Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.Indessen, wenn auch der herausgeforderte Feind der immateriellen Seele nicht Historisch läßt es sich sehr leicht erklären, wie eine Anzahl der Natur¬ Indessen, wenn auch der herausgeforderte Feind der immateriellen Seele nicht Historisch läßt es sich sehr leicht erklären, wie eine Anzahl der Natur¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0255" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98569"/> <p xml:id="ID_812" prev="#ID_811"> Indessen, wenn auch der herausgeforderte Feind der immateriellen Seele nicht<lb/> ausweichen zu dürfen glaubte, so fand die Sache doch zu allgemeine Mi߬<lb/> billigung, als daß nicht Wagner sie wieder hätte fallen lassen. Die Er¬<lb/> innerung an die, mittelalterlichen Religionsdisputationen lag zu nahe und die<lb/> versammelten Naturforscher waren sich ihrer Aufgabe, der Beobachtung lind<lb/> Forschung, und nicht der Wortgefechte, zu bewußt, um irgendein Interesse an<lb/> solchem Streite nehmen zu können. Aber für das größere Publicum, welches<lb/> den eigentlichen Stand der Frage nicht kennt und deshalb je nach Umständen<lb/> entweder in das Zetergeschrei über den Materialismus der Naturforscher ein¬<lb/> zustimmen oder durch die jetzt so gebieterisch auftretende Autorität derselben gar<lb/> an der Wirklichkeit der eignen Seele zu zweifeln bewogen werden könnte, für<lb/> dieses muß es von Wichtigkeit sein zu wissen, was eigentlich verhandelt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_813" next="#ID_814"> Historisch läßt es sich sehr leicht erklären, wie eine Anzahl der Natur¬<lb/> forscher und grade diejenigen, welche am lebhaftesten an der neuesten Richtung<lb/> der Physiologie sich betheiligten, an dem Dasein einer Seele zu zweifeln be¬<lb/> ginnen konnten. Die Art von Naturphilosophie nämlich, welche zu Anfang<lb/> dieses Jahrhunderts der Naturwissenschaften sich bemächtigte, hatte allerdings<lb/> viel dazu beigetragen, dem rohen Empirismus ein Ziel zu setzen und die Natur¬<lb/> forscher an wirkliches Denken zu gewöhnen, dagegen aber namentlich die Phy¬<lb/> siologie mit massenhaftem Unsinn angefüllt. Es galt als Regel, nichts un¬<lb/> erklärt zu lassen, nie das Nichtwissen zu gestehen, und so stellten sich denn bei<lb/> gänzlichem Mangel an Begriffen Wörter genug, aber sehr zur Unzeit ein. Die<lb/> Lebenskraft, Dynamik, Polaritäten u. s. w. erklärten alles und merkwürdiger¬<lb/> weise ist es erst seit etwa zehn Jahren allgemeine Sitte geworden, solche Wörter<lb/> mit „unbekannt" ins Deutliche zu übersetzen und das, was beobachtet und<lb/> erforscht ist, von dem, was wir nicht wissen, scharf zu trennen. Seiner Zeit<lb/> erregte es eine Art Entsetzen, als das Herz ein Pumpwerk genannt wurde,<lb/> es galt als Eingriff in das Heiligthum der Lebenskraft, keine Dynamik, d. h.<lb/> keine unbekannte mystische Kraft dabei zu statuiren und Wagner selbst ergötzte<lb/> sich über einen nicht witzlosen, aber ganz verfehlten Angriff, in welchem er<lb/> seiner angeblich materiellen Gesinnung wegen mit seinem Namensvetter im<lb/> Faust verglichen wurde. Indessen die überzeugende Kraft der Wahrheit war<lb/> zu groß und die großen Naturforscher, deren Leistungen den besten Beweis<lb/> ungebrochener, nationaler, eigenthümlicher Geisteskraft liefern, schritten auf<lb/> dem einzig richtigen Wege fort und entdeckten durch Verbindung mühsamer und<lb/> sorgfältiger Beobachtungen und Experimente mit der scharfsinnigsten Combi¬<lb/> nation ungeahnte Naturgeheimnisfe. Die Lebenskraft sing an, sich in phy¬<lb/> sikalische und chemische Gesetze aufzulösen, sie wurde aus der Wissenschaft ver¬<lb/> bannt und nur die Seelenthätigkeit zugelassen, als deren Sitz- man allgemein<lb/> das Nervensystem im allgemeinen anerkannte. Hier war die Grenze zwischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0255]
