Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.besonders glücklichen Konstellationen allerdings durchführen kann; nämlich aus Herr Reichensperger wendet sich mit seinen Vorschlägen zur Verbesserung 18"
besonders glücklichen Konstellationen allerdings durchführen kann; nämlich aus Herr Reichensperger wendet sich mit seinen Vorschlägen zur Verbesserung 18"
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98461"/> <p xml:id="ID_430" prev="#ID_429"> besonders glücklichen Konstellationen allerdings durchführen kann; nämlich aus<lb/> eigner Schöpfungskraft heraus die Welt mit neuen Idealen zu erfüllen. Wer<lb/> kennt nicht Schillers Künstler? Dieses wunderbar schöne Gedicht hat zwar<lb/> in der Hauptsache unrecht, denn nicht die Kunst hat die griechische Bildung<lb/> hervorgebracht, sondern umgekehrt; aber für den bestimmten Fall, auf den er<lb/> sich eigentlich bezog, war sein Princip vollkommen anwendbar. Mit Stolz<lb/> kann der Deutsche des neunzehnten Jahrhunderts es von sich rühmen, daß er<lb/> durch das Morgenthor des Schönen in der Erkenntniß Land eingegangen ist.<lb/> Die Kunst hat uns nicht nur das Wiederaufleben der Wissenschaften vermittelt,<lb/> sondern auch das Wiederaufleben der Religion. Herr Reichensperger mag sein<lb/> christliches Selbstgefühl so hoch treiben als er will, er wird die Wahrheit nicht<lb/> umgehen können, daß unsre religiöse Verjüngung nicht von den Theologen,<lb/> sondern von den Künstlern ausgegangen ist. Erst mußten wir am Heidenthum<lb/> lernen, was überhaupt schön ist, um auch die Schönheit des Christenthums<lb/> wiederzuentdecken, und erst die Schönheit dieser Erscheinung macht uns auf die<lb/> menschlichen Wahrheiten aufmerksam, die in den Mysterien der Religion ver¬<lb/> borgen liegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_431"> Herr Reichensperger wendet sich mit seinen Vorschlägen zur Verbesserung<lb/> der Baukunst an die Kirche. Vom Staat hofft er ebensowenig als von den<lb/> Akademikern. Es ist auch dagegen nichts einzuwenden, denn warum soll nicht<lb/> auch die Kirche für einen nützlichen Zweck in Bewegung gesetzt werden? Wenn<lb/> die Klöster seinem Vorschlag folgen und statt unnützer Bußübungen Architektur<lb/> und Malerei treiben, wenn die Jesuiten statt ihrer casuistischen Spekulationen<lb/> Propaganda sür die gothische Baukunst machen, so ist daS ja recht schön und<lb/> löblich. Aber alle Achtung vor der Kirche! Herr Reichensperger thut den¬<lb/> noch unrecht, sie als den Träger der idealen Baukunst zu preisen, denn sie<lb/> hat sich in der Rennaissance, dem Jcsuitenstil, im Zopf und in den akademischen<lb/> Formen ebenso bethätigt wie in der mittelalterlichen Baukunst. Die Kirche ist<lb/> unabhängig von der gothischen Architektur, die gothische Architektur unabhängig<lb/> von der Kirche. Hätte Herr Reichensperger wie Schleiermacher seine Vor¬<lb/> schläge nicht an die Kirche, sondern an die Gebildeten unter den Verächtern<lb/> der kirchlichen Baukunst gerichtet, er würde ein dankbareres und bereitwilligeres<lb/> Publicum gefunden haben; denn wenn wir mit der gothischen Baukunst auch<lb/> die Inquisition und den Jesuitismus mit in den Kauf nehmen sollen, so blei¬<lb/> ben wir lieber bei der Akademie, allenfalls auch beim Zopf, und sagen mit<lb/> Herrn Tyiers, wenn es die Wahl zwischen dem Lächerlichen und Schrecklichen<lb/> gilt: <zu Kor oUo>«l> ^js prvlerv is riüiLulsl</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 18"</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0147]
besonders glücklichen Konstellationen allerdings durchführen kann; nämlich aus
eigner Schöpfungskraft heraus die Welt mit neuen Idealen zu erfüllen. Wer
kennt nicht Schillers Künstler? Dieses wunderbar schöne Gedicht hat zwar
in der Hauptsache unrecht, denn nicht die Kunst hat die griechische Bildung
hervorgebracht, sondern umgekehrt; aber für den bestimmten Fall, auf den er
sich eigentlich bezog, war sein Princip vollkommen anwendbar. Mit Stolz
kann der Deutsche des neunzehnten Jahrhunderts es von sich rühmen, daß er
durch das Morgenthor des Schönen in der Erkenntniß Land eingegangen ist.
Die Kunst hat uns nicht nur das Wiederaufleben der Wissenschaften vermittelt,
sondern auch das Wiederaufleben der Religion. Herr Reichensperger mag sein
christliches Selbstgefühl so hoch treiben als er will, er wird die Wahrheit nicht
umgehen können, daß unsre religiöse Verjüngung nicht von den Theologen,
sondern von den Künstlern ausgegangen ist. Erst mußten wir am Heidenthum
lernen, was überhaupt schön ist, um auch die Schönheit des Christenthums
wiederzuentdecken, und erst die Schönheit dieser Erscheinung macht uns auf die
menschlichen Wahrheiten aufmerksam, die in den Mysterien der Religion ver¬
borgen liegen.
Herr Reichensperger wendet sich mit seinen Vorschlägen zur Verbesserung
der Baukunst an die Kirche. Vom Staat hofft er ebensowenig als von den
Akademikern. Es ist auch dagegen nichts einzuwenden, denn warum soll nicht
auch die Kirche für einen nützlichen Zweck in Bewegung gesetzt werden? Wenn
die Klöster seinem Vorschlag folgen und statt unnützer Bußübungen Architektur
und Malerei treiben, wenn die Jesuiten statt ihrer casuistischen Spekulationen
Propaganda sür die gothische Baukunst machen, so ist daS ja recht schön und
löblich. Aber alle Achtung vor der Kirche! Herr Reichensperger thut den¬
noch unrecht, sie als den Träger der idealen Baukunst zu preisen, denn sie
hat sich in der Rennaissance, dem Jcsuitenstil, im Zopf und in den akademischen
Formen ebenso bethätigt wie in der mittelalterlichen Baukunst. Die Kirche ist
unabhängig von der gothischen Architektur, die gothische Architektur unabhängig
von der Kirche. Hätte Herr Reichensperger wie Schleiermacher seine Vor¬
schläge nicht an die Kirche, sondern an die Gebildeten unter den Verächtern
der kirchlichen Baukunst gerichtet, er würde ein dankbareres und bereitwilligeres
Publicum gefunden haben; denn wenn wir mit der gothischen Baukunst auch
die Inquisition und den Jesuitismus mit in den Kauf nehmen sollen, so blei¬
ben wir lieber bei der Akademie, allenfalls auch beim Zopf, und sagen mit
Herrn Tyiers, wenn es die Wahl zwischen dem Lächerlichen und Schrecklichen
gilt: <zu Kor oUo>«l> ^js prvlerv is riüiLulsl
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