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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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arrondirter Staat hervorgegangen, Preußen dagegen als ein zerstückelter, so
daß das Streben, sich zu arrondiren, bei jeder günstigen Gelegenheit hervor¬
treten mußte. Die Nothwendigkeit, in die es sich einige Monate darauf ver¬
setzt sah, die Truppen des Großherzogthums Baden, das es unter seinen Schutz
genommen, auf Feldwegen in sein Gebiet zu schmuggeln, sowie die große
Frage wegen der Etappenstraße mußte alle Welt davon überzeugen. Es war
also unbillig von Oestreich, wenn überhaupt Territorialveränderungen eintreten
sollten, von Preußen zu verlangen, es solle keinen Nutzen daraus ziehen.
Aber Oestreich ging noch weiter. Jede Vergrößerung der Mittelstaaten mußte
dazu führen, Preußen von seiner Stellung herabzudrücken, es immermehr zu
dem Niveau der übrigen Staaten zu führen. Wenn man jene Vorschläge
also unparteiisch erwägt, so muthete Oestreich der preußischen Regierung in ei¬
nem Augenblick, wo anscheinend der Stern derselben im Steigen war, eine
Machtverkleinerung zu. Auf diese Vorschläge konnte Preußen nicht eingehen,
es konnte sie nicht einmal als einen Ausgangspunkt der Unterhandlungen be¬
trachten; und wenn es nun seinerseits den Fehler beging, die Unterhandlungen
mit Oestreich nur zum Schein fortzusetzen und statt dessen mit der parlamenta¬
rischen Partei eine Verständigung zu versuchen, um die es ihm doch nicht
aufrichtig zu thun war, so war dieser Fehler wenigstens menschlich. LlMallend
ist es, daß man damals beiderseits nicht auf einen Gedanken kam, der vielleicht
zu einer Verständigung hätte führen können, nämlich zu untersuchen, ob nicht
auch eine Vergrößerung Oestreichs im deutschen Interesse liege, ob nicht zur
Abwendung aller Nheinbundgelüste eine östreichische Grenze gegen Frankreich
ebenso wichtig wäre, als e.i"e preußische.

Genug, die Frage wurde nicht in Erwägung gezogen, und da bald darauf
die Auflösung des Parlaments erfolgte, so begann von Seiten der beiden
Großmächte jenes Jntriguenspicl an den kleinen Höfen, das zuerst zum Drei-
königsbündniß, schließlich zum Bregenzer Vertrag führte. In diesem Spiel
war Oestreich in einem ungeheuern Vortheil. Es forderte nichts für sich, es
trat als Hort des Bestehenden auf, während Preußen seinen Bundesgenossen
schwere Opfer zumuthete, ohne ihnen etwas dafür bieten zu können: Außer¬
dem hatte sich Oestreich sein Ziel sehr klar vorgesteckt, während man nicht
übertreibt, wenn man von der damaligen preußischen Regierung behauptet, sie
wußte nicht, was sie wollte. Ihre projectirte Unionsvcrfassung, die nicht auf
den Beistand des Volks, sondern auf den Beistand der Fürsten berechnet war,
verlor.gleich zu Anfang durch die Weigerung Baierns und Würtembergs die
nöthige Basis, und daß unter solchen Umständen Hannover und Sachsen bald
folgen würden, konnte man schon damals voraussehen. Aber selbst wenn alle
Fürsten willig gewesen wären, und wenn Oestreich keinen Einspruch erhoben
hätte, so'gab die Unionsverfassung, wirklich durchgeführt, Preußen in dem


arrondirter Staat hervorgegangen, Preußen dagegen als ein zerstückelter, so
daß das Streben, sich zu arrondiren, bei jeder günstigen Gelegenheit hervor¬
treten mußte. Die Nothwendigkeit, in die es sich einige Monate darauf ver¬
setzt sah, die Truppen des Großherzogthums Baden, das es unter seinen Schutz
genommen, auf Feldwegen in sein Gebiet zu schmuggeln, sowie die große
Frage wegen der Etappenstraße mußte alle Welt davon überzeugen. Es war
also unbillig von Oestreich, wenn überhaupt Territorialveränderungen eintreten
sollten, von Preußen zu verlangen, es solle keinen Nutzen daraus ziehen.
Aber Oestreich ging noch weiter. Jede Vergrößerung der Mittelstaaten mußte
dazu führen, Preußen von seiner Stellung herabzudrücken, es immermehr zu
dem Niveau der übrigen Staaten zu führen. Wenn man jene Vorschläge
also unparteiisch erwägt, so muthete Oestreich der preußischen Regierung in ei¬
nem Augenblick, wo anscheinend der Stern derselben im Steigen war, eine
Machtverkleinerung zu. Auf diese Vorschläge konnte Preußen nicht eingehen,
es konnte sie nicht einmal als einen Ausgangspunkt der Unterhandlungen be¬
trachten; und wenn es nun seinerseits den Fehler beging, die Unterhandlungen
mit Oestreich nur zum Schein fortzusetzen und statt dessen mit der parlamenta¬
rischen Partei eine Verständigung zu versuchen, um die es ihm doch nicht
aufrichtig zu thun war, so war dieser Fehler wenigstens menschlich. LlMallend
ist es, daß man damals beiderseits nicht auf einen Gedanken kam, der vielleicht
zu einer Verständigung hätte führen können, nämlich zu untersuchen, ob nicht
auch eine Vergrößerung Oestreichs im deutschen Interesse liege, ob nicht zur
Abwendung aller Nheinbundgelüste eine östreichische Grenze gegen Frankreich
ebenso wichtig wäre, als e.i»e preußische.

Genug, die Frage wurde nicht in Erwägung gezogen, und da bald darauf
die Auflösung des Parlaments erfolgte, so begann von Seiten der beiden
Großmächte jenes Jntriguenspicl an den kleinen Höfen, das zuerst zum Drei-
königsbündniß, schließlich zum Bregenzer Vertrag führte. In diesem Spiel
war Oestreich in einem ungeheuern Vortheil. Es forderte nichts für sich, es
trat als Hort des Bestehenden auf, während Preußen seinen Bundesgenossen
schwere Opfer zumuthete, ohne ihnen etwas dafür bieten zu können: Außer¬
dem hatte sich Oestreich sein Ziel sehr klar vorgesteckt, während man nicht
übertreibt, wenn man von der damaligen preußischen Regierung behauptet, sie
wußte nicht, was sie wollte. Ihre projectirte Unionsvcrfassung, die nicht auf
den Beistand des Volks, sondern auf den Beistand der Fürsten berechnet war,
verlor.gleich zu Anfang durch die Weigerung Baierns und Würtembergs die
nöthige Basis, und daß unter solchen Umständen Hannover und Sachsen bald
folgen würden, konnte man schon damals voraussehen. Aber selbst wenn alle
Fürsten willig gewesen wären, und wenn Oestreich keinen Einspruch erhoben
hätte, so'gab die Unionsverfassung, wirklich durchgeführt, Preußen in dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/292>, abgerufen am 23.07.2024.