Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.Weiberfeind darzustellen sucht: wenn man sich nämlich vielfach in einem be¬ Weiberfeind darzustellen sucht: wenn man sich nämlich vielfach in einem be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98553"/> <p xml:id="ID_768" prev="#ID_767" next="#ID_769"> Weiberfeind darzustellen sucht: wenn man sich nämlich vielfach in einem be¬<lb/> stimmten Kreise von Vorstellungen bewegt, so verräth das doch eine gewisse<lb/> Neigung, — In den Aussprüchen sind manche recht originell und ergötzlich.<lb/> Wir wollen einige davon anführen. So spricht einmal Frau von Girardin<lb/> von der Gewohnheit Balzacs, seine Liebesverhältnisse in der Regel in das<lb/> dreißigste Jahr zu verlegen: „Das ist nicht die Schuld des Herrn von Balzac;<lb/> der Dichter ist gezwungen, die Leidenschaft da zu malen, wo er sie findet, und<lb/> man findet sie nicht mehr in einem Herzen von sechszehn Jahren. Ehemals<lb/> ließ sich ein junges Mädchen durch einen Musketier entführen, sie entfloh'<lb/> aus dem Kloster über die Mauer, und die Romane dieser Epoche wimmelten<lb/> von Klöstern, Musketieren,' Strickleitern und Entführern. Julie liebte Se.<lb/> Preur mit achtzehn Jahren, mit zweiundzwanzig Jahren heirathete sie aus<lb/> Gehorsam Herrn von Volmar; so war die Sitte deS Zeitalters. Damals<lb/> sprach das Herz mit sechszehn Jahren; heute wartet es länger, um gerührt<lb/> zu werden. Heute fängt Julie, das ehrgeizige und eitle Mädchen, an, mit<lb/> achtzehn Jahren freiwillig Herrn von Volmar zu heirathen, dann mit fünf¬<lb/> undzwanzig Jahren kommt sie von den Trugbildern ihrer Eitelkeit zurück und<lb/> entflieht mit Se. Preux aus Liebe; denn die Träume der Jugend sind heute<lb/> Träume des Stolzes. Ein junges Mädchen heirathet einen jungen Mann<lb/> nur unter der Bedingung, daß er ihr einen Rang in der Welt, ein gesichertes<lb/> Vermögen, ein wohlausgestattetes Haus verschafft. Einem jungen Mann<lb/> ohne Aussichten würde man einen Greis vorziehen, der nichts mehr zu hoffen<lb/> hat. Heute würde Racines Junta bald Nero vorziehen, um Kaiserin zu<lb/> sein; Manon Leöcaut würde dem Ritter Deögrieur die Thüre weisen, um<lb/> einen alten Marschall zu fangen; Virginie würde Paul verlassen, um Herrn<lb/> de la Bourdvnnaye zu hei-rathen; selbst Atala würde dem schönen Chactaö<lb/> den Pater Aubry vorziehen, wenn dieser nicht das Gelübde der Armuth ab¬<lb/> gelegt hätte. Betrachtet doch nur die leidenschaftlichen Frauen, die heute von<lb/> sich reden machen. Alle haben mit einer Heirath des Ehrgeizes begonnen; alle<lb/> haben reich sein wollen, gnädige Frauen und Gräfinnen, bevor sie daran<lb/> dachten, geliebt zu werden. Erst nachdem sie die Eitelkeit der Eitelkeit erkann¬<lb/> ten, haben sie sich zur Liebe entschlossen. Ja, es gibt einzelne, die unbefangen<lb/> wieder zu ihrer Vergangenheit zurückkehren, und die mit 28 oder 30 Jahren<lb/> sich leidenschaftlich für den jungen Mann aufopfern-, dem sie mit 17 Jahren<lb/> einen Korb gaben. Herr von Balzac hat also vollkommen Recht, die Leiden¬<lb/> schaft da zu malen, wo er sie findet, das heißt außerhalb des natürlichen<lb/> Alters. Freilich ist das langweilig für die Nomanleser, aber noch viel trauri¬<lb/> ger für die jungen Leute, die von Liebe träumen und genöthigt sind, in ihren<lb/> Entzückungen auszurufen: „O wie ich sie liebe! Wie schön muß sie gewesen<lb/> sein!" — Recht artig ist auch die Darstellung von Victor Roqueplan über</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0239]
Weiberfeind darzustellen sucht: wenn man sich nämlich vielfach in einem be¬
stimmten Kreise von Vorstellungen bewegt, so verräth das doch eine gewisse
Neigung, — In den Aussprüchen sind manche recht originell und ergötzlich.
