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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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letzterer auch durch höhere Geistesfähigkeiten sich auszeichnete, so waren doch
die Uebergangsformen in jenen unglücklichen, hirnarmen Cretins und andern
Blödsinnigen zu finden, denen selbst das Hauptunterscheidungsmerkmal, die
Sprache, fehlte; denn es gibt verkümmerte Menschen, welchen ohne Zweifel
weniger Geistesfähigkeiten von Natur zu Theil geworden sind, als manchen
Thieren, Dennoch mußte man sich hier gewaltsam helfen durch die Trennung
von Seele und Geist, letzteren schrieb man lediglich den Menschen zu, selbst
denen, bei welchen man durchaus kemen bemerken konnte, man ertheilte ihm
das Prädicat der Selbstständigkeit, Unsterblichkeit, während dies von der
Thierseele zu behaupten niemandem eingefallen ist. Die Thierseele also galt
für etwas Materielles oder wenigstens in ihrer formellen Erscheinung von der
Materie Untrennbares, ^während dem menschlichen, oft noch geringer erschei¬
nenden Geiste eine selbstständige Existenz meistens zugeschrieben wurde. Es
ergaben sich also Schwierigkeiten und Widersprüche, die wol auch noch ander¬
weitig lösbar sind, die aber jedenfalls schwinden, sobald man annimmt, daß
die materielle Organisation vermöge verschievenartig beschaffener und angeord¬
neter elektrischer Apparate die geistigen Verschiedenheiten bedingt. Zu be¬
dauern ist es nur, daß wir von diesen elektrischen Apparaten, höchstens erst
die ersten Spuren gefunden haben und daß wir also noch sehr, sehr lauge
vermuthlich zu warten haben, bis auch nur die geringste Erklärung der Seelen¬
thätigkeiten daraus hervorgehen könnte. Bis dahin können also Psychologen,
Philosophen und Theologen ihre unrichtigen oder richtigen Ansichten und
Theorien über Seele und Geist behalten und besprechen, ohne Furcht, daß
man ihnen mit der Multiplicatornadel etwas ganz Anderes nachweise. Bei
dem gegenwärtigen Stande der Forschung können die Physiologen, als solche,
über die Existenz einer Seele oder gar über die Selbstständigkeit, d. h. Unsterb¬
lichkeit gar nicht einmal reden und es ist zu bedauern, wenn einzelne durch
voreilige Hypothesen in der einen oder andern Richtung die Fragen verwirren,
unter sich oder mit andern Facultäten unnützen Streit anfangen. Es ist höchst
erfreulich und legt von der Besonnenheit der Naturforscher das günstigste
Zeugniß ab, daß trotz der gegebenen Veranlassung kaum jemand ein Interesse
an der Äusfechtung eines so unfruchtbaren Streites gezeigt hat.

Wir haben gesehen, wie sehr die Naturforscher im Recht waren und wie
sie glänzende Resultate erreichten, während sie aus dem Boden des Materialis¬
mus, der reinen Naturbeobachtung blieben, wir haben erfahren, wie ihre Ver¬
sammlung selbst das Bestreben, wieder mit naturphilosophischen Hypothesen
aufzutreten, mißbilligend zurückgewiesen hat, aber wir versichern, daß sie sich
keineswegs um das Zetergeschrei derjenigen kümmern werden, welche ihnen den
Materialismus ihrer eigentlichen Forschungen zum Verbrechen machen wollen.
Dieser Vorwurf rührte ursprünglich von dem Geschlechte der Naturphilosophen


Grenzboten. IV. äLöi. 32

letzterer auch durch höhere Geistesfähigkeiten sich auszeichnete, so waren doch
die Uebergangsformen in jenen unglücklichen, hirnarmen Cretins und andern
Blödsinnigen zu finden, denen selbst das Hauptunterscheidungsmerkmal, die
Sprache, fehlte; denn es gibt verkümmerte Menschen, welchen ohne Zweifel
weniger Geistesfähigkeiten von Natur zu Theil geworden sind, als manchen
Thieren, Dennoch mußte man sich hier gewaltsam helfen durch die Trennung
von Seele und Geist, letzteren schrieb man lediglich den Menschen zu, selbst
denen, bei welchen man durchaus kemen bemerken konnte, man ertheilte ihm
das Prädicat der Selbstständigkeit, Unsterblichkeit, während dies von der
Thierseele zu behaupten niemandem eingefallen ist. Die Thierseele also galt
für etwas Materielles oder wenigstens in ihrer formellen Erscheinung von der
Materie Untrennbares, ^während dem menschlichen, oft noch geringer erschei¬
nenden Geiste eine selbstständige Existenz meistens zugeschrieben wurde. Es
ergaben sich also Schwierigkeiten und Widersprüche, die wol auch noch ander¬
weitig lösbar sind, die aber jedenfalls schwinden, sobald man annimmt, daß
die materielle Organisation vermöge verschievenartig beschaffener und angeord¬
neter elektrischer Apparate die geistigen Verschiedenheiten bedingt. Zu be¬
dauern ist es nur, daß wir von diesen elektrischen Apparaten, höchstens erst
die ersten Spuren gefunden haben und daß wir also noch sehr, sehr lauge
vermuthlich zu warten haben, bis auch nur die geringste Erklärung der Seelen¬
thätigkeiten daraus hervorgehen könnte. Bis dahin können also Psychologen,
Philosophen und Theologen ihre unrichtigen oder richtigen Ansichten und
Theorien über Seele und Geist behalten und besprechen, ohne Furcht, daß
man ihnen mit der Multiplicatornadel etwas ganz Anderes nachweise. Bei
dem gegenwärtigen Stande der Forschung können die Physiologen, als solche,
über die Existenz einer Seele oder gar über die Selbstständigkeit, d. h. Unsterb¬
lichkeit gar nicht einmal reden und es ist zu bedauern, wenn einzelne durch
voreilige Hypothesen in der einen oder andern Richtung die Fragen verwirren,
unter sich oder mit andern Facultäten unnützen Streit anfangen. Es ist höchst
erfreulich und legt von der Besonnenheit der Naturforscher das günstigste
Zeugniß ab, daß trotz der gegebenen Veranlassung kaum jemand ein Interesse
an der Äusfechtung eines so unfruchtbaren Streites gezeigt hat.

