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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Ritter mit der eisernen Hand gegen die Pfefferkrämer und Tuchfabrikanten
Partei zu nehmen. Denn was jeder rechte Nomanleser als Convenienz ver¬
abscheuen muß, war in den Städten viel concentrirter und dabei viel kleinlicher
anzutreffen als in den Schlössern des Adels. Ein zweiter Uebelstand ist die
Verworrenheit der politischen Beziehungen. Das -I(>. Jahrhundert, in welchem
die Hansa zum letzten Mal auf eine großartige Weise ihre Machtfülle entwi¬
ckelte, zwang sie, in die allgemeinen europäischen Intriguen einzugehen, die wir
erst von vielen Seiten betrachten und analysiren müssen, ehe wir ein Urtheil darüber
und damit eine wirkliche Theilnahme gewinnen. An diesem Umstand ist auch
Gutzkowö Wullenweber gescheitert. Der Bürgermeister von Lübeck mischt sich in
die Ncichsintriguen von Dänemark, von Schweden, von Holland, überall, wie
es sehr verständig ist, im Interesse seiner Stadt: aber dieses Interesse kann
auch zuweilen mit sich bringen, daß er Parteien unterstützt, die wir vom all¬
gemein menschlichen Standpunkt nicht billigen können; und wenn wir diese Ver¬
wicklungen hin und her überlegen, um uns ein Urtheil zu bilden, so wird da¬
durch unsre Aufmerksamkeit von der Hauptsache abgelenkt, sie wird zerstreut
und verwirrt.

Es sind das alles große Uebelstände, aber sie sind zu überwinden. Der
Verfasser des gegenwärtigen Romans hat sich die Sache zu leicht gemacht.
Er hat die Hauptbegcbenheiten' der Geschichte Wullenwebers aus den geläufigsten
Compendien zusammengestellt, vielleicht auch hin und wieder ein Buch zu Rathe
gezogen, um sich über das Costüm zu unterrichten, aber er hat sich nicht soweit
in seine Quellen vertieft, um das Leben jener Zeit wirklich empfinden und
wiedergeben zu können. Seine Personen bewegen sich in modernen Vor¬
stellungen oder innerhalb der novellistischen Convenienz. Ein eigenthümliches
Leben ist in ihnen nicht vorhanden. Statt dessen hat der Verfasser wieder die
leidige Seemannösprache hervorgesucht, und quält uns mit Gangspill, Luvseite,
Bugspriet, Achteraaen u. s. w., was für unsre lengraphische Kenntniß ganz gut
sein mag, obgleich sich der Verfasser nicht mit großer Geschicklichkeit in diesen
Ausdrücken zu bewegen scheint; was aber jedenfalls nicht geeignet ist, uns zu
interessiren. Zu Coopers Zeit hatte diese Seemannssprache den Reiz der Neu¬
heit; außerdem waren Cooper, Marryat, Charnier u. f. w. Wirkliche Kenner des
Seewesens, man gewann aus ihrer Darstellung eine lebendige Anschauung
und bereicherte seine Kenntniß.' In dem vorliegenden Buch aber merkt man
zu deutlich heraus, daß das Lerikon die Hauptsache gethan hat.

Wer sich über die höchst interessante Geschichte Wullenweberö genauer
unterrichten will, dem empfehlen wir die Geschichte der deutschen Städte von
Barthold, der S. 332 :c. diesen Gegenstand behandelt. --


Grenzboten. IV.i>

Ritter mit der eisernen Hand gegen die Pfefferkrämer und Tuchfabrikanten
Partei zu nehmen. Denn was jeder rechte Nomanleser als Convenienz ver¬
abscheuen muß, war in den Städten viel concentrirter und dabei viel kleinlicher
anzutreffen als in den Schlössern des Adels. Ein zweiter Uebelstand ist die
Verworrenheit der politischen Beziehungen. Das -I(>. Jahrhundert, in welchem
die Hansa zum letzten Mal auf eine großartige Weise ihre Machtfülle entwi¬
ckelte, zwang sie, in die allgemeinen europäischen Intriguen einzugehen, die wir
erst von vielen Seiten betrachten und analysiren müssen, ehe wir ein Urtheil darüber
und damit eine wirkliche Theilnahme gewinnen. An diesem Umstand ist auch
Gutzkowö Wullenweber gescheitert. Der Bürgermeister von Lübeck mischt sich in
die Ncichsintriguen von Dänemark, von Schweden, von Holland, überall, wie
es sehr verständig ist, im Interesse seiner Stadt: aber dieses Interesse kann
auch zuweilen mit sich bringen, daß er Parteien unterstützt, die wir vom all¬
gemein menschlichen Standpunkt nicht billigen können; und wenn wir diese Ver¬
wicklungen hin und her überlegen, um uns ein Urtheil zu bilden, so wird da¬
durch unsre Aufmerksamkeit von der Hauptsache abgelenkt, sie wird zerstreut
und verwirrt.

Es sind das alles große Uebelstände, aber sie sind zu überwinden. Der
Verfasser des gegenwärtigen Romans hat sich die Sache zu leicht gemacht.
Er hat die Hauptbegcbenheiten' der Geschichte Wullenwebers aus den geläufigsten
Compendien zusammengestellt, vielleicht auch hin und wieder ein Buch zu Rathe
gezogen, um sich über das Costüm zu unterrichten, aber er hat sich nicht soweit
in seine Quellen vertieft, um das Leben jener Zeit wirklich empfinden und
wiedergeben zu können. Seine Personen bewegen sich in modernen Vor¬
stellungen oder innerhalb der novellistischen Convenienz. Ein eigenthümliches
Leben ist in ihnen nicht vorhanden. Statt dessen hat der Verfasser wieder die
leidige Seemannösprache hervorgesucht, und quält uns mit Gangspill, Luvseite,
Bugspriet, Achteraaen u. s. w., was für unsre lengraphische Kenntniß ganz gut
sein mag, obgleich sich der Verfasser nicht mit großer Geschicklichkeit in diesen
Ausdrücken zu bewegen scheint; was aber jedenfalls nicht geeignet ist, uns zu
interessiren. Zu Coopers Zeit hatte diese Seemannssprache den Reiz der Neu¬
heit; außerdem waren Cooper, Marryat, Charnier u. f. w. Wirkliche Kenner des
Seewesens, man gewann aus ihrer Darstellung eine lebendige Anschauung
und bereicherte seine Kenntniß.' In dem vorliegenden Buch aber merkt man
zu deutlich heraus, daß das Lerikon die Hauptsache gethan hat.

Wer sich über die höchst interessante Geschichte Wullenweberö genauer
unterrichten will, dem empfehlen wir die Geschichte der deutschen Städte von
Barthold, der S. 332 :c. diesen Gegenstand behandelt. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/41>, abgerufen am 29.12.2024.