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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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macht, haßt diesen. Er drückt sich mit Verachtung über ihn aus, er schildert
mit der Virtuosität eines Tacitus, mit der Eleganz eines Julius Cäsar den
Charakter des Proprietairs, aber jemehr er ihn haßt, um so wärmer vertritt
er seine Ansprüche -- das ist ein ungelöster psychologischer Widerspruch, der sich in
jeder Loge wiederfindet. Es gibt in Paris kein Haus ohne Concierge mehr,
oder keines ohne Concierge noch. Das letzte bewohnte Alphonse Karr. Dieser
haßt und fürchtet die Race der Portiers aus angebornem Jnstincte und es ist
zugleich eine Idiosynkrasie, die ihn infolge mehrer Indigestionen und unverdau-
baren Concierges mit unbezwinglicher Gewalt erfaßt hat. Der witzige Verfasser
der Wespen, der soviele Leute jeder Classe gestochen, fürchtet , die täglichen
Nadelstiche dieses Hauskreuzes über jede Vorstellung. Er suchte 'Jahrelang
nach einem Hause ohne Portier, bis er es endlich in irgendeinem entlegenen
Viertel der Stadt auffand. Alle Bedingungen des Hausherrn sofort annehmend
bezog er triumphirend diese idealste aller Wohnungen. In der Angst, feinen
Abschied zu erhalten, bestrebte er sich, das Muster eines Miethwohners zu
werden. Er bezahlte seinen Zins regelmäßig, verhielt sich ruhig wie ein Trappist,
machte sich den Pudel des Hausherrn zum Freunde, hatte für dessen Kinder
stets die Taschen voll Süßigkeiten und den Mund voll Schmeichelworte. Der
Hausherr mit seiner ganzen Familie vernarrte sich in den lieben Inwohner
und als dieser nach Verlauf eines Jahres zum vierten Mal seinen zins-
bringcnden Besuch abstattete, hieß ihn der Hausherr mit Feierlichkeit niedersetzen
und erklärte ihm, sich schmunzelnd die Hände reibend, daß er, um die beispielhafte
Aufführung seines lieben Locatairö zu belohnen, zu dessen Erleichterung
und Bequemlichkeit einen Concierge gedungen habe, der morgen seine Loge be¬
ziehen solle. Sprachlos vor Entsetzen ergriff Karr seinen Hut, lief auf den
ersten besten Bahnhof und erholte sich erst in ,Ville daveny von seinem Schreck.
Der erboste Dichter kündigte seinem Hausherrn brieflich und Freunde mußten
für ihn seine Möbel und sonstige Habschaft holen.

Der Concierge und der Proprietaire theilen sich übrigens in den Haß
sämmtlicher Bewohner in Paris, das Plus hängt nur von dem Standpunkte
ab, aus dem sich viese befinden. Vergangenes Jahr weideten wir uns an
einem Sommerabend in Gesellschaft einer geliebten Freundin und ihrer Ge¬
fährtin aus der sogenannten Terrasse von Se. Germain aus an dem herrlichen
Anblicke, den die reizende Landschaft bietet. Die kokette Seine schlängelt sich
in den eigensinnigsten Krümmungen und Wendungen wie eine Cancan tanzende
Lorette die niedlichen Felder hindurch, während über dem Walde von Boulogne
sich Paris mit seinen Häusermassen imposant ausnimmt, wie von keinem
andern Punkte -- zur Linken dehnt sich der Wald von Se. Germain und
rechts die herrlichen Umgebungen von Versailles und Se. Cloud aus. Wir
waren versunken in Betrachtung dieses einzigen Schauspiels, als wir durch


macht, haßt diesen. Er drückt sich mit Verachtung über ihn aus, er schildert
mit der Virtuosität eines Tacitus, mit der Eleganz eines Julius Cäsar den
Charakter des Proprietairs, aber jemehr er ihn haßt, um so wärmer vertritt
er seine Ansprüche — das ist ein ungelöster psychologischer Widerspruch, der sich in
jeder Loge wiederfindet. Es gibt in Paris kein Haus ohne Concierge mehr,
oder keines ohne Concierge noch. Das letzte bewohnte Alphonse Karr. Dieser
haßt und fürchtet die Race der Portiers aus angebornem Jnstincte und es ist
zugleich eine Idiosynkrasie, die ihn infolge mehrer Indigestionen und unverdau-
baren Concierges mit unbezwinglicher Gewalt erfaßt hat. Der witzige Verfasser
der Wespen, der soviele Leute jeder Classe gestochen, fürchtet , die täglichen
Nadelstiche dieses Hauskreuzes über jede Vorstellung. Er suchte 'Jahrelang
nach einem Hause ohne Portier, bis er es endlich in irgendeinem entlegenen
Viertel der Stadt auffand. Alle Bedingungen des Hausherrn sofort annehmend
bezog er triumphirend diese idealste aller Wohnungen. In der Angst, feinen
Abschied zu erhalten, bestrebte er sich, das Muster eines Miethwohners zu
werden. Er bezahlte seinen Zins regelmäßig, verhielt sich ruhig wie ein Trappist,
machte sich den Pudel des Hausherrn zum Freunde, hatte für dessen Kinder
stets die Taschen voll Süßigkeiten und den Mund voll Schmeichelworte. Der
Hausherr mit seiner ganzen Familie vernarrte sich in den lieben Inwohner
und als dieser nach Verlauf eines Jahres zum vierten Mal seinen zins-
bringcnden Besuch abstattete, hieß ihn der Hausherr mit Feierlichkeit niedersetzen
und erklärte ihm, sich schmunzelnd die Hände reibend, daß er, um die beispielhafte
Aufführung seines lieben Locatairö zu belohnen, zu dessen Erleichterung
und Bequemlichkeit einen Concierge gedungen habe, der morgen seine Loge be¬
ziehen solle. Sprachlos vor Entsetzen ergriff Karr seinen Hut, lief auf den
ersten besten Bahnhof und erholte sich erst in ,Ville daveny von seinem Schreck.
Der erboste Dichter kündigte seinem Hausherrn brieflich und Freunde mußten
für ihn seine Möbel und sonstige Habschaft holen.

Der Concierge und der Proprietaire theilen sich übrigens in den Haß
sämmtlicher Bewohner in Paris, das Plus hängt nur von dem Standpunkte
ab, aus dem sich viese befinden. Vergangenes Jahr weideten wir uns an
einem Sommerabend in Gesellschaft einer geliebten Freundin und ihrer Ge¬
fährtin aus der sogenannten Terrasse von Se. Germain aus an dem herrlichen
Anblicke, den die reizende Landschaft bietet. Die kokette Seine schlängelt sich
in den eigensinnigsten Krümmungen und Wendungen wie eine Cancan tanzende
Lorette die niedlichen Felder hindurch, während über dem Walde von Boulogne
sich Paris mit seinen Häusermassen imposant ausnimmt, wie von keinem
andern Punkte — zur Linken dehnt sich der Wald von Se. Germain und
rechts die herrlichen Umgebungen von Versailles und Se. Cloud aus. Wir
waren versunken in Betrachtung dieses einzigen Schauspiels, als wir durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/397>, abgerufen am 22.07.2024.