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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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trotz der Größe sehr unbedeutend. Herr Vegas scheint für dieses Fach der
Malerei gar keinen Beruf zu haben.

W. Sohn (ein Neffe, wenn ich nicht irre, des Prof. Sohn in Düssel¬
dorf) zeigt in seinem Bilde "Christus und die Jünger auf dem Meere"
ein entschiedenes Streben nach Stil in Form und Farbe, bas, wenn wir auch
nicht ganz befriedigt werden, doch angenehm berührt. Aber ein rechtes
inneres Interesse kann uns das Bild auch nicht einflößen, man sieht überall
doch nur die Absicht, die der Künstler mit jeder Figur hatte, ohne daß sie zur
plastisch lebendigen Wirklichkeit geworden wäre, man steht jede Figur ihre
Stellung machen und ihren Ausdruck annehmen, den Zug gewaltiger Angst,
der alle Jünger durchfährt und sie endlich bewegt, ihren Meister, als von dem
allein Rettung zu erwarten ist, zu wecken, vermochte der Maler nicht auszu¬
drücken. Dennoch möchten wir namentlich wegen des gediegenen Strebens
dieses Bild den übrigen dieser Gattung vorziehen.

Noch viel weniger ist es Pietrowski in seiner "Geburt Christi" ge¬
lungen, irgendetwas von innerer wirklicher Empfindung auszudrücken; Form
und Farbe sind unbedeutend; Maria sieht wie ein elegantes Edelfräulein aus,
die in üblicher Weise gen Himmel blickt.

Ein "Koog domo" von Mengelberg ist zu weichlich aufgefaßt, dürf¬
tig und ohne Stil in der Form, aber gut, wenn auch nicht kräftig genug
gemalt.

Ein Bild von Adolph Schmidts hat "das Scherflein der Wittwe"
zum Gegenstande. Hier haben wir wenigstens einen entschiedenen Ausdruck
und sehen, was der Künstler gewollt hat. Es ist geistiger Inhalt in dem
Bilde. Freilich ist die reiche jüdische Familie, namentlich der Mann, der
seine Geldbörse schließt, aus der er eben mir großer Demonstration dem Gottes¬
kasten gespendet, zu karrikirt und schmeckt zu sehr nach dem modernen jüdischen
Parvenu; auch die Priester an dem Gotteskasten haben einen zu modernen
Typus, wenn auch namentlich der vordere gut im Ausdruck ist. In die
Wittwe dagegen müßte ein viel bedeutenderer Ausdruck gelegt sein, sie
schreitet zu gleichgiltig vorbei, indem sie ihr Scherflein in den Kasten legt;
grade das, woraus es ankommt, und was freilich am schwersten auszudrücken
war, sieht man nicht genug, daß sie ihr schwer zu entbehrendes Scherflein mit
frommem Sinn und der wirklichen Empfindung des Gebens hineinlegt. So
scheint sie nicht viel verdienstlicher, als der reiche Mann, und der Gegensatz
verliert seine Spitze. Sonst ist grade diese Gruppe, die Wittwe mit dem
Kinde, äußerlich die ansprechendste, namentlich durch die bescheidene ernste
Farbe, auch durch geschickte Zeichnung. Das ganze Bild macht einen zu modernen
Eindruck. Die etwas kokette Farbe und Behandlung ist (selbst abgesehen von
dem Mangel der Auffassung) dem Ernst des Inhalts nicht angemessen. Schön-


trotz der Größe sehr unbedeutend. Herr Vegas scheint für dieses Fach der
Malerei gar keinen Beruf zu haben.

W. Sohn (ein Neffe, wenn ich nicht irre, des Prof. Sohn in Düssel¬
dorf) zeigt in seinem Bilde „Christus und die Jünger auf dem Meere"
ein entschiedenes Streben nach Stil in Form und Farbe, bas, wenn wir auch
nicht ganz befriedigt werden, doch angenehm berührt. Aber ein rechtes
inneres Interesse kann uns das Bild auch nicht einflößen, man sieht überall
doch nur die Absicht, die der Künstler mit jeder Figur hatte, ohne daß sie zur
plastisch lebendigen Wirklichkeit geworden wäre, man steht jede Figur ihre
Stellung machen und ihren Ausdruck annehmen, den Zug gewaltiger Angst,
der alle Jünger durchfährt und sie endlich bewegt, ihren Meister, als von dem
allein Rettung zu erwarten ist, zu wecken, vermochte der Maler nicht auszu¬
drücken. Dennoch möchten wir namentlich wegen des gediegenen Strebens
dieses Bild den übrigen dieser Gattung vorziehen.

Noch viel weniger ist es Pietrowski in seiner „Geburt Christi" ge¬
lungen, irgendetwas von innerer wirklicher Empfindung auszudrücken; Form
und Farbe sind unbedeutend; Maria sieht wie ein elegantes Edelfräulein aus,
die in üblicher Weise gen Himmel blickt.

Ein „Koog domo" von Mengelberg ist zu weichlich aufgefaßt, dürf¬
tig und ohne Stil in der Form, aber gut, wenn auch nicht kräftig genug
gemalt.

Ein Bild von Adolph Schmidts hat „das Scherflein der Wittwe"
zum Gegenstande. Hier haben wir wenigstens einen entschiedenen Ausdruck
und sehen, was der Künstler gewollt hat. Es ist geistiger Inhalt in dem
Bilde. Freilich ist die reiche jüdische Familie, namentlich der Mann, der
seine Geldbörse schließt, aus der er eben mir großer Demonstration dem Gottes¬
kasten gespendet, zu karrikirt und schmeckt zu sehr nach dem modernen jüdischen
Parvenu; auch die Priester an dem Gotteskasten haben einen zu modernen
Typus, wenn auch namentlich der vordere gut im Ausdruck ist. In die
Wittwe dagegen müßte ein viel bedeutenderer Ausdruck gelegt sein, sie
schreitet zu gleichgiltig vorbei, indem sie ihr Scherflein in den Kasten legt;
grade das, woraus es ankommt, und was freilich am schwersten auszudrücken
war, sieht man nicht genug, daß sie ihr schwer zu entbehrendes Scherflein mit
frommem Sinn und der wirklichen Empfindung des Gebens hineinlegt. So
scheint sie nicht viel verdienstlicher, als der reiche Mann, und der Gegensatz
verliert seine Spitze. Sonst ist grade diese Gruppe, die Wittwe mit dem
Kinde, äußerlich die ansprechendste, namentlich durch die bescheidene ernste
Farbe, auch durch geschickte Zeichnung. Das ganze Bild macht einen zu modernen
Eindruck. Die etwas kokette Farbe und Behandlung ist (selbst abgesehen von
dem Mangel der Auffassung) dem Ernst des Inhalts nicht angemessen. Schön-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/151>, abgerufen am 22.07.2024.