Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Figuren, also etwa den Husaren und die Frau gelegt sein sollte, so daß sich
die andern mehr unterordnend jenen mehr das Hauptinteresse lassen; jetzt sieht
man bald auf diese, bald auf jene Figur, und man hat, wie gesagt, an jeder
seine Freude, aber nicht an dem Ganzen im Zusammenhange. Nun kommt
noch eins dazu, daß nämlich alle Figuren sich zwar auf verschiedene Weise
äußern, aber dabei doch nicht innerlich verschieden sind; alle haben dieselbe
weiche Gemüthlichkeit und es ist nur Zufall, nicht innere Nothwendigkeit, daß
nicht alle in gleicher' Weise lächeln. Selbst die Physiognomien haben zuviel
Aehnlichkeit. Das ist ein Fehler Meiers, der sich sonst noch in viel Höhen"
Grade zeigt, die gänzliche Unfähigkeit Charaktere zu erfinden und zu gestalten,
die sich in großer Monotonie äußert; nur der alte Vater ist anders, doch
können wir das nicht mit Lob erwähnen, da dessen greisenhafte Stumpfheit
in der froh behaglichen Familienscene etwas Störendes hat. Dennoch ist das
Bild recht anziehend, und es ist jedenfalls eins der besten, die uns von Meier
seit längerer Zeit zu Gesicht gekommen sind.

Seit wenigen Tagen ist auch das bereits im Katalog angekündigte Bild
von Kraus : " eine Feuersbrunst" auf der Ausstellung, das die Erwartungen,
die man von diesen" höchst talentvollen Künstler hegen durfte, durchaus nicht
erfüllt. Eine Feuersbrunst bietet wol bedeutendere, ergreifendere Motive, als
eine Menge wirr durcheinanderlaufender Leute, die ihre sieben Sachen in
Sicherheit zu bringen bemüht sind. Daß weiter zurück ein alter Mann jammernd
nach der ausbrechenden Flamme sieht, will nichts sagen. Wir sehen sehr deutlich
den Vorgang, aber wir können nicht im mindesten ergriffen werden; man sieht,
die Leute kommen noch alle in Sicherheit, und um die paar alten Teller, die
vielleicht zerbrochen werden, eine Wanduhr u. tgi., um die sie sich sehr zer-
haoen, können wir uns nicht milgrämen. Wir wiederholen es, bei einer
Feuersbrunst hätten sich wol viel fruchtbarere Momente und interessantere
Motive finden lassen, die Herr Kraus bei seinem großen Talent zu einem er¬
greifenden Bilde hätte gestalten können. War es vielleicht Absicht (nach der
Doctrin einiger modernen Franzosen), den rein materiellen Hergang der Sache,
wie er sich im Leben zuzutragen pflegt, darzustellen, dann um so schlimmer!
Hat Herr Kraus nicht soviel poetische Kraft in sich, dem fremden materiali¬
stischen Einfluß zu widerstehen, so mag er solchem lieber ausweichen, er möchte
also lieber nicht in Paris bleiben. Denn haben wir dieses Bild seinem
Pariser Aufenthalt zuzuschreiben, so können wir eben nicht sagen, daß wir
davon hier irgendeinen guten Einfluß entdecken. Die Technik ist höchst gewandt,
der nächtliche Ton der Luft und der ganzen Umgebung vortrefflich; wie sollte
das aber Herr Kraus nicht vortrefflich machen, er konnte es schon früher.
Sein Talent, das Charakteristische in Physiognomien und Gestalten aufzufassen --
auch dieses finden wir hier wieder, aber wir können uns nicht mehr in dem


Figuren, also etwa den Husaren und die Frau gelegt sein sollte, so daß sich
die andern mehr unterordnend jenen mehr das Hauptinteresse lassen; jetzt sieht
man bald auf diese, bald auf jene Figur, und man hat, wie gesagt, an jeder
seine Freude, aber nicht an dem Ganzen im Zusammenhange. Nun kommt
noch eins dazu, daß nämlich alle Figuren sich zwar auf verschiedene Weise
äußern, aber dabei doch nicht innerlich verschieden sind; alle haben dieselbe
weiche Gemüthlichkeit und es ist nur Zufall, nicht innere Nothwendigkeit, daß
nicht alle in gleicher' Weise lächeln. Selbst die Physiognomien haben zuviel
Aehnlichkeit. Das ist ein Fehler Meiers, der sich sonst noch in viel Höhen»
Grade zeigt, die gänzliche Unfähigkeit Charaktere zu erfinden und zu gestalten,
die sich in großer Monotonie äußert; nur der alte Vater ist anders, doch
können wir das nicht mit Lob erwähnen, da dessen greisenhafte Stumpfheit
in der froh behaglichen Familienscene etwas Störendes hat. Dennoch ist das
Bild recht anziehend, und es ist jedenfalls eins der besten, die uns von Meier
seit längerer Zeit zu Gesicht gekommen sind.

