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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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mit deichsonft bekannten.Wahrheiten nicht stimmen wollte, so hatte man doch
empfunden und speculirt und das war die Hauptsache. Wenn die Männer,
die sich aus hergebrachte Art mit der Wissenschaft beschäftigten, zu diesen neuen
Entdeckungen ein etwas verwundertes Gesicht machten, so konnte man sie leichr
widerlegen, indem man ihnen Mangel an Gemüthstiese, an speculativem Geist
und an poetischem Verständniß vorwarf. Solche Vorwürfe, die damals wirk¬
lich etwas sagen wollten, würden heute nur noch Lächeln erregen. Ja es
geht noch weiter: der Naturphilosoph könnte heute die überraschendsten Com¬
binationen aufstellen, Combinationen, die zu den wirklichen Naturgesetzen auf
das vortrefflichste stimmten, und die Wissenschaft würde doch unzufrieden sein,
da der Philosoph zu seinen Resultaten nicht aus demjenigen Wege gekommen
ist, den man jetzt als den allein giltigen zu begreifen gelernt hat.

Herr Hinrichs hat die neuern Entdeckungen in der Physik mit Ernst und
Gründlichkeit sich angeeignet und er hat sie in das Register der Hegelschen
Philosophie mit großer Geschicklichkeit zu verweben gewußt. Allein es 'geht
den heutigen Physikern nicht so wie ihren Vorgängern, denen die Speculation,
wie sehr sie dieselbe auch verabscheuten, dennoch als etwas Fremdes und Un¬
begreifliches imponirte. Sie haben sich vielmehr selbst aufs Speculiren gelegt
und dadurch über ihre Gegner einen großen Vortheil errungen. Denn so gut
oder so schlecht der einzelne Physiker auch speculiren möge, man fühlt doch
immer bei ihm heraus, daß seine Speculation aus dem Inhalt seiner Kenntnisse
und Studien unmittelbar hervorgeht, daß also in seinem Lehrgebäude, man
möge es annehmen oder nicht, eine innere Einheit herrscht, und das ist bei
den Philosophen nicht der Fall. Ein geschulter Philosoph, wie Herr Hin-"
richs, hat zuerst speculirt, sich zuerst theils nach Anleitung seines Meisters,
theils nach eignem Ermessen ein Speculatives System entworfen, bevor er den
empirischen realen Stoff, den ihm nur die wirkliche Naturwissenschaft bieten
konnte, in dasselbe ausnahm. So geschickt er nun auch diese Operation an¬
stellen mag, so wird man sich doch nie darüber täuschen können, daß diese
empirischen Thatsachen fremdartige Bestandtheile sind, die von dem Fluß der
Speculation hin- und hergeschaukelt werden, sich aber niemals Mit ihm ver¬
mischen, und da jetzt das Mißtrauen allgemein rege geworden ist, so wird
dieses Gefühl auch den wohlgemeintesten Absichten hemmend in den Weg
treten.

Was der Naturphilosophie zu Anfang dieses Jahrhunderts eine so große
Anerkennung verschaffte, war nicht blos der Umstand, daß sehr bald eine
Reihe wirklicher Naturforscher sich ihr anschloß, Steffens, Schubert, Oken,
Ennemoser u. f. w., sondern vorzugsweise die allgemeine Tendenz der Zeit.
Man war der fragmentarischen, gemeinempirischen Methode müde, und wollte
das Leben der Natur als ein Gesammtbild auffassen. Die Forderung, die


mit deichsonft bekannten.Wahrheiten nicht stimmen wollte, so hatte man doch
empfunden und speculirt und das war die Hauptsache. Wenn die Männer,
die sich aus hergebrachte Art mit der Wissenschaft beschäftigten, zu diesen neuen
Entdeckungen ein etwas verwundertes Gesicht machten, so konnte man sie leichr
widerlegen, indem man ihnen Mangel an Gemüthstiese, an speculativem Geist
und an poetischem Verständniß vorwarf. Solche Vorwürfe, die damals wirk¬
lich etwas sagen wollten, würden heute nur noch Lächeln erregen. Ja es
geht noch weiter: der Naturphilosoph könnte heute die überraschendsten Com¬
binationen aufstellen, Combinationen, die zu den wirklichen Naturgesetzen auf
das vortrefflichste stimmten, und die Wissenschaft würde doch unzufrieden sein,
da der Philosoph zu seinen Resultaten nicht aus demjenigen Wege gekommen
ist, den man jetzt als den allein giltigen zu begreifen gelernt hat.

