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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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gewaltsame Unterdrückung der Sonderverfassungen, welche den Aufbau eines
Einheitsstaats unmöglich machren. Die Anwendung von Gewalt hat immer
etwas Gehässiges, und so sind auch von der östreichischen Negierung in diesem
Umwandlungsproceß manche Dinge geschehen, die wir gern wegwünschen
möchten. Allein einerseits fand die Negierung den Bürgerkrieg schon vor,
andrerseits müssen wir ihr der altconservativen Partei gegenüber vollkommen
rechtgeben, wenn sie nach Besiegung des Aufstandes nicht wieder zu den alten,
morschen Zuständen zurückkehrte, deren Unmöglichkeit sich erwiesen hatte, son¬
dern mit eiserner Energie die Durchführung ihrer Neubildung in Angriff nahm.

Der mit Gewalt durchgeführte Einheitsstaat konnte selbstverständlich zuerst
nur einen rein militärischen Charakter haben, dem sich die einzelnen Länder
und Stämme nicht freiwillig, sondern gezwungen fügten. Die nationalen
Sympathien der meisten östreichischen Länder waren ursprünglich nicht für,
fondern gegen den Einheitsstaat gerichtet, und den Träger desselben, das Mi¬
litär, sah man gewissermaßen als ein fremdes Element an, welches nicht aus
dem Volke hervorgegangen, sondern künstlich in dasselbe eingeführt sei. In
dieser Beziehung ist durch die neuesten Ereignisse ein sehr bedeutsamer Schritt
vorwärts geschehen. Indem sich Oestreich in die Reihe der civilisirten Machte
gegen Rußland stellt und diese Stellung mit Ernst und Würde behauptet, hat
es dadurch die Sympathien eines großen Theils der Bevölkerung gewonnen,
und diese Sympathien werben sich zum Enthusiasmus steigern, sobald sie sich
an eine bestimmte Action anschließen können; sobald die kaiserlichen Heere in
siegreichen Schlachten gefochten haben werden, wird der Deutsche, der Ungar
und der Czeche nicht mehr an seine besondere Volkstümlichkeit denken, deren
historische Symbole aufhören, ihm in lebendiger Gegenwart zu erscheinen: sei¬
ner Einbildungskraft wird vielmehr nur das schwarzgelbe Banner vorschweben,
unter dem seine Brüder für die gute Sache fechten. Dieser Kampf wird auf
den Patriotismus einen ganz andern Eindruck machen, als die Kämpfe, die
in dem Jahre 49 vorfielen, denn hier gehn die Wünsche mit der Einbildungs¬
kraft Hand in Hand.

So hätte denn der Einheitsstaat schon einen sichern Boden in der Gesin¬
nung gewonnen; es kommt nur daraus an, dieser Gesinnung eine freie und
angemessene Organisation zu geben, den Patriotismus gewissermaßen zu con-
stituire". Zu diesem Zweck, der den Schlußstein am Gebäude des Einheits¬
staats bildet, halten wir dreierlei für nothwendig:

-I) Einführung einer Verfassung;
2) Reform des Erziehungssystems;
3) Feststellung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche.

Der Gedanke einer Verfassung ist durch eine Mitwirkung ganz eigenthüm¬
licher Umstände in Oestreich nach allen Seiten hin unpopulär geworden: in


gewaltsame Unterdrückung der Sonderverfassungen, welche den Aufbau eines
Einheitsstaats unmöglich machren. Die Anwendung von Gewalt hat immer
etwas Gehässiges, und so sind auch von der östreichischen Negierung in diesem
Umwandlungsproceß manche Dinge geschehen, die wir gern wegwünschen
möchten. Allein einerseits fand die Negierung den Bürgerkrieg schon vor,
andrerseits müssen wir ihr der altconservativen Partei gegenüber vollkommen
rechtgeben, wenn sie nach Besiegung des Aufstandes nicht wieder zu den alten,
morschen Zuständen zurückkehrte, deren Unmöglichkeit sich erwiesen hatte, son¬
dern mit eiserner Energie die Durchführung ihrer Neubildung in Angriff nahm.

