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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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gebiets am schwarzen Meere freiwillig ausgibt?! Wenn es selbst auf eine
allseitige Vertheidigung der Gestade der Krim verzichtet und seine Etablisse-
ments in Kaffa zerstört?!

Die Freunde Rußlands bemühen sich vergebens, im aufgeklärten Europa
dem großartigen Humbug Eingang zu verschaffen, wonach Kaiser Nikolaus
über 1,230,000 Mann zu verfügen habe. Ich frage einfach: wo sich dieselben
-wol befinden mögen, da man gegenwärtig, wo an der Donau die Entscheidung
über die große Frage nahe ist, die daselbst stationirte Armee auf nicht höher
als -160,000 Mann berechnet, und nichtsdestoweniger dieselbe, wie auch ruft
sischerseits eingestanden ist, den Haupttheil und Kern der eigentlichen Waffen¬
macht des Zaren bildet. Oder sollten es wirklich, wie neulich erst Moskaner
und Warschauer Blätter berichteten, 260,000 Mann sein, denen Omer Pascha
mit 90,000 Mann während acht Monaten Schach geboten und iltanche Schlappe
beigebracht hat? Denen im besondern die Wegnahme des nur in provisorischer
Form befestigten Silistria nicht gelungen ist, und die während der letzten acht
Wochen in der Bulgarei etwa zwölf Stunden weit vorgerückt' sind? Ich
glaube, daß die Wortführer der russischen Interessen ihrem Herrn und Meister
an der Newa mit einer solchen Behauptung kaum einen Dienst erweisen
würden. .

Wer mit der neuesten Literatur über Nußland, eine Quelle, die nur
äußerst spärlich fließt, bekannt ist, wird wissen, daß es für die Kenntniß der
Armee des Zaren kein reichhaltigeres Material gibt, als dasjenige, welches
im dritten Bande der "Studien über Rußland" vom Freiherrn von Harthansen
zusammengestellt worden ist. Ans den Tabellen, die er mittheilt, geht hervor,
daß in Nußland die Truppen sür den localen Dienst von den für die Opera¬
tionen oder die eigentliche kriegerische Verwendung bestimmten unterschieden
sind. Die letzteren schätzt Harthausen, de-r wahrlich nicht verkleinert, wo es
sich um russische Größe handelt, auf

368 Bataillone,
i-60 Schwadronen und
996 Geschütze.

Nach dem Solletat würde dies eine Starke von 486,000 Mann ergeben,
welche sich in Gardecorps, ein Grenadiercvrps, sechs JnfanteriecorpS und drei
Eavaleriecorps, worunter ein Dragonercorps, eintheilen. Allein die Bataillone
erreichen, selbst nach russischen Berichten, kaum die Hälfte ihrer vorgeschriebenen
Stärke. Beinahe ebenso steht es mit den Schwadronen und Batterien. Wenn
daher Harthausen 213,000 Mann Reserven, und zwar 98,000 Mann des
ersten, und 115,000 Mann des zweiten Aufgebots, in Anrechnung bringt,
wonach sich die active Waffenmacht auf 699,000 Mann erheben würde, so
kann gleichwol der höchste Anschlag dieselben nur als Ersatz sür die bestehenden


gebiets am schwarzen Meere freiwillig ausgibt?! Wenn es selbst auf eine
allseitige Vertheidigung der Gestade der Krim verzichtet und seine Etablisse-
ments in Kaffa zerstört?!

Die Freunde Rußlands bemühen sich vergebens, im aufgeklärten Europa
dem großartigen Humbug Eingang zu verschaffen, wonach Kaiser Nikolaus
über 1,230,000 Mann zu verfügen habe. Ich frage einfach: wo sich dieselben
-wol befinden mögen, da man gegenwärtig, wo an der Donau die Entscheidung
über die große Frage nahe ist, die daselbst stationirte Armee auf nicht höher
als -160,000 Mann berechnet, und nichtsdestoweniger dieselbe, wie auch ruft
sischerseits eingestanden ist, den Haupttheil und Kern der eigentlichen Waffen¬
macht des Zaren bildet. Oder sollten es wirklich, wie neulich erst Moskaner
und Warschauer Blätter berichteten, 260,000 Mann sein, denen Omer Pascha
mit 90,000 Mann während acht Monaten Schach geboten und iltanche Schlappe
beigebracht hat? Denen im besondern die Wegnahme des nur in provisorischer
Form befestigten Silistria nicht gelungen ist, und die während der letzten acht
Wochen in der Bulgarei etwa zwölf Stunden weit vorgerückt' sind? Ich
glaube, daß die Wortführer der russischen Interessen ihrem Herrn und Meister
an der Newa mit einer solchen Behauptung kaum einen Dienst erweisen
würden. .

Wer mit der neuesten Literatur über Nußland, eine Quelle, die nur
äußerst spärlich fließt, bekannt ist, wird wissen, daß es für die Kenntniß der
Armee des Zaren kein reichhaltigeres Material gibt, als dasjenige, welches
im dritten Bande der „Studien über Rußland" vom Freiherrn von Harthansen
zusammengestellt worden ist. Ans den Tabellen, die er mittheilt, geht hervor,
daß in Nußland die Truppen sür den localen Dienst von den für die Opera¬
tionen oder die eigentliche kriegerische Verwendung bestimmten unterschieden
sind. Die letzteren schätzt Harthausen, de-r wahrlich nicht verkleinert, wo es
sich um russische Größe handelt, auf

368 Bataillone,
i-60 Schwadronen und
996 Geschütze.

Nach dem Solletat würde dies eine Starke von 486,000 Mann ergeben,
welche sich in Gardecorps, ein Grenadiercvrps, sechs JnfanteriecorpS und drei
Eavaleriecorps, worunter ein Dragonercorps, eintheilen. Allein die Bataillone
erreichen, selbst nach russischen Berichten, kaum die Hälfte ihrer vorgeschriebenen
Stärke. Beinahe ebenso steht es mit den Schwadronen und Batterien. Wenn
daher Harthausen 213,000 Mann Reserven, und zwar 98,000 Mann des
ersten, und 115,000 Mann des zweiten Aufgebots, in Anrechnung bringt,
wonach sich die active Waffenmacht auf 699,000 Mann erheben würde, so
kann gleichwol der höchste Anschlag dieselben nur als Ersatz sür die bestehenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/62>, abgerufen am 08.01.2025.