Seit wenigen Tagen ist auch das bereits im Katalog angekündigte Bild
von Kraus : „ eine Feuersbrunst" auf der Ausstellung, das die Erwartungen,
die man von diesen» höchst talentvollen Künstler hegen durfte, durchaus nicht
erfüllt. Eine Feuersbrunst bietet wol bedeutendere, ergreifendere Motive, als
eine Menge wirr durcheinanderlaufender Leute, die ihre sieben Sachen in
Sicherheit zu bringen bemüht sind. Daß weiter zurück ein alter Mann jammernd
nach der ausbrechenden Flamme sieht, will nichts sagen. Wir sehen sehr deutlich
den Vorgang, aber wir können nicht im mindesten ergriffen werden; man sieht,
die Leute kommen noch alle in Sicherheit, und um die paar alten Teller, die
vielleicht zerbrochen werden, eine Wanduhr u. tgi., um die sie sich sehr zer-
haoen, können wir uns nicht milgrämen. Wir wiederholen es, bei einer
Feuersbrunst hätten sich wol viel fruchtbarere Momente und interessantere
Motive finden lassen, die Herr Kraus bei seinem großen Talent zu einem er¬
greifenden Bilde hätte gestalten können. War es vielleicht Absicht (nach der
Doctrin einiger modernen Franzosen), den rein materiellen Hergang der Sache,
wie er sich im Leben zuzutragen pflegt, darzustellen, dann um so schlimmer!
Hat Herr Kraus nicht soviel poetische Kraft in sich, dem fremden materiali¬
stischen Einfluß zu widerstehen, so mag er solchem lieber ausweichen, er möchte
also lieber nicht in Paris bleiben. Denn haben wir dieses Bild seinem
Pariser Aufenthalt zuzuschreiben, so können wir eben nicht sagen, daß wir
davon hier irgendeinen guten Einfluß entdecken. Die Technik ist höchst gewandt,
der nächtliche Ton der Luft und der ganzen Umgebung vortrefflich; wie sollte
das aber Herr Kraus nicht vortrefflich machen, er konnte es schon früher.
Sein Talent, das Charakteristische in Physiognomien und Gestalten aufzufassen —
auch dieses finden wir hier wieder, aber wir können uns nicht mehr in dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98528"/>
          <p xml:id="ID_664" prev="#ID_663"> Figuren, also etwa den Husaren und die Frau gelegt sein sollte, so daß sich<lb/>
die andern mehr unterordnend jenen mehr das Hauptinteresse lassen; jetzt sieht<lb/>
man bald auf diese, bald auf jene Figur, und man hat, wie gesagt, an jeder<lb/>
seine Freude, aber nicht an dem Ganzen im Zusammenhange. Nun kommt<lb/>
noch eins dazu, daß nämlich alle Figuren sich zwar auf verschiedene Weise<lb/>
äußern, aber dabei doch nicht innerlich verschieden sind; alle haben dieselbe<lb/>
weiche Gemüthlichkeit und es ist nur Zufall, nicht innere Nothwendigkeit, daß<lb/>
nicht alle in gleicher' Weise lächeln. Selbst die Physiognomien haben zuviel<lb/>
Aehnlichkeit. Das ist ein Fehler Meiers, der sich sonst noch in viel Höhen»<lb/>
Grade zeigt, die gänzliche Unfähigkeit Charaktere zu erfinden und zu gestalten,<lb/>
die sich in großer Monotonie äußert; nur der alte Vater ist anders, doch<lb/>
können wir das nicht mit Lob erwähnen, da dessen greisenhafte Stumpfheit<lb/>
in der froh behaglichen Familienscene etwas Störendes hat. Dennoch ist das<lb/>
Bild recht anziehend, und es ist jedenfalls eins der besten, die uns von Meier<lb/>
seit längerer Zeit zu Gesicht gekommen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_665" next="#ID_666"> Seit wenigen Tagen ist auch das bereits im Katalog angekündigte Bild<lb/>
von Kraus : &#x201E; eine Feuersbrunst" auf der Ausstellung, das die Erwartungen,<lb/>
die man von diesen» höchst talentvollen Künstler hegen durfte, durchaus nicht<lb/>
erfüllt. Eine Feuersbrunst bietet wol bedeutendere, ergreifendere Motive, als<lb/>
eine Menge wirr durcheinanderlaufender Leute, die ihre sieben Sachen in<lb/>
Sicherheit zu bringen bemüht sind. Daß weiter zurück ein alter Mann jammernd<lb/>
nach der ausbrechenden Flamme sieht, will nichts sagen. Wir sehen sehr deutlich<lb/>
den Vorgang, aber wir können nicht im mindesten ergriffen werden; man sieht,<lb/>
die Leute kommen noch alle in Sicherheit, und um die paar alten Teller, die<lb/>
vielleicht zerbrochen werden, eine Wanduhr u. tgi., um die sie sich sehr zer-<lb/>
haoen, können wir uns nicht milgrämen. Wir wiederholen es, bei einer<lb/>
Feuersbrunst hätten sich wol viel fruchtbarere Momente und interessantere<lb/>
