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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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tern, Jungfrauen, Männern und Kirchenältcsten, die ihr ganzes Geniiith der Beschauung des
Himmlischen, der Enthaltung jener geheimnißvollen Liebe widmeten ... Nach einigen Monaten
erklärt der Jüngling, er sei entschlossen, in den Schoß der alten Kirche zurückzukehren. "Nein,
ruft der Greis, verwechsle nicht diese unsichtbare Liebe mit den Zufällen der Wirklichkeit- Dn
würdest, anstatt des Göttlichen, nnr die Schwachheit unsrer Priester kennen lernen. Wozu,
daß du deinen innern Entzückungen, die im Geheimniß deiner Brust Wahrheit und Bedeutung
haben, in die kalte Wirklichkeit verpflanzen willst, in welcher sie erstarren und verwelken müssen?"
....Das erste Wahrnehmen, der Blick der Begeisterung, die Aufregung der Liebe findet immer
und trinkt den reinen Brnnnqnell des Lebens; aber nun will der Mensch im Schauen das
Wahre noch wahrer machen, der Eigensinn der Consequenz bemächtigt sich des
Gefühls und spinnt aus dem Wahren eine Fabel heraus, die dann ost mit
den Wahngeburten der Irrenhäusler in ziemlich naher Verbindung steht. --

Nun klingt das zwar sehr aufgeklärt und verständig und der Dichter kann
nach Herzenslust in dem Gebiet der Poesie seiner Einbildungskraft die Zügel
schießen lassen, ohne fürchten zu müssen, mit der sittlichen Bildung und Auf¬
klärung seiner Zeit in einen ernsthaften Conflict zu gerathen. Aber wir halten
das Princip dennoch für falsch, ja für das Protvnpseudos der Romantik. Die
poetischen Ideale und die sittlichen Ideale der Wirklichkeit dürfen nicht von¬
einander getrennt werden, sonst geht daraus jene glänzende, aber krankhafte
Dichtung hervor, deren Phosphoreöciren nur ein Zeichen der Verwesung ist.
Man ist in der romantischen und in der jungdeutschen Zeit nicht müde ge¬
worden, gegen die Idee von der moralischen Bedeutung der Poesie zu Felde
zu ziehen, als ob man darunter ein einseitiges Moralisiren und Predigen zu
verstehen habe. Es heißt aber nichts Anderes, als daß man in der Poesie
dasselbe lieben und bewundern soll, was man in der Wirklichkeit liebt und be¬
wundert. Daß Ti.cet und August Wilhelm Schlegel sich durch ihre artistische
Vorliebe für den Katholicismus nicht verleiten ließen, dem Beispiele Friedrich
Schlegels zu folgen, und im Schoß der alleinseligmachenden Kirche ebenso das
Heil für ihr Gemüth zu suchen, wie in den Lobliedern ans die Jungfrau Maria
die Befriedigung ihrer Phantasie, macht ihrem Verstände mehr Ehre als ihrem
Gemüth. Eine Poesie, die sich für Gegenstände erwärmt und begeistert, von
denen sie bei ruhiger Ueberlegung sagen muß, daß sie diese Wärme und Be¬
geisterung nicht verdienen, jhe ästhetisch'wie moralisch gleich verwerflich; sie ver¬
wirrt die Begriffe und Empfindungen des Volks und hat in sich selbst nur
ein scheinbares Leben, da die bewußte Illusion nie im Stande ist, lebendige
Götter- und Heldengestalten, ergreifende Leidenschaften und ein erschütterndes
Schicksal schöpferisch zu erzeugen.




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tern, Jungfrauen, Männern und Kirchenältcsten, die ihr ganzes Geniiith der Beschauung des
Himmlischen, der Enthaltung jener geheimnißvollen Liebe widmeten ... Nach einigen Monaten
erklärt der Jüngling, er sei entschlossen, in den Schoß der alten Kirche zurückzukehren. „Nein,
ruft der Greis, verwechsle nicht diese unsichtbare Liebe mit den Zufällen der Wirklichkeit- Dn
würdest, anstatt des Göttlichen, nnr die Schwachheit unsrer Priester kennen lernen. Wozu,
daß du deinen innern Entzückungen, die im Geheimniß deiner Brust Wahrheit und Bedeutung
haben, in die kalte Wirklichkeit verpflanzen willst, in welcher sie erstarren und verwelken müssen?"
....Das erste Wahrnehmen, der Blick der Begeisterung, die Aufregung der Liebe findet immer
und trinkt den reinen Brnnnqnell des Lebens; aber nun will der Mensch im Schauen das
Wahre noch wahrer machen, der Eigensinn der Consequenz bemächtigt sich des
Gefühls und spinnt aus dem Wahren eine Fabel heraus, die dann ost mit
den Wahngeburten der Irrenhäusler in ziemlich naher Verbindung steht. —

Nun klingt das zwar sehr aufgeklärt und verständig und der Dichter kann
nach Herzenslust in dem Gebiet der Poesie seiner Einbildungskraft die Zügel
schießen lassen, ohne fürchten zu müssen, mit der sittlichen Bildung und Auf¬
klärung seiner Zeit in einen ernsthaften Conflict zu gerathen. Aber wir halten
das Princip dennoch für falsch, ja für das Protvnpseudos der Romantik. Die
poetischen Ideale und die sittlichen Ideale der Wirklichkeit dürfen nicht von¬
einander getrennt werden, sonst geht daraus jene glänzende, aber krankhafte
Dichtung hervor, deren Phosphoreöciren nur ein Zeichen der Verwesung ist.
Man ist in der romantischen und in der jungdeutschen Zeit nicht müde ge¬
worden, gegen die Idee von der moralischen Bedeutung der Poesie zu Felde
zu ziehen, als ob man darunter ein einseitiges Moralisiren und Predigen zu
verstehen habe. Es heißt aber nichts Anderes, als daß man in der Poesie
dasselbe lieben und bewundern soll, was man in der Wirklichkeit liebt und be¬
wundert. Daß Ti.cet und August Wilhelm Schlegel sich durch ihre artistische
Vorliebe für den Katholicismus nicht verleiten ließen, dem Beispiele Friedrich
Schlegels zu folgen, und im Schoß der alleinseligmachenden Kirche ebenso das
Heil für ihr Gemüth zu suchen, wie in den Lobliedern ans die Jungfrau Maria
die Befriedigung ihrer Phantasie, macht ihrem Verstände mehr Ehre als ihrem
Gemüth. Eine Poesie, die sich für Gegenstände erwärmt und begeistert, von
denen sie bei ruhiger Ueberlegung sagen muß, daß sie diese Wärme und Be¬
geisterung nicht verdienen, jhe ästhetisch'wie moralisch gleich verwerflich; sie ver¬
wirrt die Begriffe und Empfindungen des Volks und hat in sich selbst nur
ein scheinbares Leben, da die bewußte Illusion nie im Stande ist, lebendige
Götter- und Heldengestalten, ergreifende Leidenschaften und ein erschütterndes
Schicksal schöpferisch zu erzeugen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/115>, abgerufen am 22.07.2024.