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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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poilüement, na^, " eus-re ist, oder, deutsch zu reden, den Charakter einer großen
Mystifikation, nicht zu sagen einer Prellerei, trägt." --

Es sind wunderliche Leute, die Philosophen. Die Schwärmerei für das
absolute Nichts fängt an, einen unheimlichen Charakter anzunehmen, und dabei
dehnt sie sich immer weiter aus über die besonnensten und verständigsten
Leute. Wenn ein Mann wie Rosenkranz über den Gedanken, daß überhaupt
etwas eristirt, in Entsetzen geräth, so könnte man selbst verwirrt werden, wenn
man nicht bedächte, daß Zungen und Federn manches hinnehmen, was mit der
Centralkraft des Denkens nicht viel zu thun hat. Wäre indessen die ganze
Welt so mit Greueln überfüllt, wie sie uns der Dichter des vorliegenden Ro¬
mans schildert, so könnte man sich jene Stimmung wol erklären.

Daß ein schlechtgesinnter Graf eine Masse tugendhafter Mädchen verführt
ihnen ein schriftliches Eheversprechen gibt und es dann durch Helfershelfer
stehlen läßt, mag oft vorkommen. Daß er die Folgen der Liebe durch medici¬
nische Mittel beseitigt, ist schon schlimmer, namentlich wenn man sie sich aus¬
führlich erzählen lassen muß. Indessen auch hier muß man die factischen Ver¬
hältnisse in Rechnung bringen. Daß er den Erben seines Bruders, der ihm
seine Güter vorenthält, zu beseitigen sucht, liegt nur in der Natur der Sache;
aber daß er aus den raffinirten Einfall kommt, ihn nicht umzubringen, sondern
ihm jene Unfähigkeit zur Vaterschaft, die Heine als eine angeborne Gabe der
Natur von sich selbst aussagt, künstlich beibringen läßt, das geht denn doch
noch über die Mysterien von Paris. Bei diesen Voraussetzungen wird man
es leicht begreifen, daß selbst die edelste und tugendhafteste aller Gräfinnen zum
Giftmord schreitet, und daß zum Schluß alle betheiligten Personen ohne Unter¬
schied des Standes aus eine greuliche Weise umgebracht werden.

Sehen wir von diesem Inhalt ab, so können wir dem Roman das Lob
ertheilen, das er mit vielem Geschick erzählt und sehr lesbar geschrieben ist. --


Treu. Eine einfache Geschichte von Joseph Meßner. Leipzig, in Commission
bei Hühner. --

Bei der licberschrift dieses Romans, der in dieselbe Sammlung gehört
(Album deutscher Originalromane, herausgegeben von Kober), glaubten wir.uns
von den Schrecken des vorigen erholen zu können. Gibt es ein süßeres und
unschuldigeres Motto, als das bekannte: Zwei Seelen und ein Gedanke :c.?
Aber wir wurden bitter enttäuscht. Zwar ist die Eigenschaft der Treue in
diesem Roman in ganz unerhörtem Maße vorhanden, aber leider wird sie durch¬
aus übel angewendet, denn sämmtliche Personen dieses Romans capriciren sich
darauf, ihre Liebe und Treue jemand zuzuwenden, der nichts von ihnen wissen
will. Das ist gewiß ein trauriges Schicksal, und so können wir uns denn
nicht verwundern, daß die Tugend und Treue hier denselben Ausgang nimmt,


poilüement, na^, » eus-re ist, oder, deutsch zu reden, den Charakter einer großen
Mystifikation, nicht zu sagen einer Prellerei, trägt." —

Es sind wunderliche Leute, die Philosophen. Die Schwärmerei für das
absolute Nichts fängt an, einen unheimlichen Charakter anzunehmen, und dabei
dehnt sie sich immer weiter aus über die besonnensten und verständigsten
Leute. Wenn ein Mann wie Rosenkranz über den Gedanken, daß überhaupt
etwas eristirt, in Entsetzen geräth, so könnte man selbst verwirrt werden, wenn
man nicht bedächte, daß Zungen und Federn manches hinnehmen, was mit der
Centralkraft des Denkens nicht viel zu thun hat. Wäre indessen die ganze
Welt so mit Greueln überfüllt, wie sie uns der Dichter des vorliegenden Ro¬
mans schildert, so könnte man sich jene Stimmung wol erklären.

Daß ein schlechtgesinnter Graf eine Masse tugendhafter Mädchen verführt
ihnen ein schriftliches Eheversprechen gibt und es dann durch Helfershelfer
stehlen läßt, mag oft vorkommen. Daß er die Folgen der Liebe durch medici¬
nische Mittel beseitigt, ist schon schlimmer, namentlich wenn man sie sich aus¬
führlich erzählen lassen muß. Indessen auch hier muß man die factischen Ver¬
hältnisse in Rechnung bringen. Daß er den Erben seines Bruders, der ihm
seine Güter vorenthält, zu beseitigen sucht, liegt nur in der Natur der Sache;
aber daß er aus den raffinirten Einfall kommt, ihn nicht umzubringen, sondern
ihm jene Unfähigkeit zur Vaterschaft, die Heine als eine angeborne Gabe der
Natur von sich selbst aussagt, künstlich beibringen läßt, das geht denn doch
noch über die Mysterien von Paris. Bei diesen Voraussetzungen wird man
es leicht begreifen, daß selbst die edelste und tugendhafteste aller Gräfinnen zum
Giftmord schreitet, und daß zum Schluß alle betheiligten Personen ohne Unter¬
schied des Standes aus eine greuliche Weise umgebracht werden.

Sehen wir von diesem Inhalt ab, so können wir dem Roman das Lob
ertheilen, das er mit vielem Geschick erzählt und sehr lesbar geschrieben ist. —


Treu. Eine einfache Geschichte von Joseph Meßner. Leipzig, in Commission
bei Hühner. —

Bei der licberschrift dieses Romans, der in dieselbe Sammlung gehört
(Album deutscher Originalromane, herausgegeben von Kober), glaubten wir.uns
von den Schrecken des vorigen erholen zu können. Gibt es ein süßeres und
unschuldigeres Motto, als das bekannte: Zwei Seelen und ein Gedanke :c.?
Aber wir wurden bitter enttäuscht. Zwar ist die Eigenschaft der Treue in
diesem Roman in ganz unerhörtem Maße vorhanden, aber leider wird sie durch¬
aus übel angewendet, denn sämmtliche Personen dieses Romans capriciren sich
darauf, ihre Liebe und Treue jemand zuzuwenden, der nichts von ihnen wissen
will. Das ist gewiß ein trauriges Schicksal, und so können wir uns denn
nicht verwundern, daß die Tugend und Treue hier denselben Ausgang nimmt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/414>, abgerufen am 22.07.2024.