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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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vieles auf die unfertigen Zustände schreiben zu müssen, deren Folgen zugleich
mit der Ursache aufhören wurden, andrerseits schien uns das Uebel keineswegs
so ausgedehnt, wie man nach einzelnen Berichten schließen konnte. Das unge¬
heure Territorium der Vereinigten Staaten umfaßt sehr große Strecken, in
denen noch keine feste bürgerliche Ordnung herrscht. Der einzelne ist ganz
auf die Stärke seines Armes und auf seine Erfindsamkeit in kleinen Hilfs¬
mitteln angewiesen. Daß unter diesen Umständen der, Egoismus zu härteren
und ungeselligeren Formen führt, als wir es bei der Verweichlichung unsrer
Civilisation ertragen können, schien uns sehr natürlich und durchaus nicht ver-
hängnißvoll für die weitre Entwicklung Amerikas. Denn je härter das Metall
ist, desto besser läßt es sich schmieden.

Aber wir müssen offen gestehen, daß die kleine Schrift von Kapp unsre
Aussichten sehr verdüstert hat, daß dieser kleine historische, ganz objectiv gehaltne
Abriß mehr dazu beigetragen hat, uns gegen Amerika einzunehmen, als alle die
schrecklichen Schilderungen der amerikanischen Sklavenzustände von Dickens bis
zu Onkel Tom. Daß die Sklaverei eine schändliche, verabscheuungswürdige,
unmenschliche und unchristliche Einrichtung ist, daß sie nicht blos die Sklaven,
sondern auch die Sklavenbesitzer zu Bestien entwürdigt, daß sie also auf den
Fortgang der Geschichte unheilvoll und verderblich wirken muß, darüber ist
wol in Europa kein Mensch zweifelhaft, wenn sich nicht etwa unter den gott¬
seliger Aposteln der Legitimität so verwahrloste Geschöpfe finden sollten, auch
die Sklaverei als eine legitime Einrichtung Gottes zu prSconistren. Alle die
Beschönigungen, welche die Anwälte der Sklaverei versuchten, indem sie den
Zustand der europäischen Fabrikarbeiter und des übrigen Proletariats mit den
Zuständen der amerikanischen Sklaven verglichen, sind uns immer lächerlich
vorgekommen. Denn die factischen Verhältnisse unsres Proletariats mögen so
schlimm sein als sie wollen, und sie sind in der That sehr schlimm, sie enthalten
doch keine EntHeiligung des Rechts. Wenn große Scharen unsrer Mitmenschen
im Elend leben, oder gar vor Hunger sterben, so ist das sehr schrecklich, und
der Staat wie der einzelne hat die Pflicht, soviel er kann, für die Abhilfe
dieser Noth zu thun. Aber die Pflicht kann nicht über die Macht hinausgehen.
Der Mensch kann nicht überall die Rolle der Vorsehung spielen, sowenig wie
er jeder Feuersbrunst wehren kann, ein menschliches Leben zu vernichten, so¬
wenig kann er dem Mangel und dem Elend auf dieser Erde eine genügende
Abhilfe verschaffen. Das ist noch kein Grund die Hände in den Schoß zu
legen, und daß es bei uns sowol der Staat als die Gemeinde nicht blos als
einen Act guter Gesinnung, sondern als eine Pflicht betrachtet, der elementaren
Macht des Elends nach Kräften zu begegnen, das zeigen die Armensteuern. --
Aber etwas ganz Andres ist es, wenn der Staat, wenn die Gesellschaft gesetzlich
einen fluchwürdigen Zustand sanctioniren, wenn sie nicht nur nichts thun, um


vieles auf die unfertigen Zustände schreiben zu müssen, deren Folgen zugleich
mit der Ursache aufhören wurden, andrerseits schien uns das Uebel keineswegs
so ausgedehnt, wie man nach einzelnen Berichten schließen konnte. Das unge¬
heure Territorium der Vereinigten Staaten umfaßt sehr große Strecken, in
denen noch keine feste bürgerliche Ordnung herrscht. Der einzelne ist ganz
auf die Stärke seines Armes und auf seine Erfindsamkeit in kleinen Hilfs¬
mitteln angewiesen. Daß unter diesen Umständen der, Egoismus zu härteren
und ungeselligeren Formen führt, als wir es bei der Verweichlichung unsrer
Civilisation ertragen können, schien uns sehr natürlich und durchaus nicht ver-
hängnißvoll für die weitre Entwicklung Amerikas. Denn je härter das Metall
ist, desto besser läßt es sich schmieden.

Aber wir müssen offen gestehen, daß die kleine Schrift von Kapp unsre
Aussichten sehr verdüstert hat, daß dieser kleine historische, ganz objectiv gehaltne
Abriß mehr dazu beigetragen hat, uns gegen Amerika einzunehmen, als alle die
schrecklichen Schilderungen der amerikanischen Sklavenzustände von Dickens bis
zu Onkel Tom. Daß die Sklaverei eine schändliche, verabscheuungswürdige,
unmenschliche und unchristliche Einrichtung ist, daß sie nicht blos die Sklaven,
sondern auch die Sklavenbesitzer zu Bestien entwürdigt, daß sie also auf den
Fortgang der Geschichte unheilvoll und verderblich wirken muß, darüber ist
wol in Europa kein Mensch zweifelhaft, wenn sich nicht etwa unter den gott¬
seliger Aposteln der Legitimität so verwahrloste Geschöpfe finden sollten, auch
die Sklaverei als eine legitime Einrichtung Gottes zu prSconistren. Alle die
Beschönigungen, welche die Anwälte der Sklaverei versuchten, indem sie den
Zustand der europäischen Fabrikarbeiter und des übrigen Proletariats mit den
Zuständen der amerikanischen Sklaven verglichen, sind uns immer lächerlich
vorgekommen. Denn die factischen Verhältnisse unsres Proletariats mögen so
schlimm sein als sie wollen, und sie sind in der That sehr schlimm, sie enthalten
doch keine EntHeiligung des Rechts. Wenn große Scharen unsrer Mitmenschen
im Elend leben, oder gar vor Hunger sterben, so ist das sehr schrecklich, und
der Staat wie der einzelne hat die Pflicht, soviel er kann, für die Abhilfe
dieser Noth zu thun. Aber die Pflicht kann nicht über die Macht hinausgehen.
Der Mensch kann nicht überall die Rolle der Vorsehung spielen, sowenig wie
er jeder Feuersbrunst wehren kann, ein menschliches Leben zu vernichten, so¬
wenig kann er dem Mangel und dem Elend auf dieser Erde eine genügende
Abhilfe verschaffen. Das ist noch kein Grund die Hände in den Schoß zu
legen, und daß es bei uns sowol der Staat als die Gemeinde nicht blos als
einen Act guter Gesinnung, sondern als eine Pflicht betrachtet, der elementaren
Macht des Elends nach Kräften zu begegnen, das zeigen die Armensteuern. —
Aber etwas ganz Andres ist es, wenn der Staat, wenn die Gesellschaft gesetzlich
einen fluchwürdigen Zustand sanctioniren, wenn sie nicht nur nichts thun, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/156>, abgerufen am 24.08.2024.