Wir wollen einige davon anführen. So spricht einmal Frau von Girardin
von der Gewohnheit Balzacs, seine Liebesverhältnisse in der Regel in das
dreißigste Jahr zu verlegen: „Das ist nicht die Schuld des Herrn von Balzac;
der Dichter ist gezwungen, die Leidenschaft da zu malen, wo er sie findet, und
man findet sie nicht mehr in einem Herzen von sechszehn Jahren. Ehemals
ließ sich ein junges Mädchen durch einen Musketier entführen, sie entfloh'
aus dem Kloster über die Mauer, und die Romane dieser Epoche wimmelten
von Klöstern, Musketieren,' Strickleitern und Entführern. Julie liebte Se.
Preur mit achtzehn Jahren, mit zweiundzwanzig Jahren heirathete sie aus
Gehorsam Herrn von Volmar; so war die Sitte deS Zeitalters. Damals
sprach das Herz mit sechszehn Jahren; heute wartet es länger, um gerührt
zu werden. Heute fängt Julie, das ehrgeizige und eitle Mädchen, an, mit
achtzehn Jahren freiwillig Herrn von Volmar zu heirathen, dann mit fünf¬
undzwanzig Jahren kommt sie von den Trugbildern ihrer Eitelkeit zurück und
entflieht mit Se. Preux aus Liebe; denn die Träume der Jugend sind heute
Träume des Stolzes. Ein junges Mädchen heirathet einen jungen Mann
nur unter der Bedingung, daß er ihr einen Rang in der Welt, ein gesichertes
Vermögen, ein wohlausgestattetes Haus verschafft. Einem jungen Mann
ohne Aussichten würde man einen Greis vorziehen, der nichts mehr zu hoffen
hat. Heute würde Racines Junta bald Nero vorziehen, um Kaiserin zu
sein; Manon Leöcaut würde dem Ritter Deögrieur die Thüre weisen, um
einen alten Marschall zu fangen; Virginie würde Paul verlassen, um Herrn
de la Bourdvnnaye zu hei-rathen; selbst Atala würde dem schönen Chactaö
den Pater Aubry vorziehen, wenn dieser nicht das Gelübde der Armuth ab¬
gelegt hätte. Betrachtet doch nur die leidenschaftlichen Frauen, die heute von
sich reden machen. Alle haben mit einer Heirath des Ehrgeizes begonnen; alle
haben reich sein wollen, gnädige Frauen und Gräfinnen, bevor sie daran
dachten, geliebt zu werden. Erst nachdem sie die Eitelkeit der Eitelkeit erkann¬
ten, haben sie sich zur Liebe entschlossen. Ja, es gibt einzelne, die unbefangen
wieder zu ihrer Vergangenheit zurückkehren, und die mit 28 oder 30 Jahren
sich leidenschaftlich für den jungen Mann aufopfern-, dem sie mit 17 Jahren
einen Korb gaben. Herr von Balzac hat also vollkommen Recht, die Leiden¬
schaft da zu malen, wo er sie findet, das heißt außerhalb des natürlichen
Alters. Freilich ist das langweilig für die Nomanleser, aber noch viel trauri¬
ger für die jungen Leute, die von Liebe träumen und genöthigt sind, in ihren
Entzückungen auszurufen: „O wie ich sie liebe! Wie schön muß sie gewesen
sein!" — Recht artig ist auch die Darstellung von Victor Roqueplan über
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