Wir haben gesehen, wie sehr die Naturforscher im Recht waren und wie
sie glänzende Resultate erreichten, während sie aus dem Boden des Materialis¬
mus, der reinen Naturbeobachtung blieben, wir haben erfahren, wie ihre Ver¬
sammlung selbst das Bestreben, wieder mit naturphilosophischen Hypothesen
aufzutreten, mißbilligend zurückgewiesen hat, aber wir versichern, daß sie sich
keineswegs um das Zetergeschrei derjenigen kümmern werden, welche ihnen den
Materialismus ihrer eigentlichen Forschungen zum Verbrechen machen wollen.
Dieser Vorwurf rührte ursprünglich von dem Geschlechte der Naturphilosophen


Grenzboten. IV. äLöi. 32
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[0257] letzterer auch durch höhere Geistesfähigkeiten sich auszeichnete, so waren doch die Uebergangsformen in jenen unglücklichen, hirnarmen Cretins und andern Blödsinnigen zu finden, denen selbst das Hauptunterscheidungsmerkmal, die Sprache, fehlte; denn es gibt verkümmerte Menschen, welchen ohne Zweifel weniger Geistesfähigkeiten von Natur zu Theil geworden sind, als manchen Thieren, Dennoch mußte man sich hier gewaltsam helfen durch die Trennung von Seele und Geist, letzteren schrieb man lediglich den Menschen zu, selbst denen, bei welchen man durchaus kemen bemerken konnte, man ertheilte ihm das Prädicat der Selbstständigkeit, Unsterblichkeit, während dies von der Thierseele zu behaupten niemandem eingefallen ist. Die Thierseele also galt für etwas Materielles oder wenigstens in ihrer formellen Erscheinung von der Materie Untrennbares, ^während dem menschlichen, oft noch geringer erschei¬ nenden Geiste eine selbstständige Existenz meistens zugeschrieben wurde. Es ergaben sich also Schwierigkeiten und Widersprüche, die wol auch noch ander¬ weitig lösbar sind, die aber jedenfalls schwinden, sobald man annimmt, daß die materielle Organisation vermöge verschievenartig beschaffener und angeord¬ neter elektrischer Apparate die geistigen Verschiedenheiten bedingt. Zu be¬ dauern ist es nur, daß wir von diesen elektrischen Apparaten, höchstens erst die ersten Spuren gefunden haben und daß wir also noch sehr, sehr lauge vermuthlich zu warten haben, bis auch nur die geringste Erklärung der Seelen¬ thätigkeiten daraus hervorgehen könnte. Bis dahin können also Psychologen, Philosophen und Theologen ihre unrichtigen oder richtigen Ansichten und Theorien über Seele und Geist behalten und besprechen, ohne Furcht, daß man ihnen mit der Multiplicatornadel etwas ganz Anderes nachweise. Bei dem gegenwärtigen Stande der Forschung können die Physiologen, als solche, über die Existenz einer Seele oder gar über die Selbstständigkeit, d. h. Unsterb¬ lichkeit gar nicht einmal reden und es ist zu bedauern, wenn einzelne durch voreilige Hypothesen in der einen oder andern Richtung die Fragen verwirren, unter sich oder mit andern Facultäten unnützen Streit anfangen. Es ist höchst erfreulich und legt von der Besonnenheit der Naturforscher das günstigste Zeugniß ab, daß trotz der gegebenen Veranlassung kaum jemand ein Interesse an der Äusfechtung eines so unfruchtbaren Streites gezeigt hat. Wir haben gesehen, wie sehr die Naturforscher im Recht waren und wie sie glänzende Resultate erreichten, während sie aus dem Boden des Materialis¬ mus, der reinen Naturbeobachtung blieben, wir haben erfahren, wie ihre Ver¬ sammlung selbst das Bestreben, wieder mit naturphilosophischen Hypothesen aufzutreten, mißbilligend zurückgewiesen hat, aber wir versichern, daß sie sich keineswegs um das Zetergeschrei derjenigen kümmern werden, welche ihnen den Materialismus ihrer eigentlichen Forschungen zum Verbrechen machen wollen. Dieser Vorwurf rührte ursprünglich von dem Geschlechte der Naturphilosophen Grenzboten. IV. äLöi. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/257>, abgerufen am 29.12.2024.