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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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der Gegenpartei aus. Nun schlägt aber Harthausen die kriegsbereite russische
Armee in seinen bekannten "Studien" auf

368 Bataillone,
i6l> Schwadronen und
'^Batterien

an, wozu, je nach Bedürfniß,

98,000 Mann Reserven ersten Aufgebots und
115,000 Mann Reserven zweiten Aufgebots

treten.

, Dieses Bedürfniß ist, wie unzweifelhaft feststeht, seit Beginn des Feldzugs
und im besondern nach der Kriegserklärung der Westmächte eingetreten; und
zwar sind jene Reserven nicht als neue geschlossene Truppenkörper ans dem
Kriegsschauplatze aufgetreten: sondern man hat sie verwendet, um damit die
Lücken, welche Gefechte, Desertion und im besonderen Krankheit in den Reihen
der Linienbataillone gerissen hatten, auszufüllen.

Der in die Organisation der russischen Wehrkräfte Uneingeweihte wird
nicht umhin können, über das Mißverhältniß zwischen dem numerischen Bestand
der Reservetruppeu gegenüber der Linie erstaunt zu sein, obwol dieses Mißver¬
hältniß ohne Frage noch ein weit größeres ist, als aus Harthausenö Angaben
hervorzugehen scheint. Im Gegensatz zu der in Preußen durchschnittlich auf
zweiundeinhalb Jahre anzuschlagenden Dienstzeit hat nämlich der russische Sol¬
dat fünfzehn Jahre zu dienen, was soviel sagen will, als daß aus den Reihen
der preußischen Linie unter zwei bis drei Mann jährlich einer in die Reserve
übertritt, während dies im Zarenreich erst auf den fünfzehnten Mann Anwen¬
dung findet. Mit andern Worten: Preußens Armeeorganisation erlaubt, bei
gleicher Stärke der'Bataillone und Schwadronen, aus jedem dieser Truppen¬
theile jährlich den sechsfacher Betrag an Reserven auszubilden. Aber dieser
Unterschied ist vorerst nur als Resultat eines flüchtigen Ueberschlags anzusehn;
nach reiflicher Erwägung der Nebenumstände wird er sich noch als bedeutend
größer herausstellen. Denn man darf offenbar nicht unberücksichtigt lassen,
daß die Gesammtzahl der jährlich zur fünfzehnjährigen Dienstzeit in Rußland
Ausgehobenen während derselben durch Sterblichkeit vermindert wird und bei
der anerkannt schlechten Verpflegung, den Hungermärscheu und Strapazen
wahrscheinlich nur die Hälfte ihre Entlassung erlebt. /Außerdem wird aber der
fünfzehn Jahre dienende russische Soldat an Manneskraft nicht im entfernteste,!
mit dem rüstigen preußischen Kriegsreservisten und Landwehrmann ersten und
zweiten Aufgebots zu vergleichen sein. Im besten Falle ist er eine geschwächte,
wenn nicht völlig auögebrauchte, aufgeriebene .Kraft.

Eine Armeereserve, die so langsam erzeugt wird, besitzt nicht die Fähigkeit,
im Fall gehabter Verluste sich schnell wieder zu completiren. Darum kann im


der Gegenpartei aus. Nun schlägt aber Harthausen die kriegsbereite russische
Armee in seinen bekannten „Studien" auf

368 Bataillone,
i6l> Schwadronen und
'^Batterien

an, wozu, je nach Bedürfniß,

98,000 Mann Reserven ersten Aufgebots und
115,000 Mann Reserven zweiten Aufgebots

treten.

, Dieses Bedürfniß ist, wie unzweifelhaft feststeht, seit Beginn des Feldzugs
und im besondern nach der Kriegserklärung der Westmächte eingetreten; und
zwar sind jene Reserven nicht als neue geschlossene Truppenkörper ans dem
Kriegsschauplatze aufgetreten: sondern man hat sie verwendet, um damit die
Lücken, welche Gefechte, Desertion und im besonderen Krankheit in den Reihen
der Linienbataillone gerissen hatten, auszufüllen.

