Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Königs ein Glück für den Ruhm desselben wie für die Entwicklung Deutsch¬
lands zu finden, worin wir ihm keineswegs beipflichten können. In diesem
Sinn ist sogar Gfrörer viel unbefangener. Principiell stellt er sich zwar auf
die Seite des Kaiser Ferdinand und Wallensteins, eventuell aber auf die Seite
Gustav Adolphs. Wenn das katholische Kaiserreich nicht zu stände kam, so
wäre er auch mit dem protestantischen zufrieden gewesen. Die Hauptsache war
ihm, daß überhaupt ein deutsches Reich zu stände kam.

Was nun bei diesen modernen Behandlungen der Geschichte zunächst
auffällt, ist die Verwechslung des Princips, welches unsre Zeit gewonnen
hat, mit dem Princip einer frühern historischen Entwicklung. Die Idee der
politischen Einigung Deutschlands mit Nichtachtung der confessionellen Unter¬
schiede wird zwar im gegenwärtigen Augenblick von der Mehrzahl des deut¬
schen Volks gebilligt werden, allein im 17. Jahrhundert war die Unbefan¬
genheit in Glaubenssachen keineswegs so groß. Wenn wir verlangen, daß
die bestimmenden Motive des 16. Jahrhunderts andere gewesen sein sollen, als
sie es wirklich waren, so ist das eine Verkennung der historischen Mächte und
der historischen Entwicklung. Jede große Leidenschaft will ihre Zeit haben
und die herrschende Leidenschaft des 16. und 17. Jahrhunderts war die religiöse.
Wenn man ab"r einmal das müßige Geschäft betreiben will, bestimmte histori¬
sche Persönlichkeiten für den historischen Causalneruö verantwortlich zu machen,
so möge man Heinrich IV. und Richelieu mit Ferdinand II. vergleichen. Den
ersteren, die gleichfalls die Erbschaft langer Bürgerkriege überkamen, ist es
gelungen, die Staatseinheit in Frankreich herzustellen, weil sie das Princip
der Glaubensfreiheit aufstellten und dadurch der religiösen Leidenschaft die ge¬
gen den Staat gerichtete Spitze abbrachen. Ferdinand II. dagegen hat die Ein¬
heit des Reichs zerstört, weil er in seiner Bigotterie sich vermaß, seine eigne
religiöse Ueberzeugung mit Gewalt dem Volk aufzudringen, und dabei war
im Grunde die natürliche Entwicklung in Deutschland einfacher indicirt als in
Frankreich. Denn in Frankreich waren zwar, die Protestanten eine sehr mächtige
Sekte, aber die öffentliche Meinung war entschieden katholisch, ja liguistisch.
In Deutschland war das Umgekehrte der Fall. Freilich werden wir persönlich
den Kaiser Ferdinand nicht darum geringschätzen, daß ihm sein Glaube über
alles ging, allein ebensowenig werden wir es den Protestanten verdenken,
wenn sie zur Abwehr dieser gewaltthätigen und unrechtmäßigen Unterdrückung
alles anwendeten, was ihnen zu Gebote flano, wenn sie selbst die politische Un¬
abhängigkeit Deutschlands auss Spiel setzten. Wenn der Ausgang deS Kam¬
pfes für Deutschland ein unglückseliger war, was wir vollkommen zugeben, so
muß derjenige dafür verantwortlich gemacht werden,' der ihn erregte, und das war
Ferdinand l!., der Jesuitenschüler. Ja wir gehen noch weiter. Nicht blos im
Sinn des 17. Jahrhunderts billigen wir den Widerstand der Protestanten und


Königs ein Glück für den Ruhm desselben wie für die Entwicklung Deutsch¬
lands zu finden, worin wir ihm keineswegs beipflichten können. In diesem
Sinn ist sogar Gfrörer viel unbefangener. Principiell stellt er sich zwar auf
die Seite des Kaiser Ferdinand und Wallensteins, eventuell aber auf die Seite
Gustav Adolphs. Wenn das katholische Kaiserreich nicht zu stände kam, so
wäre er auch mit dem protestantischen zufrieden gewesen. Die Hauptsache war
ihm, daß überhaupt ein deutsches Reich zu stände kam.

Was nun bei diesen modernen Behandlungen der Geschichte zunächst
auffällt, ist die Verwechslung des Princips, welches unsre Zeit gewonnen
hat, mit dem Princip einer frühern historischen Entwicklung. Die Idee der
politischen Einigung Deutschlands mit Nichtachtung der confessionellen Unter¬
schiede wird zwar im gegenwärtigen Augenblick von der Mehrzahl des deut¬
schen Volks gebilligt werden, allein im 17. Jahrhundert war die Unbefan¬
genheit in Glaubenssachen keineswegs so groß. Wenn wir verlangen, daß
die bestimmenden Motive des 16. Jahrhunderts andere gewesen sein sollen, als
sie es wirklich waren, so ist das eine Verkennung der historischen Mächte und
der historischen Entwicklung. Jede große Leidenschaft will ihre Zeit haben
und die herrschende Leidenschaft des 16. und 17. Jahrhunderts war die religiöse.