Indessen, wenn auch der herausgeforderte Feind der immateriellen Seele nicht
ausweichen zu dürfen glaubte, so fand die Sache doch zu allgemeine Mi߬
billigung, als daß nicht Wagner sie wieder hätte fallen lassen. Die Er¬
innerung an die, mittelalterlichen Religionsdisputationen lag zu nahe und die
versammelten Naturforscher waren sich ihrer Aufgabe, der Beobachtung lind
Forschung, und nicht der Wortgefechte, zu bewußt, um irgendein Interesse an
solchem Streite nehmen zu können. Aber für das größere Publicum, welches
den eigentlichen Stand der Frage nicht kennt und deshalb je nach Umständen
entweder in das Zetergeschrei über den Materialismus der Naturforscher ein¬
zustimmen oder durch die jetzt so gebieterisch auftretende Autorität derselben gar
an der Wirklichkeit der eignen Seele zu zweifeln bewogen werden könnte, für
dieses muß es von Wichtigkeit sein zu wissen, was eigentlich verhandelt wird.
Historisch läßt es sich sehr leicht erklären, wie eine Anzahl der Natur¬
forscher und grade diejenigen, welche am lebhaftesten an der neuesten Richtung
der Physiologie sich betheiligten, an dem Dasein einer Seele zu zweifeln be¬
ginnen konnten. Die Art von Naturphilosophie nämlich, welche zu Anfang
dieses Jahrhunderts der Naturwissenschaften sich bemächtigte, hatte allerdings
viel dazu beigetragen, dem rohen Empirismus ein Ziel zu setzen und die Natur¬
forscher an wirkliches Denken zu gewöhnen, dagegen aber namentlich die Phy¬
siologie mit massenhaftem Unsinn angefüllt. Es galt als Regel, nichts un¬
erklärt zu lassen, nie das Nichtwissen zu gestehen, und so stellten sich denn bei
gänzlichem Mangel an Begriffen Wörter genug, aber sehr zur Unzeit ein. Die
Lebenskraft, Dynamik, Polaritäten u. s. w. erklärten alles und merkwürdiger¬
weise ist es erst seit etwa zehn Jahren allgemeine Sitte geworden, solche Wörter
mit „unbekannt" ins Deutliche zu übersetzen und das, was beobachtet und
erforscht ist, von dem, was wir nicht wissen, scharf zu trennen. Seiner Zeit
erregte es eine Art Entsetzen, als das Herz ein Pumpwerk genannt wurde,
es galt als Eingriff in das Heiligthum der Lebenskraft, keine Dynamik, d. h.
keine unbekannte mystische Kraft dabei zu statuiren und Wagner selbst ergötzte
sich über einen nicht witzlosen, aber ganz verfehlten Angriff, in welchem er
seiner angeblich materiellen Gesinnung wegen mit seinem Namensvetter im
Faust verglichen wurde. Indessen die überzeugende Kraft der Wahrheit war
zu groß und die großen Naturforscher, deren Leistungen den besten Beweis
ungebrochener, nationaler, eigenthümlicher Geisteskraft liefern, schritten auf
dem einzig richtigen Wege fort und entdeckten durch Verbindung mühsamer und
sorgfältiger Beobachtungen und Experimente mit der scharfsinnigsten Combi¬
nation ungeahnte Naturgeheimnisfe. Die Lebenskraft sing an, sich in phy¬
sikalische und chemische Gesetze aufzulösen, sie wurde aus der Wissenschaft ver¬
bannt und nur die Seelenthätigkeit zugelassen, als deren Sitz- man allgemein
das Nervensystem im allgemeinen anerkannte. Hier war die Grenze zwischen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |