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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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mehr Blödsinniger der Held, der aber nicht blos tiefer und reiner empfindet,
sondern auch feiner begreift und einen praktischeren, consequcnteren Willen hat,
als die vernünftigen Leute. Eine durchaus abgeschmackte Erfindung, die uns
recht lebhaft verherrlicht, zu welchen Conseguenzen endlich ein abstracteö Princip
verleitet, und die durch einen Beischmack von Frömmelei durchaus nicht erträg¬
licher gemacht wird.

Der Gelehrte (18Ä7). Die Novelle hat einen vortrefflichen sittlichen
Grundgedanken, nämlich die Polemik gegen den Dilettantismus im Wissen.
Einzelne Ausführungen dieses Princips überraschen durch ihre eindringende
Wahrheit. Und diese Verherrlichung der ernsten Gelehrsamkeit von Seite der
Romantik würde uns noch mehr befremden, wenn sich dahinter nicht zugleich
die alte Polemik gegen den Rationalismus versteckte, der an Stelle der Phi¬
lologie in die Schulen die Naturwissenschaft oder vielmehr eine Sammlung von
einem nützlichen Allerlei einführen wollte. Uebrigens macht die Novelle bei
ihrer durchweg harmlosen Haltung einen wohlthuenden Eindruck, obgleich das
Märchen von Aschenbrödel ungeschickt in das moderne Leben verwebt ist und
obgleich beim genauern Zusehen der Realismus der Handlung ziemlich stark
zusammenschrumpft. Von dem Leben eines Gymnasialdirectors scheint sich Tieck
doch keine sehr bestimmten Vorstellungen gemacht zu haben.

Pietro von Abano l"> 8Ä8). Hier hat Tieck einmal den Versuch gemacht,
eine Wundergeschichte ganz ernsthaft, ohne alle Beimischung von Ironie zu er¬
zählen. Es ist ihm nicht gelungen. Zwar ist der Stil bei weitem feiner
und gebildeter als bei van der Velde oder ähnlichen Tagesschriftstellern, aber
die Erfindungen der letzteren sehen doch natürlicher aus, und haben mehr innere
Consistenz und Haltung, als diese gezierte Geistergeschichte.

Der Alte vom Berge (1828) erinnert mehr an die alte Weise seines
Schaffens, als die übrigen Novellen; namentlich treten Reminiscenzen an den
Runenbcrg und an die Bergmannsgcschichte im Heinrich von Ofterdingen hervor,
wenn auch die alte Romantik durch moderne Beziehungen abgeschwächt ist.
Einige Male nimmt der Dichter einen ganz ernsthaften Anlauf, um den Grü¬
beleien des tiefsinnigen alten Menschenfeindes mit seiner Empfindung nachzu¬
folgen und sie wiederzugeben, und wir werden dann durch eine wirkliche
Poesie des Gedankens und der Empfindung überrascht. Aber diese Poesie
wird sehr bald durch bizarre und .sinnlose Erfindungen überdeckt, die jede
ernsthafte Theilnahme unmöglich machen. Der eigentlich novellistische Theil
ist ganz, leichtsinnig gearbeitet; von einer sittlichen Klarheit ist keine Spur;
der Ausgang ist fade und albern und der Schlußcindruck durchaus verstimmt.

Das Zauberschlo ß (1830). Wieder eine Gespenstergeschichte und dies Mal
eine recht ernsthafte, die wenigstens dem Anscheine nach dazu bestimmt ist, uns
zu erschrecken und zu beängstigen. Wer nicht geir^ne Aufmerksamkeit auf den


mehr Blödsinniger der Held, der aber nicht blos tiefer und reiner empfindet,
sondern auch feiner begreift und einen praktischeren, consequcnteren Willen hat,
als die vernünftigen Leute. Eine durchaus abgeschmackte Erfindung, die uns
recht lebhaft verherrlicht, zu welchen Conseguenzen endlich ein abstracteö Princip
verleitet, und die durch einen Beischmack von Frömmelei durchaus nicht erträg¬
licher gemacht wird.

Der Gelehrte (18Ä7). Die Novelle hat einen vortrefflichen sittlichen
Grundgedanken, nämlich die Polemik gegen den Dilettantismus im Wissen.
Einzelne Ausführungen dieses Princips überraschen durch ihre eindringende
Wahrheit. Und diese Verherrlichung der ernsten Gelehrsamkeit von Seite der
Romantik würde uns noch mehr befremden, wenn sich dahinter nicht zugleich
die alte Polemik gegen den Rationalismus versteckte, der an Stelle der Phi¬
lologie in die Schulen die Naturwissenschaft oder vielmehr eine Sammlung von
einem nützlichen Allerlei einführen wollte. Uebrigens macht die Novelle bei
ihrer durchweg harmlosen Haltung einen wohlthuenden Eindruck, obgleich das
Märchen von Aschenbrödel ungeschickt in das moderne Leben verwebt ist und
obgleich beim genauern Zusehen der Realismus der Handlung ziemlich stark
zusammenschrumpft. Von dem Leben eines Gymnasialdirectors scheint sich Tieck
doch keine sehr bestimmten Vorstellungen gemacht zu haben.

Pietro von Abano l"> 8Ä8). Hier hat Tieck einmal den Versuch gemacht,
eine Wundergeschichte ganz ernsthaft, ohne alle Beimischung von Ironie zu er¬
zählen. Es ist ihm nicht gelungen. Zwar ist der Stil bei weitem feiner
und gebildeter als bei van der Velde oder ähnlichen Tagesschriftstellern, aber
die Erfindungen der letzteren sehen doch natürlicher aus, und haben mehr innere
Consistenz und Haltung, als diese gezierte Geistergeschichte.

Der Alte vom Berge (1828) erinnert mehr an die alte Weise seines
Schaffens, als die übrigen Novellen; namentlich treten Reminiscenzen an den
Runenbcrg und an die Bergmannsgcschichte im Heinrich von Ofterdingen hervor,
wenn auch die alte Romantik durch moderne Beziehungen abgeschwächt ist.
Einige Male nimmt der Dichter einen ganz ernsthaften Anlauf, um den Grü¬
beleien des tiefsinnigen alten Menschenfeindes mit seiner Empfindung nachzu¬
folgen und sie wiederzugeben, und wir werden dann durch eine wirkliche
Poesie des Gedankens und der Empfindung überrascht. Aber diese Poesie
wird sehr bald durch bizarre und .sinnlose Erfindungen überdeckt, die jede
ernsthafte Theilnahme unmöglich machen. Der eigentlich novellistische Theil
ist ganz, leichtsinnig gearbeitet; von einer sittlichen Klarheit ist keine Spur;
der Ausgang ist fade und albern und der Schlußcindruck durchaus verstimmt.

Das Zauberschlo ß (1830). Wieder eine Gespenstergeschichte und dies Mal
eine recht ernsthafte, die wenigstens dem Anscheine nach dazu bestimmt ist, uns
zu erschrecken und zu beängstigen. Wer nicht geir^ne Aufmerksamkeit auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/112>, abgerufen am 24.08.2024.