Wenn man ab»r einmal das müßige Geschäft betreiben will, bestimmte histori¬
sche Persönlichkeiten für den historischen Causalneruö verantwortlich zu machen,
so möge man Heinrich IV. und Richelieu mit Ferdinand II. vergleichen. Den
ersteren, die gleichfalls die Erbschaft langer Bürgerkriege überkamen, ist es
gelungen, die Staatseinheit in Frankreich herzustellen, weil sie das Princip
der Glaubensfreiheit aufstellten und dadurch der religiösen Leidenschaft die ge¬
gen den Staat gerichtete Spitze abbrachen. Ferdinand II. dagegen hat die Ein¬
heit des Reichs zerstört, weil er in seiner Bigotterie sich vermaß, seine eigne
religiöse Ueberzeugung mit Gewalt dem Volk aufzudringen, und dabei war
im Grunde die natürliche Entwicklung in Deutschland einfacher indicirt als in
Frankreich. Denn in Frankreich waren zwar, die Protestanten eine sehr mächtige
Sekte, aber die öffentliche Meinung war entschieden katholisch, ja liguistisch.
In Deutschland war das Umgekehrte der Fall. Freilich werden wir persönlich
den Kaiser Ferdinand nicht darum geringschätzen, daß ihm sein Glaube über
alles ging, allein ebensowenig werden wir es den Protestanten verdenken,
wenn sie zur Abwehr dieser gewaltthätigen und unrechtmäßigen Unterdrückung
alles anwendeten, was ihnen zu Gebote flano, wenn sie selbst die politische Un¬
abhängigkeit Deutschlands auss Spiel setzten. Wenn der Ausgang deS Kam¬
pfes für Deutschland ein unglückseliger war, was wir vollkommen zugeben, so
muß derjenige dafür verantwortlich gemacht werden,' der ihn erregte, und das war
Ferdinand l!., der Jesuitenschüler. Ja wir gehen noch weiter. Nicht blos im
Sinn des 17. Jahrhunderts billigen wir den Widerstand der Protestanten und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98342"/>
            <p xml:id="ID_60" prev="#ID_59"> Königs ein Glück für den Ruhm desselben wie für die Entwicklung Deutsch¬<lb/>
lands zu finden, worin wir ihm keineswegs beipflichten können. In diesem<lb/>
Sinn ist sogar Gfrörer viel unbefangener. Principiell stellt er sich zwar auf<lb/>
die Seite des Kaiser Ferdinand und Wallensteins, eventuell aber auf die Seite<lb/>
Gustav Adolphs. Wenn das katholische Kaiserreich nicht zu stände kam, so<lb/>
wäre er auch mit dem protestantischen zufrieden gewesen. Die Hauptsache war<lb/>
ihm, daß überhaupt ein deutsches Reich zu stände kam.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_61" next="#ID_62"> Was nun bei diesen modernen Behandlungen der Geschichte zunächst<lb/>
auffällt, ist die Verwechslung des Princips, welches unsre Zeit gewonnen<lb/>
hat, mit dem Princip einer frühern historischen Entwicklung. Die Idee der<lb/>
politischen Einigung Deutschlands mit Nichtachtung der confessionellen Unter¬<lb/>
schiede wird zwar im gegenwärtigen Augenblick von der Mehrzahl des deut¬<lb/>
schen Volks gebilligt werden, allein im 17. Jahrhundert war die Unbefan¬<lb/>
genheit in Glaubenssachen keineswegs so groß. Wenn wir verlangen, daß<lb/>
die bestimmenden Motive des 16. Jahrhunderts andere gewesen sein sollen, als<lb/>
sie es wirklich waren, so ist das eine Verkennung der historischen Mächte und<lb/>
der historischen Entwicklung. Jede große Leidenschaft will ihre Zeit haben<lb/>
und die herrschende Leidenschaft des 16. und 17. Jahrhunderts war die religiöse.<lb/>
Wenn man ab»r einmal das müßige Geschäft betreiben will, bestimmte histori¬<lb/>
sche Persönlichkeiten für den historischen Causalneruö verantwortlich zu machen,<lb/>
so möge man Heinrich IV. und Richelieu mit Ferdinand II. vergleichen. Den<lb/>
ersteren, die gleichfalls die Erbschaft langer Bürgerkriege überkamen, ist es<lb/>
gelungen, die Staatseinheit in Frankreich herzustellen, weil sie das Princip<lb/>
der Glaubensfreiheit aufstellten und dadurch der religiösen Leidenschaft die ge¬<lb/>
gen den Staat gerichtete Spitze abbrachen. Ferdinand II. dagegen hat die Ein¬<lb/>
heit des Reichs zerstört, weil er in seiner Bigotterie sich vermaß, seine eigne<lb/>
religiöse Ueberzeugung mit Gewalt dem Volk aufzudringen, und dabei war<lb/>
im Grunde die natürliche Entwicklung in Deutschland einfacher indicirt als in<lb/>
