr für Jahr<lb/> machen sich die unklaren Verhältnisse in dieser Beziehung nach allen Seiten<lb/> hin fühlbar, und weil das Volk empfindet, daß die einzelnen Regierungen der<lb/> kirchlichen Macht nicht gewachsen sind, fühlt es sich nur zu oft gedrungen, die<lb/> kirchliche Frage selbst in die Hand zu nehmen und dadurch die allgemeine Ver¬<lb/> wirrung noch zu steigern. Die unreifen Versuche der Deutschkatholiken, der<lb/> Lichtfreunde und freien Gemeinden, der Gustav-Adolphs- und Bibelvereine<lb/> gehen nicht aus einem positiven, religiösen Gefühl hervor, sondern aus dem<lb/> Unbehagen über die Unbestimmtheit der wirklichen Zustände, die dem Volk noch<lb/> ebenso fremd stehen, als zu den Zeiten Luthers. Die Constituirung der beiden<lb/> Kirchen durch eine folgerichtige Ausführung der Principien, aus denen die wi¬<lb/> dersprechenden Bestimmungen des westphälischen Friedens hervorgegangen sind,<lb/> würde trotz der Spaltung der beiden Kirchen das nationale Leben mit dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
über in die Nacht der Phantastik zu stürzen, sondern aufkläre, durchgebildete und
einsichtsvolle Schulmänner, wie sie für die mittlere Schicht der Bildung noth¬
wendig sind. Die Negierung darf deshalb keineswegs in die bisherigen geist¬
lichen Schulen eingreifen, sie darf nur Concurrenzschulen errichten und der
Concurrenz erprobter Schulmänner freien Spielraum eröffnen; alles Andre
wird sich von selbst machen.
Der schwierigste Punkt dabei ist immer die Religion. Wenn der Staat
sich nicht entschließt, protestantische Lehrer anzustellen, so ist jeder Versuch einer
Schulreform für den Augenblick unmöglich, weil sich die nöthige Anzahl katho¬
lischer Lehrer für ein Gymnasium im norddeutschen Sinn nicht vorfindet. Man
mag die Gründe dafür suchen, wo man will, vor der evidenten Thatsache kann
man sein Auge nicht verschließen. Sobald eine neue Generation gebildet sein
wird, kann das Verhältniß sich ändern; aber vorläufig darf man die Prote¬
stanten nicht umgehen.
Dies führt uns auf den dritten Punkt unsrer Anforderungen an Oestreich.
Es liegt in den Händen dieses Staats mehr noch, als eine Reform seiner eig¬
nen Einrichtungen. Oestreich kann für ganz Deutschland die Religionsfreiheit,
oder vielmehr die gleiche Berechtigung der beiden historisch beglaubigten Kon¬
fessionen zur Wahrheit machen. Nach den Bestimmungen des westphälischen
Friedens, die ohnehin aus ganz andren Voraussetzungen beruhen, als die
Gegenwart, ist sie eine Illusion. Solange Oestreich ein specifisch katholischer
Staat bleibt, wird Preußen, sein natürlicher Rival, sich als ein specifisch pro¬
testantischer erhalten müssen. Wenn aber Oestreich die Rechtsgleichheit bei sich
einführt, so wird sich diese ohne weiteres über ganz Deutschland ausbreiten.
Es wird dadurch die Möglichkeit gegeben, für die gesammten Staaten des
deutschen Bundes ein einheitliches, von allen Regierungen anerkanntes und
vertheidigtes Kirchenrecht zu geben, ebenso unabhängig von dem Belieben der rö¬
mischen Kirche, als von den Agitationen unruhiger Gemeinden. Jahr für Jahr
machen sich die unklaren Verhältnisse in dieser Beziehung nach allen Seiten
hin fühlbar, und weil das Volk empfindet, daß die einzelnen Regierungen der
kirchlichen Macht nicht gewachsen sind, fühlt es sich nur zu oft gedrungen, die
kirchliche Frage selbst in die Hand zu nehmen und dadurch die allgemeine Ver¬
wirrung noch zu steigern. Die unreifen Versuche der Deutschkatholiken, der
Lichtfreunde und freien Gemeinden, der Gustav-Adolphs- und Bibelvereine
gehen nicht aus einem positiven, religiösen Gefühl hervor, sondern aus dem
Unbehagen über die Unbestimmtheit der wirklichen Zustände, die dem Volk noch
ebenso fremd stehen, als zu den Zeiten Luthers. Die Constituirung der beiden
Kirchen durch eine folgerichtige Ausführung der Principien, aus denen die wi¬
dersprechenden Bestimmungen des westphälischen Friedens hervorgegangen sind,
würde trotz der Spaltung der beiden Kirchen das nationale Leben mit dem
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