Der in die Organisation der russischen Wehrkräfte Uneingeweihte wird
nicht umhin können, über das Mißverhältniß zwischen dem numerischen Bestand
der Reservetruppeu gegenüber der Linie erstaunt zu sein, obwol dieses Mißver¬
hältniß ohne Frage noch ein weit größeres ist, als aus Harthausenö Angaben
hervorzugehen scheint. Im Gegensatz zu der in Preußen durchschnittlich auf
zweiundeinhalb Jahre anzuschlagenden Dienstzeit hat nämlich der russische Sol¬
dat fünfzehn Jahre zu dienen, was soviel sagen will, als daß aus den Reihen
der preußischen Linie unter zwei bis drei Mann jährlich einer in die Reserve
übertritt, während dies im Zarenreich erst auf den fünfzehnten Mann Anwen¬
dung findet. Mit andern Worten: Preußens Armeeorganisation erlaubt, bei
gleicher Stärke der'Bataillone und Schwadronen, aus jedem dieser Truppen¬
theile jährlich den sechsfacher Betrag an Reserven auszubilden. Aber dieser
Unterschied ist vorerst nur als Resultat eines flüchtigen Ueberschlags anzusehn;
nach reiflicher Erwägung der Nebenumstände wird er sich noch als bedeutend
größer herausstellen. Denn man darf offenbar nicht unberücksichtigt lassen,
daß die Gesammtzahl der jährlich zur fünfzehnjährigen Dienstzeit in Rußland
Ausgehobenen während derselben durch Sterblichkeit vermindert wird und bei
der anerkannt schlechten Verpflegung, den Hungermärscheu und Strapazen
wahrscheinlich nur die Hälfte ihre Entlassung erlebt. /Außerdem wird aber der
fünfzehn Jahre dienende russische Soldat an Manneskraft nicht im entfernteste,!
mit dem rüstigen preußischen Kriegsreservisten und Landwehrmann ersten und
zweiten Aufgebots zu vergleichen sein. Im besten Falle ist er eine geschwächte,
wenn nicht völlig auögebrauchte, aufgeriebene .Kraft.

Eine Armeereserve, die so langsam erzeugt wird, besitzt nicht die Fähigkeit,
im Fall gehabter Verluste sich schnell wieder zu completiren. Darum kann im


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[0199] der Gegenpartei aus. Nun schlägt aber Harthausen die kriegsbereite russische Armee in seinen bekannten „Studien" auf 368 Bataillone, i6l> Schwadronen und '^Batterien an, wozu, je nach Bedürfniß, 98,000 Mann Reserven ersten Aufgebots und 115,000 Mann Reserven zweiten Aufgebots treten. , Dieses Bedürfniß ist, wie unzweifelhaft feststeht, seit Beginn des Feldzugs und im besondern nach der Kriegserklärung der Westmächte eingetreten; und zwar sind jene Reserven nicht als neue geschlossene Truppenkörper ans dem Kriegsschauplatze aufgetreten: sondern man hat sie verwendet, um damit die Lücken, welche Gefechte, Desertion und im besonderen Krankheit in den Reihen der Linienbataillone gerissen hatten, auszufüllen. Der in die Organisation der russischen Wehrkräfte Uneingeweihte wird nicht umhin können, über das Mißverhältniß zwischen dem numerischen Bestand der Reservetruppeu gegenüber der Linie erstaunt zu sein, obwol dieses Mißver¬ hältniß ohne Frage noch ein weit größeres ist, als aus Harthausenö Angaben hervorzugehen scheint. Im Gegensatz zu der in Preußen durchschnittlich auf zweiundeinhalb Jahre anzuschlagenden Dienstzeit hat nämlich der russische Sol¬ dat fünfzehn Jahre zu dienen, was soviel sagen will, als daß aus den Reihen der preußischen Linie unter zwei bis drei Mann jährlich einer in die Reserve übertritt, während dies im Zarenreich erst auf den fünfzehnten Mann Anwen¬ dung findet. Mit andern Worten: Preußens Armeeorganisation erlaubt, bei gleicher Stärke der'Bataillone und Schwadronen, aus jedem dieser Truppen¬ theile jährlich den sechsfacher Betrag an Reserven auszubilden. Aber dieser Unterschied ist vorerst nur als Resultat eines flüchtigen Ueberschlags anzusehn; nach reiflicher Erwägung der Nebenumstände wird er sich noch als bedeutend größer herausstellen. Denn man darf offenbar nicht unberücksichtigt lassen, daß die Gesammtzahl der jährlich zur fünfzehnjährigen Dienstzeit in Rußland Ausgehobenen während derselben durch Sterblichkeit vermindert wird und bei der anerkannt schlechten Verpflegung, den Hungermärscheu und Strapazen wahrscheinlich nur die Hälfte ihre Entlassung erlebt. /Außerdem wird aber der fünfzehn Jahre dienende russische Soldat an Manneskraft nicht im entfernteste,! mit dem rüstigen preußischen Kriegsreservisten und Landwehrmann ersten und zweiten Aufgebots zu vergleichen sein. Im besten Falle ist er eine geschwächte, wenn nicht völlig auögebrauchte, aufgeriebene .Kraft. Eine Armeereserve, die so langsam erzeugt wird, besitzt nicht die Fähigkeit, im Fall gehabter Verluste sich schnell wieder zu completiren. Darum kann im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/199>, abgerufen am 22.07.2024.