Frankreich. Denn in Frankreich waren zwar, die Protestanten eine sehr mächtige<lb/>
Sekte, aber die öffentliche Meinung war entschieden katholisch, ja liguistisch.<lb/>
In Deutschland war das Umgekehrte der Fall. Freilich werden wir persönlich<lb/>
den Kaiser Ferdinand nicht darum geringschätzen, daß ihm sein Glaube über<lb/>
alles ging, allein ebensowenig werden wir es den Protestanten verdenken,<lb/>
wenn sie zur Abwehr dieser gewaltthätigen und unrechtmäßigen Unterdrückung<lb/>
alles anwendeten, was ihnen zu Gebote flano, wenn sie selbst die politische Un¬<lb/>
abhängigkeit Deutschlands auss Spiel setzten. Wenn der Ausgang deS Kam¬<lb/>
pfes für Deutschland ein unglückseliger war, was wir vollkommen zugeben, so<lb/>
muß derjenige dafür verantwortlich gemacht werden,' der ihn erregte, und das war<lb/>
Ferdinand l!., der Jesuitenschüler. Ja wir gehen noch weiter. Nicht blos im<lb/>
Sinn des 17. Jahrhunderts billigen wir den Widerstand der Protestanten und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0028] Königs ein Glück für den Ruhm desselben wie für die Entwicklung Deutsch¬ lands zu finden, worin wir ihm keineswegs beipflichten können. In diesem Sinn ist sogar Gfrörer viel unbefangener. Principiell stellt er sich zwar auf die Seite des Kaiser Ferdinand und Wallensteins, eventuell aber auf die Seite Gustav Adolphs. Wenn das katholische Kaiserreich nicht zu stände kam, so wäre er auch mit dem protestantischen zufrieden gewesen. Die Hauptsache war ihm, daß überhaupt ein deutsches Reich zu stände kam. Was nun bei diesen modernen Behandlungen der Geschichte zunächst auffällt, ist die Verwechslung des Princips, welches unsre Zeit gewonnen hat, mit dem Princip einer frühern historischen Entwicklung. Die Idee der politischen Einigung Deutschlands mit Nichtachtung der confessionellen Unter¬ schiede wird zwar im gegenwärtigen Augenblick von der Mehrzahl des deut¬ schen Volks gebilligt werden, allein im 17. Jahrhundert war die Unbefan¬ genheit in Glaubenssachen keineswegs so groß. Wenn wir verlangen, daß die bestimmenden Motive des 16. Jahrhunderts andere gewesen sein sollen, als sie es wirklich waren, so ist das eine Verkennung der historischen Mächte und der historischen Entwicklung. Jede große Leidenschaft will ihre Zeit haben und die herrschende Leidenschaft des 16. und 17. Jahrhunderts war die religiöse. Wenn man ab»r einmal das müßige Geschäft betreiben will, bestimmte histori¬ sche Persönlichkeiten für den historischen Causalneruö verantwortlich zu machen, so möge man Heinrich IV. und Richelieu mit Ferdinand II. vergleichen. Den ersteren, die gleichfalls die Erbschaft langer Bürgerkriege überkamen, ist es gelungen, die Staatseinheit in Frankreich herzustellen, weil sie das Princip der Glaubensfreiheit aufstellten und dadurch der religiösen Leidenschaft die ge¬ gen den Staat gerichtete Spitze abbrachen. Ferdinand II. dagegen hat die Ein¬ heit des Reichs zerstört, weil er in seiner Bigotterie sich vermaß, seine eigne religiöse Ueberzeugung mit Gewalt dem Volk aufzudringen, und dabei war im Grunde die natürliche Entwicklung in Deutschland einfacher indicirt als in Frankreich. Denn in Frankreich waren zwar, die Protestanten eine sehr mächtige Sekte, aber die öffentliche Meinung war entschieden katholisch, ja liguistisch. In Deutschland war das Umgekehrte der Fall. Freilich werden wir persönlich den Kaiser Ferdinand nicht darum geringschätzen, daß ihm sein Glaube über alles ging, allein ebensowenig werden wir es den Protestanten verdenken, wenn sie zur Abwehr dieser gewaltthätigen und unrechtmäßigen Unterdrückung alles anwendeten, was ihnen zu Gebote flano, wenn sie selbst die politische Un¬ abhängigkeit Deutschlands auss Spiel setzten. Wenn der Ausgang deS Kam¬ pfes für Deutschland ein unglückseliger war, was wir vollkommen zugeben, so muß derjenige dafür verantwortlich gemacht werden,' der ihn erregte, und das war Ferdinand l!., der Jesuitenschüler. Ja wir gehen noch weiter. Nicht blos im Sinn des 17. Jahrhunderts billigen wir den Widerstand der Protestanten und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/28
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/28>, abgerufen am 24.08.2024.