Motive finden lassen, die Herr Kraus bei seinem großen Talent zu einem er¬<lb/>
greifenden Bilde hätte gestalten können. War es vielleicht Absicht (nach der<lb/>
Doctrin einiger modernen Franzosen), den rein materiellen Hergang der Sache,<lb/>
wie er sich im Leben zuzutragen pflegt, darzustellen, dann um so schlimmer!<lb/>
Hat Herr Kraus nicht soviel poetische Kraft in sich, dem fremden materiali¬<lb/>
stischen Einfluß zu widerstehen, so mag er solchem lieber ausweichen, er möchte<lb/>
also lieber nicht in Paris bleiben. Denn haben wir dieses Bild seinem<lb/>
Pariser Aufenthalt zuzuschreiben, so können wir eben nicht sagen, daß wir<lb/>
davon hier irgendeinen guten Einfluß entdecken. Die Technik ist höchst gewandt,<lb/>
der nächtliche Ton der Luft und der ganzen Umgebung vortrefflich; wie sollte<lb/>
das aber Herr Kraus nicht vortrefflich machen, er konnte es schon früher.<lb/>
Sein Talent, das Charakteristische in Physiognomien und Gestalten aufzufassen &#x2014;<lb/>
auch dieses finden wir hier wieder, aber wir können uns nicht mehr in dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] Figuren, also etwa den Husaren und die Frau gelegt sein sollte, so daß sich die andern mehr unterordnend jenen mehr das Hauptinteresse lassen; jetzt sieht man bald auf diese, bald auf jene Figur, und man hat, wie gesagt, an jeder seine Freude, aber nicht an dem Ganzen im Zusammenhange. Nun kommt noch eins dazu, daß nämlich alle Figuren sich zwar auf verschiedene Weise äußern, aber dabei doch nicht innerlich verschieden sind; alle haben dieselbe weiche Gemüthlichkeit und es ist nur Zufall, nicht innere Nothwendigkeit, daß nicht alle in gleicher' Weise lächeln. Selbst die Physiognomien haben zuviel Aehnlichkeit. Das ist ein Fehler Meiers, der sich sonst noch in viel Höhen» Grade zeigt, die gänzliche Unfähigkeit Charaktere zu erfinden und zu gestalten, die sich in großer Monotonie äußert; nur der alte Vater ist anders, doch können wir das nicht mit Lob erwähnen, da dessen greisenhafte Stumpfheit in der froh behaglichen Familienscene etwas Störendes hat. Dennoch ist das Bild recht anziehend, und es ist jedenfalls eins der besten, die uns von Meier seit längerer Zeit zu Gesicht gekommen sind. Seit wenigen Tagen ist auch das bereits im Katalog angekündigte Bild von Kraus : „ eine Feuersbrunst" auf der Ausstellung, das die Erwartungen, die man von diesen» höchst talentvollen Künstler hegen durfte, durchaus nicht erfüllt. Eine Feuersbrunst bietet wol bedeutendere, ergreifendere Motive, als eine Menge wirr durcheinanderlaufender Leute, die ihre sieben Sachen in Sicherheit zu bringen bemüht sind. Daß weiter zurück ein alter Mann jammernd nach der ausbrechenden Flamme sieht, will nichts sagen. Wir sehen sehr deutlich den Vorgang, aber wir können nicht im mindesten ergriffen werden; man sieht, die Leute kommen noch alle in Sicherheit, und um die paar alten Teller, die vielleicht zerbrochen werden, eine Wanduhr u. tgi., um die sie sich sehr zer- haoen, können wir uns nicht milgrämen. Wir wiederholen es, bei einer Feuersbrunst hätten sich wol viel fruchtbarere Momente und interessantere Motive finden lassen, die Herr Kraus bei seinem großen Talent zu einem er¬ greifenden Bilde hätte gestalten können. War es vielleicht Absicht (nach der Doctrin einiger modernen Franzosen), den rein materiellen Hergang der Sache, wie er sich im Leben zuzutragen pflegt, darzustellen, dann um so schlimmer! Hat Herr Kraus nicht soviel poetische Kraft in sich, dem fremden materiali¬ stischen Einfluß zu widerstehen, so mag er solchem lieber ausweichen, er möchte also lieber nicht in Paris bleiben. Denn haben wir dieses Bild seinem Pariser Aufenthalt zuzuschreiben, so können wir eben nicht sagen, daß wir davon hier irgendeinen guten Einfluß entdecken. Die Technik ist höchst gewandt, der nächtliche Ton der Luft und der ganzen Umgebung vortrefflich; wie sollte das aber Herr Kraus nicht vortrefflich machen, er konnte es schon früher. Sein Talent, das Charakteristische in Physiognomien und Gestalten aufzufassen — auch dieses finden wir hier wieder, aber wir können uns nicht mehr in dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/214>, abgerufen am 22.07.2024.