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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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und unter Berücksichtigung des gut und besser wie in Nußland eingerichteten
Ersatzes im Stande ist, sich im Felde auf der Höhe von 900 Mann und darüber
zu behaupten, was mehr als die doppelte Durchschnittsstärke der russischen
Bataillone ausmacht.

Hieraus erhellt, daß Oestreich-an und für sich über eine bei weitem be¬
deutendere Waffenmacht als der Zar zu verfügen hat, mithin, auch wenn eS
diesem allein gegenüberstände, kaum zur Defensive gezwungen sein würde, --
ein Fall, der überhaupt nur dann eintreten möchte, wenn eine ganze Hälfte
der östreichischen Wehrkraft von etwa entstandenen revolutionären Bewegungen
in Italien und Ungarn beansprucht werden sollte. Jetzt aber, wo Nußland
im Süden und Norden bedroht ist, würde auch ein solches unglückliches Ereigniß
die deutsche Großmacht nicht an eine abwartende Vertheidigung binden und
ihr die Freiheit lassen, den Krieg ans russisches Territorium hinüberzuspielen.

Angenommen Oestreich vermöchte von seinen vierzehn feldbereiten Armeecorps
nur sieben gegen das Zarenreich zur Verwendung zu bringen, so wäre dies,
die Kriegsstärke derselben aus dem Solletat zu 30,000 Mann ein jedes, und
effectiv zu 28,000 Mann berechnet, eine Waffenmacht von -175,000 Mann, der
gegenüber Rußland unmöglich seine Grenzlinien zu behaupten vermögen würde,
denn ihm verbleiben, wie schon bemerkt, für diesen Zweck im besten Falle nur
zwei Armeecorps/ die überdies nur aus Polen hinausgezogen werden können,
wenn man auf dessen Besitz in Se. Petersburg resigniren will.

Aber es Ist fast über jeden Zweifel gewiß, daß Kaiser Franz Joseph mit
größeren Massen im Felde erscheinen wird. Schon die bis gegenwärtig nur
zu demonstrativen Zwecken aufgestellten Truppentheile greifen weit über die
angeführte Ziffer hinaus und lassen uns erwarten, daß es sich bei dem östreichi¬
schen Kriegsfall um einen Angriff mit beinahe 300,000 Mann gegen Nußland
handeln wird. --

Neben den Streitkräften ist im Kriege der Raum das wichtigste Element.
Derselbe tritt darin nach zwei verschiedenen Beziehungen, als Distance und als
geometrisches Verhältniß auf.

In die letztere Kategorie fallen Fronte, Flanken, Basis, Operationslinie,
Rückzugslinie, die taktischen sowol wie die strategischen, aber die Distancen sind
letzlich das, was dem zwischen ihnen bestehenden Verhältniß das Maß des
praktischen Werthes verleiht.

Oestreich und Rußland haben beide an und für sich nur die gallizische
Grenze miteinander gemein. Die factische Einverleibung der Moldau in das
Zarische Staatsgebiet würde diese Grenze beinahe um das Doppelte verlängern
und Siebenbürgen in unmittelbare Berührung mit dem moökowitischcn Gro߬
reich bringen. Endlich würde Oestreich, falls die Russen in der großen und
kleinen Walachei auf die Dauer Fuß faßten, von der Grenze des Nachbars,


und unter Berücksichtigung des gut und besser wie in Nußland eingerichteten
Ersatzes im Stande ist, sich im Felde auf der Höhe von 900 Mann und darüber
zu behaupten, was mehr als die doppelte Durchschnittsstärke der russischen
Bataillone ausmacht.

Hieraus erhellt, daß Oestreich-an und für sich über eine bei weitem be¬
deutendere Waffenmacht als der Zar zu verfügen hat, mithin, auch wenn eS
diesem allein gegenüberstände, kaum zur Defensive gezwungen sein würde, —
ein Fall, der überhaupt nur dann eintreten möchte, wenn eine ganze Hälfte
der östreichischen Wehrkraft von etwa entstandenen revolutionären Bewegungen
in Italien und Ungarn beansprucht werden sollte. Jetzt aber, wo Nußland
im Süden und Norden bedroht ist, würde auch ein solches unglückliches Ereigniß
die deutsche Großmacht nicht an eine abwartende Vertheidigung binden und
ihr die Freiheit lassen, den Krieg ans russisches Territorium hinüberzuspielen.

Angenommen Oestreich vermöchte von seinen vierzehn feldbereiten Armeecorps
nur sieben gegen das Zarenreich zur Verwendung zu bringen, so wäre dies,
die Kriegsstärke derselben aus dem Solletat zu 30,000 Mann ein jedes, und
effectiv zu 28,000 Mann berechnet, eine Waffenmacht von -175,000 Mann, der
gegenüber Rußland unmöglich seine Grenzlinien zu behaupten vermögen würde,
denn ihm verbleiben, wie schon bemerkt, für diesen Zweck im besten Falle nur
zwei Armeecorps/ die überdies nur aus Polen hinausgezogen werden können,
wenn man auf dessen Besitz in Se. Petersburg resigniren will.

Aber es Ist fast über jeden Zweifel gewiß, daß Kaiser Franz Joseph mit
größeren Massen im Felde erscheinen wird. Schon die bis gegenwärtig nur
zu demonstrativen Zwecken aufgestellten Truppentheile greifen weit über die
angeführte Ziffer hinaus und lassen uns erwarten, daß es sich bei dem östreichi¬
schen Kriegsfall um einen Angriff mit beinahe 300,000 Mann gegen Nußland
handeln wird. —

Neben den Streitkräften ist im Kriege der Raum das wichtigste Element.
Derselbe tritt darin nach zwei verschiedenen Beziehungen, als Distance und als
geometrisches Verhältniß auf.

In die letztere Kategorie fallen Fronte, Flanken, Basis, Operationslinie,
Rückzugslinie, die taktischen sowol wie die strategischen, aber die Distancen sind
letzlich das, was dem zwischen ihnen bestehenden Verhältniß das Maß des
praktischen Werthes verleiht.

Oestreich und Rußland haben beide an und für sich nur die gallizische
Grenze miteinander gemein. Die factische Einverleibung der Moldau in das
Zarische Staatsgebiet würde diese Grenze beinahe um das Doppelte verlängern
und Siebenbürgen in unmittelbare Berührung mit dem moökowitischcn Gro߬
reich bringen. Endlich würde Oestreich, falls die Russen in der großen und
kleinen Walachei auf die Dauer Fuß faßten, von der Grenze des Nachbars,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/64>, abgerufen am 01.09.2024.