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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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oder wie die Pariser Nettigkeiten sonst heißen mögen, fragend den Kopf'in
seine Loge steckt. Er durchstöbert alle Schubladen und Taschen, er raucht die
Cigarren sämmtlicher unverheiratheter Stockwerke, er erleuchtet sich geistig durch
die Bücher und materiell durch die Kerzen seiner Schutzbefohlenen. Er ist
Zahlmeister und Meister im Zählen -- er erhält seinen doppelten Tribut von
allem, was im Hause und durch das Haus gekauft wird, einmal als Remise
vom Händler und dann in Natura vom Käufer. Der Concierge ist Com-
missionär der Häuser und sein Tarif ist ein willkürlicher, aber nach den Mitteln
des Senders berechneter, während der Commisstonar in der Gasse seine durch
das Herkommen gestempelte Tare hat. Der Concierge ist ferner könne als
mengte, Bedienter, maltrs ac eeröirionie und Factotum der unverheiratheten Welt.

Seine Frau kocht das Frühstück und läßt sich von den Malern des Hauses
porträtiren, von den Künstlern Cvncertbillete, von den Schriftstellern Theater¬
karten geben oder ihre Töchter protegiren. Der Concierge ist der unbeschränkte
Gebieter über den Rauch der Kamine, über die Luftfestigkeit von Thüre und
Fenster. Von seiner freundlichen Bevorwortung hängt die kleinste Reparatur
ab und Ihr Correspondent hat es z. B. trotz aller Bassessen, deren er
sich schuldig gemacht, bis zur Stunde noch nicht zu bewirken gewußt, daß dem
ungebetenen Besuche des Regens in seiner Salle ü, manger das Handwerk
gelegt werde. Dafür hat er die Bequemlichkeit, nicht erst die Hand zum Fenster
hinausstecken zu müssen, wenn er des Morgens wissen will, ob es regnet oder
nicht. Bei verheirateten Personen, bei den Familien der untern Stockwerke
beschränkt sich seine Macht aus den Einfluß, dessen er beim Eigenthümer sich
erfreut und aus die Gewalt, die er über die Dienstboten übt. Das ist nur
eine factische, nicht vertragsmäßig stipulirte Emancipation, aber die Botmäßig¬
keit findet ihren Ausdruck in dem jährlichen Tribute, der unter dem Namen
von Etrennes ihm gezollt wird, und der oft ganz beträchtlich ist. Die Controle
der Besuche behält er sich ebenfalls vor, das Vorleserecht aus Journale besteht
auch in seinem ganzen Umfange und die Polizei der Familien und Finanz-
verhältnisfe wird dnrch vertraute Beziehungen zu dem weiblichen und männlichen
Gesinde des Hauses wie zu den Domestiken der Bekannten und Verwandten
der betreffenden Familie ebenfalls gesichert.

Diese Polizeithätigkeit ist aber nicht immer eine blos dilettcmtenhafte, sie
äußert sich oft aus solidere staatsdienftliche Weise. Ihrer politischen Meinung
nach zerfallen nämlich die Concierges in Republikaner oder in Bonapartisten,
Legitimisten und Orleanisten sind nur unter den modernen Nachahmungen der
vvrrevolutionszeitlichen Suisseö zu finden. Zwischen diesen beiden politischen
Contrasten bewegt sich die große Mehrzahl der kleinbürgerlich Gesinnten, die
jedem bestehenden Regimente huldigen und in der Rue de Jerusalem ihr
Losungswort holen und noch mehr Worte dort abgeben. Die Bonapartisten


oder wie die Pariser Nettigkeiten sonst heißen mögen, fragend den Kopf'in
seine Loge steckt. Er durchstöbert alle Schubladen und Taschen, er raucht die
Cigarren sämmtlicher unverheiratheter Stockwerke, er erleuchtet sich geistig durch
die Bücher und materiell durch die Kerzen seiner Schutzbefohlenen. Er ist
Zahlmeister und Meister im Zählen — er erhält seinen doppelten Tribut von
allem, was im Hause und durch das Haus gekauft wird, einmal als Remise
vom Händler und dann in Natura vom Käufer. Der Concierge ist Com-
missionär der Häuser und sein Tarif ist ein willkürlicher, aber nach den Mitteln
des Senders berechneter, während der Commisstonar in der Gasse seine durch
das Herkommen gestempelte Tare hat. Der Concierge ist ferner könne als
mengte, Bedienter, maltrs ac eeröirionie und Factotum der unverheiratheten Welt.

Seine Frau kocht das Frühstück und läßt sich von den Malern des Hauses
porträtiren, von den Künstlern Cvncertbillete, von den Schriftstellern Theater¬
karten geben oder ihre Töchter protegiren. Der Concierge ist der unbeschränkte
Gebieter über den Rauch der Kamine, über die Luftfestigkeit von Thüre und
Fenster. Von seiner freundlichen Bevorwortung hängt die kleinste Reparatur
ab und Ihr Correspondent hat es z. B. trotz aller Bassessen, deren er
sich schuldig gemacht, bis zur Stunde noch nicht zu bewirken gewußt, daß dem
ungebetenen Besuche des Regens in seiner Salle ü, manger das Handwerk
gelegt werde. Dafür hat er die Bequemlichkeit, nicht erst die Hand zum Fenster
hinausstecken zu müssen, wenn er des Morgens wissen will, ob es regnet oder
nicht. Bei verheirateten Personen, bei den Familien der untern Stockwerke
beschränkt sich seine Macht aus den Einfluß, dessen er beim Eigenthümer sich
erfreut und aus die Gewalt, die er über die Dienstboten übt. Das ist nur
eine factische, nicht vertragsmäßig stipulirte Emancipation, aber die Botmäßig¬
keit findet ihren Ausdruck in dem jährlichen Tribute, der unter dem Namen
von Etrennes ihm gezollt wird, und der oft ganz beträchtlich ist. Die Controle
der Besuche behält er sich ebenfalls vor, das Vorleserecht aus Journale besteht
auch in seinem ganzen Umfange und die Polizei der Familien und Finanz-
verhältnisfe wird dnrch vertraute Beziehungen zu dem weiblichen und männlichen
Gesinde des Hauses wie zu den Domestiken der Bekannten und Verwandten
der betreffenden Familie ebenfalls gesichert.

Diese Polizeithätigkeit ist aber nicht immer eine blos dilettcmtenhafte, sie
äußert sich oft aus solidere staatsdienftliche Weise. Ihrer politischen Meinung
nach zerfallen nämlich die Concierges in Republikaner oder in Bonapartisten,
Legitimisten und Orleanisten sind nur unter den modernen Nachahmungen der
vvrrevolutionszeitlichen Suisseö zu finden. Zwischen diesen beiden politischen
Contrasten bewegt sich die große Mehrzahl der kleinbürgerlich Gesinnten, die
jedem bestehenden Regimente huldigen und in der Rue de Jerusalem ihr
Losungswort holen und noch mehr Worte dort abgeben. Die Bonapartisten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/395>, abgerufen am 22.07.2024.