Der mit Gewalt durchgeführte Einheitsstaat konnte selbstverständlich zuerst
nur einen rein militärischen Charakter haben, dem sich die einzelnen Länder
und Stämme nicht freiwillig, sondern gezwungen fügten. Die nationalen
Sympathien der meisten östreichischen Länder waren ursprünglich nicht für,
fondern gegen den Einheitsstaat gerichtet, und den Träger desselben, das Mi¬
litär, sah man gewissermaßen als ein fremdes Element an, welches nicht aus
dem Volke hervorgegangen, sondern künstlich in dasselbe eingeführt sei. In
dieser Beziehung ist durch die neuesten Ereignisse ein sehr bedeutsamer Schritt
vorwärts geschehen. Indem sich Oestreich in die Reihe der civilisirten Machte
gegen Rußland stellt und diese Stellung mit Ernst und Würde behauptet, hat
es dadurch die Sympathien eines großen Theils der Bevölkerung gewonnen,
und diese Sympathien werben sich zum Enthusiasmus steigern, sobald sie sich
an eine bestimmte Action anschließen können; sobald die kaiserlichen Heere in
siegreichen Schlachten gefochten haben werden, wird der Deutsche, der Ungar
und der Czeche nicht mehr an seine besondere Volkstümlichkeit denken, deren
historische Symbole aufhören, ihm in lebendiger Gegenwart zu erscheinen: sei¬
ner Einbildungskraft wird vielmehr nur das schwarzgelbe Banner vorschweben,
unter dem seine Brüder für die gute Sache fechten. Dieser Kampf wird auf
den Patriotismus einen ganz andern Eindruck machen, als die Kämpfe, die
in dem Jahre 49 vorfielen, denn hier gehn die Wünsche mit der Einbildungs¬
kraft Hand in Hand.

So hätte denn der Einheitsstaat schon einen sichern Boden in der Gesin¬
nung gewonnen; es kommt nur daraus an, dieser Gesinnung eine freie und
angemessene Organisation zu geben, den Patriotismus gewissermaßen zu con-
stituire». Zu diesem Zweck, der den Schlußstein am Gebäude des Einheits¬
staats bildet, halten wir dreierlei für nothwendig:

-I) Einführung einer Verfassung;
2) Reform des Erziehungssystems;
3) Feststellung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche.

Der Gedanke einer Verfassung ist durch eine Mitwirkung ganz eigenthüm¬
licher Umstände in Oestreich nach allen Seiten hin unpopulär geworden: in


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[0450] gewaltsame Unterdrückung der Sonderverfassungen, welche den Aufbau eines Einheitsstaats unmöglich machren. Die Anwendung von Gewalt hat immer etwas Gehässiges, und so sind auch von der östreichischen Negierung in diesem Umwandlungsproceß manche Dinge geschehen, die wir gern wegwünschen möchten. Allein einerseits fand die Negierung den Bürgerkrieg schon vor, andrerseits müssen wir ihr der altconservativen Partei gegenüber vollkommen rechtgeben, wenn sie nach Besiegung des Aufstandes nicht wieder zu den alten, morschen Zuständen zurückkehrte, deren Unmöglichkeit sich erwiesen hatte, son¬ dern mit eiserner Energie die Durchführung ihrer Neubildung in Angriff nahm. Der mit Gewalt durchgeführte Einheitsstaat konnte selbstverständlich zuerst nur einen rein militärischen Charakter haben, dem sich die einzelnen Länder und Stämme nicht freiwillig, sondern gezwungen fügten. Die nationalen Sympathien der meisten östreichischen Länder waren ursprünglich nicht für, fondern gegen den Einheitsstaat gerichtet, und den Träger desselben, das Mi¬ litär, sah man gewissermaßen als ein fremdes Element an, welches nicht aus dem Volke hervorgegangen, sondern künstlich in dasselbe eingeführt sei. In dieser Beziehung ist durch die neuesten Ereignisse ein sehr bedeutsamer Schritt vorwärts geschehen. Indem sich Oestreich in die Reihe der civilisirten Machte gegen Rußland stellt und diese Stellung mit Ernst und Würde behauptet, hat es dadurch die Sympathien eines großen Theils der Bevölkerung gewonnen, und diese Sympathien werben sich zum Enthusiasmus steigern, sobald sie sich an eine bestimmte Action anschließen können; sobald die kaiserlichen Heere in siegreichen Schlachten gefochten haben werden, wird der Deutsche, der Ungar und der Czeche nicht mehr an seine besondere Volkstümlichkeit denken, deren historische Symbole aufhören, ihm in lebendiger Gegenwart zu erscheinen: sei¬ ner Einbildungskraft wird vielmehr nur das schwarzgelbe Banner vorschweben, unter dem seine Brüder für die gute Sache fechten. Dieser Kampf wird auf den Patriotismus einen ganz andern Eindruck machen, als die Kämpfe, die in dem Jahre 49 vorfielen, denn hier gehn die Wünsche mit der Einbildungs¬ kraft Hand in Hand. So hätte denn der Einheitsstaat schon einen sichern Boden in der Gesin¬ nung gewonnen; es kommt nur daraus an, dieser Gesinnung eine freie und angemessene Organisation zu geben, den Patriotismus gewissermaßen zu con- stituire». Zu diesem Zweck, der den Schlußstein am Gebäude des Einheits¬ staats bildet, halten wir dreierlei für nothwendig: -I) Einführung einer Verfassung; 2) Reform des Erziehungssystems; 3) Feststellung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Der Gedanke einer Verfassung ist durch eine Mitwirkung ganz eigenthüm¬ licher Umstände in Oestreich nach allen Seiten hin unpopulär geworden: in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/450>, abgerufen am 22.07.2024.