Herr Hinrichs hat die neuern Entdeckungen in der Physik mit Ernst und
Gründlichkeit sich angeeignet und er hat sie in das Register der Hegelschen
Philosophie mit großer Geschicklichkeit zu verweben gewußt. Allein es 'geht
den heutigen Physikern nicht so wie ihren Vorgängern, denen die Speculation,
wie sehr sie dieselbe auch verabscheuten, dennoch als etwas Fremdes und Un¬
begreifliches imponirte. Sie haben sich vielmehr selbst aufs Speculiren gelegt
und dadurch über ihre Gegner einen großen Vortheil errungen. Denn so gut
oder so schlecht der einzelne Physiker auch speculiren möge, man fühlt doch
immer bei ihm heraus, daß seine Speculation aus dem Inhalt seiner Kenntnisse
und Studien unmittelbar hervorgeht, daß also in seinem Lehrgebäude, man
möge es annehmen oder nicht, eine innere Einheit herrscht, und das ist bei
den Philosophen nicht der Fall. Ein geschulter Philosoph, wie Herr Hin-"
richs, hat zuerst speculirt, sich zuerst theils nach Anleitung seines Meisters,
theils nach eignem Ermessen ein Speculatives System entworfen, bevor er den
empirischen realen Stoff, den ihm nur die wirkliche Naturwissenschaft bieten
konnte, in dasselbe ausnahm. So geschickt er nun auch diese Operation an¬
stellen mag, so wird man sich doch nie darüber täuschen können, daß diese
empirischen Thatsachen fremdartige Bestandtheile sind, die von dem Fluß der
Speculation hin- und hergeschaukelt werden, sich aber niemals Mit ihm ver¬
mischen, und da jetzt das Mißtrauen allgemein rege geworden ist, so wird
dieses Gefühl auch den wohlgemeintesten Absichten hemmend in den Weg
treten.

Was der Naturphilosophie zu Anfang dieses Jahrhunderts eine so große
Anerkennung verschaffte, war nicht blos der Umstand, daß sehr bald eine
Reihe wirklicher Naturforscher sich ihr anschloß, Steffens, Schubert, Oken,
Ennemoser u. f. w., sondern vorzugsweise die allgemeine Tendenz der Zeit.
Man war der fragmentarischen, gemeinempirischen Methode müde, und wollte
das Leben der Natur als ein Gesammtbild auffassen. Die Forderung, die


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[0159] mit deichsonft bekannten.Wahrheiten nicht stimmen wollte, so hatte man doch empfunden und speculirt und das war die Hauptsache. Wenn die Männer, die sich aus hergebrachte Art mit der Wissenschaft beschäftigten, zu diesen neuen Entdeckungen ein etwas verwundertes Gesicht machten, so konnte man sie leichr widerlegen, indem man ihnen Mangel an Gemüthstiese, an speculativem Geist und an poetischem Verständniß vorwarf. Solche Vorwürfe, die damals wirk¬ lich etwas sagen wollten, würden heute nur noch Lächeln erregen. Ja es geht noch weiter: der Naturphilosoph könnte heute die überraschendsten Com¬ binationen aufstellen, Combinationen, die zu den wirklichen Naturgesetzen auf das vortrefflichste stimmten, und die Wissenschaft würde doch unzufrieden sein, da der Philosoph zu seinen Resultaten nicht aus demjenigen Wege gekommen ist, den man jetzt als den allein giltigen zu begreifen gelernt hat. Herr Hinrichs hat die neuern Entdeckungen in der Physik mit Ernst und Gründlichkeit sich angeeignet und er hat sie in das Register der Hegelschen Philosophie mit großer Geschicklichkeit zu verweben gewußt. Allein es 'geht den heutigen Physikern nicht so wie ihren Vorgängern, denen die Speculation, wie sehr sie dieselbe auch verabscheuten, dennoch als etwas Fremdes und Un¬ begreifliches imponirte. Sie haben sich vielmehr selbst aufs Speculiren gelegt und dadurch über ihre Gegner einen großen Vortheil errungen. Denn so gut oder so schlecht der einzelne Physiker auch speculiren möge, man fühlt doch immer bei ihm heraus, daß seine Speculation aus dem Inhalt seiner Kenntnisse und Studien unmittelbar hervorgeht, daß also in seinem Lehrgebäude, man möge es annehmen oder nicht, eine innere Einheit herrscht, und das ist bei den Philosophen nicht der Fall. Ein geschulter Philosoph, wie Herr Hin-" richs, hat zuerst speculirt, sich zuerst theils nach Anleitung seines Meisters, theils nach eignem Ermessen ein Speculatives System entworfen, bevor er den empirischen realen Stoff, den ihm nur die wirkliche Naturwissenschaft bieten konnte, in dasselbe ausnahm. So geschickt er nun auch diese Operation an¬ stellen mag, so wird man sich doch nie darüber täuschen können, daß diese empirischen Thatsachen fremdartige Bestandtheile sind, die von dem Fluß der Speculation hin- und hergeschaukelt werden, sich aber niemals Mit ihm ver¬ mischen, und da jetzt das Mißtrauen allgemein rege geworden ist, so wird dieses Gefühl auch den wohlgemeintesten Absichten hemmend in den Weg treten. Was der Naturphilosophie zu Anfang dieses Jahrhunderts eine so große Anerkennung verschaffte, war nicht blos der Umstand, daß sehr bald eine Reihe wirklicher Naturforscher sich ihr anschloß, Steffens, Schubert, Oken, Ennemoser u. f. w., sondern vorzugsweise die allgemeine Tendenz der Zeit. Man war der fragmentarischen, gemeinempirischen Methode müde, und wollte das Leben der Natur als ein Gesammtbild auffassen. Die Forderung, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/159>, abgerufen am 22.07.2024.