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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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curscs und des Prir courant der Waaren bei der Musikscala vergaßen und
unter Leitung des obersten und renommirtesten Stadtmusici einige^ gleichgesinnt":
Freunde der holden Frau Musica um sich zu versammeln pflegten. Was sie
mit löblichem Eifer im Kleinen versuchten, sollte die schweizerische Musikgesellschaft
im Großen leisten. So wandern sie denn auch jetzt noch alle zwei Jahre zum
musikalischen Kongresse im gutgepolsterten Zweispänner, im Fond-des Wagens
Fräulein Tochter, welche dieses Jahr zum ersten Male ihre silberne Stimme
vor einer größern Gesellschaft ertönen lassen soll, und hinten über den Kisten
und Kasten wohlverpackt in elegantem Futterale die klagende Bratsche oder
das sentimentale Fagott, das unter Papas kunstgeübten Händen dieses Jahr'
der Familie neue Lorbeer" erwerben soll, an deren Erinnerung die heimatlichen
Laren noch den ganzen Winter zehren werden.

Es wäre zuviel verlangt von diesen Musikern gewichtigen Klanges, daß
sie Beethovensche, Symphonien oder Händelsche Oratorien allein aufführen
"sollen. Da kennen die Herrn ihre Kräfte zu gut, und so werden denn auf
die Zeiten des Musikfestes die Musttiehrer aus den großen und kleinen Städten
des gemeinsamen Vaterlandes insgesammt aufgeboten, um bei dem Feste die
ersten und schwierigern Partien zu übernehmen; zwischen den Productionen
dieser kunstgeübten Hände klagen und summen und brummen dann gemüthlich
die Flöten und Klarinetten und Violinen und Bratschen der Herrn Dilettanten.
Die Fräulein Töchter im weißen Gewände mit rother Armbinde oder Busen-
schieife singen im Chor, während zur Uebernahme der Solopartien irgendeine
renommirte Sängerin verschrieben wird.

So kommt es, daß an diesen sogenannten schweizerischen Musikfesten der
größere Theil der dabei Thätigen aus fremden, für das Mitwirken besonders
bezahlten Musikern besteht, und daß nur Dilettanten, die im Besitze eines
modernen schwarzen Frackes und einer gestopften Börse sind., an diesen Festen
theilnehmen können. Denn das versteht sich doch, daß auch die Delassements,
die den anstrengenden Proben und Aufführungen folgen, nur von der feinsten
Sorte sind. Ein da! parv, eine promenaSv ä ekar. ein äiusr souMoire ge¬
hören ganz nothwendig in das Programm jedes schweizerischen Musikfestes;
hier revangirt sich dann auch die zweite Violine, das zweite Horn.und das
zweite Fagott für die Zurücksetzung beim Concert; hier übernehmen sie jetzt
als Virwosen die ersten Partien, während die ersten Violinen des Concerts sich
bescheiden in irgendeine Ecke des Bailsales drücken, um den etwas antiken
Schnitt ihrer Frackflügel in dem schützenden Schatten einer Sophaecke zu
verbergen.

Für Hebung der Musik in der Schweiz leistet die Musikgesellschaft gegen¬
wärtig wenig; es fehlt ihr eben die Gliederung in cantonale und in locale
Vereine, die zu einem gemeinsamen Zwecke zusammenwirken. Dergleichen


curscs und des Prir courant der Waaren bei der Musikscala vergaßen und
unter Leitung des obersten und renommirtesten Stadtmusici einige^ gleichgesinnt«:
Freunde der holden Frau Musica um sich zu versammeln pflegten. Was sie
mit löblichem Eifer im Kleinen versuchten, sollte die schweizerische Musikgesellschaft
im Großen leisten. So wandern sie denn auch jetzt noch alle zwei Jahre zum
musikalischen Kongresse im gutgepolsterten Zweispänner, im Fond-des Wagens
Fräulein Tochter, welche dieses Jahr zum ersten Male ihre silberne Stimme
vor einer größern Gesellschaft ertönen lassen soll, und hinten über den Kisten
und Kasten wohlverpackt in elegantem Futterale die klagende Bratsche oder
das sentimentale Fagott, das unter Papas kunstgeübten Händen dieses Jahr'
der Familie neue Lorbeer» erwerben soll, an deren Erinnerung die heimatlichen
Laren noch den ganzen Winter zehren werden.

Es wäre zuviel verlangt von diesen Musikern gewichtigen Klanges, daß
sie Beethovensche, Symphonien oder Händelsche Oratorien allein aufführen
»sollen. Da kennen die Herrn ihre Kräfte zu gut, und so werden denn auf
die Zeiten des Musikfestes die Musttiehrer aus den großen und kleinen Städten
des gemeinsamen Vaterlandes insgesammt aufgeboten, um bei dem Feste die
ersten und schwierigern Partien zu übernehmen; zwischen den Productionen
dieser kunstgeübten Hände klagen und summen und brummen dann gemüthlich
die Flöten und Klarinetten und Violinen und Bratschen der Herrn Dilettanten.
Die Fräulein Töchter im weißen Gewände mit rother Armbinde oder Busen-
schieife singen im Chor, während zur Uebernahme der Solopartien irgendeine
renommirte Sängerin verschrieben wird.

So kommt es, daß an diesen sogenannten schweizerischen Musikfesten der
größere Theil der dabei Thätigen aus fremden, für das Mitwirken besonders
bezahlten Musikern besteht, und daß nur Dilettanten, die im Besitze eines
modernen schwarzen Frackes und einer gestopften Börse sind., an diesen Festen
theilnehmen können. Denn das versteht sich doch, daß auch die Delassements,
die den anstrengenden Proben und Aufführungen folgen, nur von der feinsten
Sorte sind. Ein da! parv, eine promenaSv ä ekar. ein äiusr souMoire ge¬
hören ganz nothwendig in das Programm jedes schweizerischen Musikfestes;
hier revangirt sich dann auch die zweite Violine, das zweite Horn.und das
zweite Fagott für die Zurücksetzung beim Concert; hier übernehmen sie jetzt
als Virwosen die ersten Partien, während die ersten Violinen des Concerts sich
bescheiden in irgendeine Ecke des Bailsales drücken, um den etwas antiken
Schnitt ihrer Frackflügel in dem schützenden Schatten einer Sophaecke zu
verbergen.

Für Hebung der Musik in der Schweiz leistet die Musikgesellschaft gegen¬
wärtig wenig; es fehlt ihr eben die Gliederung in cantonale und in locale
Vereine, die zu einem gemeinsamen Zwecke zusammenwirken. Dergleichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/15>, abgerufen am 24.08.2024.