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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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zartesten Geheimnisse ihrer innern Geschichte der Oeffentlichkeit preiszugeben,
während doch grade in dem, was sie aus Zartgefühl verschweigen muß, für
das Publicum das größte Interesse liegen würde.

George Sand verspricht in der Einleitung zu ihren Memoiren, ihre
Lebensgeschichte mit vollkommener Treue und Wahrheit zu schildern: auf der
andern Seite aber erklärt sie, die Freunde des Skandals würden an dieser
Lectüre kein Vergnügen finden, denn davon wolle sie nichts mittheilen. So
erklärt sie gleich zur Abwendung aller Mißverständnisse, daß sie keineswegs ge¬
sonnen sei, das Publicum mit ihrem Scheidungsproceß, der ihr eigentlich die
literarische Laufbahn eröffnet hat, zu unterhalten. Sie bemerkt nur, daß ihre
bisherigen- Biographen die Sache gar zu nachtheilig für ihren Mann dar¬
gestellt hätten, und daß Unvereinbarkeit der Charaktere der einzige Grund jener
Scheidung gewesen sei. Wir finden diese Discretion im höchsten Grade lobens¬
wert!) und haben es auch von George Sand nicht anders erwartet, da wir
trotz des bedenklichen Stoffs, den sie in der Regel behandelt, bei ihr stets eine
große Feinheit und Noblesse des Gemüths wahrgenommen haben. Aber wir
müssen offen gestehen, daß wir sehr neugierig darauf sind, was sie uns eigent¬
lich erzählen wird; denn auf ihre Verhältnisse zu samtenen, Chopin, Alfred de
Musset u. s. w. ausführlich einzugehen, wird sie wahrscheinlich ebenso Anstand
nehmen, wie in Beziehung auf das Verhältniß zu ihrem Mann. Wenn sie
uns aber blos die Geschichte ihrer Empfindungen mit völliger Abstraction von
dem Gegenstand geben will, so fürchten wir, daß daraus nur eine zweite Auflage
ihrer Romane hervorgehen wird; denn, bei ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit
hat sie wol für jedes Bildungsmomenl und für jede Seite der Empfindung, die
sie einmal mächtiger erregt hat, einen Platz in ihren Werken gesunden; und
dergleichen lieben wir doch immer mehr aus der ersten Hand.

Wie dem auch sei, das Buch ist wieder sehr schön geschrieben und für die
erste Zeit ihres Lebens, wo sie mehr Eindrücke als Erlebnisse zu berichten
hat, und wo sie die ersteren noch nicht zu poetischen Werken verwerthet hat, wird
sich auch wol kein Anstoß findend Die vorliegende erste Lieferung beschäftigt
sich vorzugsweise mit dem Leben ihrer Großmutter, die mit den bedeutendsten
Männern der Zeit, namentlich mit Rousseau, in engen Beziehungen stand und
deren Erinnerungen uns über viele einzelne Umstände aus der Vorgeschichte
der Revolution nähere Aufklärungen geben. Wir werden bei der Fortsetzung
des Werks, das gewiß viele interessante Seiten darbieten wirb, näher daraus
eingehen. Auch eine Charakteristik der Dichterin, die unser Pariser Korre¬
spondent eingesandt hat, werden wir mittheilen, obgleich wir bereits in früherer
Zeit von unsrem Standpunkt eine literarhistorische Darstellung versucht haben;
da eine Erscheinung wie George Sand wol Interesse genug darbietet, um von
verschiedenen Seiten beleuchtet zu werden.


zartesten Geheimnisse ihrer innern Geschichte der Oeffentlichkeit preiszugeben,
während doch grade in dem, was sie aus Zartgefühl verschweigen muß, für
das Publicum das größte Interesse liegen würde.

George Sand verspricht in der Einleitung zu ihren Memoiren, ihre
Lebensgeschichte mit vollkommener Treue und Wahrheit zu schildern: auf der
andern Seite aber erklärt sie, die Freunde des Skandals würden an dieser
Lectüre kein Vergnügen finden, denn davon wolle sie nichts mittheilen. So
erklärt sie gleich zur Abwendung aller Mißverständnisse, daß sie keineswegs ge¬
sonnen sei, das Publicum mit ihrem Scheidungsproceß, der ihr eigentlich die
literarische Laufbahn eröffnet hat, zu unterhalten. Sie bemerkt nur, daß ihre
bisherigen- Biographen die Sache gar zu nachtheilig für ihren Mann dar¬
gestellt hätten, und daß Unvereinbarkeit der Charaktere der einzige Grund jener
Scheidung gewesen sei. Wir finden diese Discretion im höchsten Grade lobens¬
wert!) und haben es auch von George Sand nicht anders erwartet, da wir
trotz des bedenklichen Stoffs, den sie in der Regel behandelt, bei ihr stets eine
große Feinheit und Noblesse des Gemüths wahrgenommen haben. Aber wir
müssen offen gestehen, daß wir sehr neugierig darauf sind, was sie uns eigent¬
lich erzählen wird; denn auf ihre Verhältnisse zu samtenen, Chopin, Alfred de
Musset u. s. w. ausführlich einzugehen, wird sie wahrscheinlich ebenso Anstand
nehmen, wie in Beziehung auf das Verhältniß zu ihrem Mann. Wenn sie
uns aber blos die Geschichte ihrer Empfindungen mit völliger Abstraction von
dem Gegenstand geben will, so fürchten wir, daß daraus nur eine zweite Auflage
ihrer Romane hervorgehen wird; denn, bei ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit
hat sie wol für jedes Bildungsmomenl und für jede Seite der Empfindung, die
sie einmal mächtiger erregt hat, einen Platz in ihren Werken gesunden; und
dergleichen lieben wir doch immer mehr aus der ersten Hand.

Wie dem auch sei, das Buch ist wieder sehr schön geschrieben und für die
erste Zeit ihres Lebens, wo sie mehr Eindrücke als Erlebnisse zu berichten
hat, und wo sie die ersteren noch nicht zu poetischen Werken verwerthet hat, wird
sich auch wol kein Anstoß findend Die vorliegende erste Lieferung beschäftigt
sich vorzugsweise mit dem Leben ihrer Großmutter, die mit den bedeutendsten
Männern der Zeit, namentlich mit Rousseau, in engen Beziehungen stand und
deren Erinnerungen uns über viele einzelne Umstände aus der Vorgeschichte
der Revolution nähere Aufklärungen geben. Wir werden bei der Fortsetzung
des Werks, das gewiß viele interessante Seiten darbieten wirb, näher daraus
eingehen. Auch eine Charakteristik der Dichterin, die unser Pariser Korre¬
spondent eingesandt hat, werden wir mittheilen, obgleich wir bereits in früherer
Zeit von unsrem Standpunkt eine literarhistorische Darstellung versucht haben;
da eine Erscheinung wie George Sand wol Interesse genug darbietet, um von
verschiedenen Seiten beleuchtet zu werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/170>, abgerufen am 29.12.2024.