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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Ideale auf, die den Begriffen des Zeitgeistes widersprachen, aber sie nahm, we¬
nigstens solange sie nicht momentan die Besinnung verlor, für diese Ideale
keine Giltigkeit innerhalb der wirklichen Welt in Anspruch. Schlegel, Tieck
und andere haben es mehrfach wiederholt, daß sie den poetischen Idealismus
des Ritters von der traurigen Gestalt vollkommen billigten, daß sie aber seinen
Irrthum darin fänden, daß er diese Ideale ins Leben einführen wollte, da
doch die kalte Wirklichkeit überhaupt der Feind des Ideals sei. Sie haben sich
daher auch sehr wohl gehütet, in diesen Irrthum Don Quirotes zu verfallen, und
wenn der eine von ihnen, Friedrich Schlegel, dennoch ein öffentliches Aergerniß
gab, so ist der Grund davon theils in der Zerfahrenheit seiner Gesinnung,
theils aber und hauptsächlich in äußern Umständen zu suchen. Wer das noch
bezweifelt, der kann sich aus der vor einiger Zeit erschienenen Paulusschen Brief-
sammlung überführen. Eichendorff, der in seiner früheren Schrift dies Grund-
princip vollkommen richtig durchschaute, hat sich dies Mal täuschen lassen. Er
spricht Friedrich Schlegel von jenem Borwurf frei, wahrscheinlich weil er das
Athenäum und die Europa vollständig vergessen hat.- Das Princip der roman¬
tischen Schule bestand darin, daß der poetische Glaube, das poetische Lebens¬
element ein andres sein müsse, als das Lebenselement der Wirklichkeit.

Eichendorff huldigt diesem Dualismus keineswegs. Für ihn ist der rcchll'
poetische Inhalt auch der Inhalt deS wirklichen Lebens; und wenn er
diesen Inhalt anderwärts findet als wir, so liegt doch in dem Bestreben, das
Ideal in die Wirklichkeit einzuführen, eine innere Verwandtschaft mit de>"
Streben der modernen Zeit, die uns über manche Paradorien hinwegsehen läßt.

Freilich wird es bei der Ausführung schwer, in dem Katholicismus wirklich
den Inhalt des modernen Glaubens zu finden, und es begegnet ihm mehr¬
mals, daß er in freiwillige und unfreiwillige Irrthümer verfällt. So su^
er die Meinung zu widerlegen, daß Shakespeare ein Dichter des Protestan¬
tismus gewesen sei, und stellt vielmehr die Behauptung auf, er sei ein Dich^'
gewesen, obgleich ein Protestant. Shakespeare war freilich nicht in dem
Sinne ein Protestant wie die theologischen Klopffechter seiner Zeit; allein wen"
man von den zufälligen Erscheinungen der beiden Glaubenslehren absieht uno
auf den innern Kern des Glaubens eingeht, so wird man in keinem Dichte
einen so correcten Ausdruck des protestantischen Princips finden als
Shakespeare. Denn der Protestantismus nahm die Gegensätze des Göttlichen
und des Irdischen in das menschliche Herz aus, wo sie sich in concreter Fu^
entfalteten; während sowol in der alten Kirche wie in dem neuen IesuitisniN
der Himmel und die Erde zwei Welten waren, die sich ganz äußerlich ^
kämpften. In diesem Sinn, freilich nur in diesem, wird man als Pr>^
cip des Protestantismus die Freiheit, als Princip des Katholicismus die Au-
torität ausstellen können. Die Freiheit kann zur Qual werden, wie daS mer ^


Ideale auf, die den Begriffen des Zeitgeistes widersprachen, aber sie nahm, we¬
nigstens solange sie nicht momentan die Besinnung verlor, für diese Ideale
keine Giltigkeit innerhalb der wirklichen Welt in Anspruch. Schlegel, Tieck
und andere haben es mehrfach wiederholt, daß sie den poetischen Idealismus
des Ritters von der traurigen Gestalt vollkommen billigten, daß sie aber seinen
Irrthum darin fänden, daß er diese Ideale ins Leben einführen wollte, da
doch die kalte Wirklichkeit überhaupt der Feind des Ideals sei. Sie haben sich
daher auch sehr wohl gehütet, in diesen Irrthum Don Quirotes zu verfallen, und
wenn der eine von ihnen, Friedrich Schlegel, dennoch ein öffentliches Aergerniß
gab, so ist der Grund davon theils in der Zerfahrenheit seiner Gesinnung,
theils aber und hauptsächlich in äußern Umständen zu suchen. Wer das noch
bezweifelt, der kann sich aus der vor einiger Zeit erschienenen Paulusschen Brief-
sammlung überführen. Eichendorff, der in seiner früheren Schrift dies Grund-
princip vollkommen richtig durchschaute, hat sich dies Mal täuschen lassen. Er
spricht Friedrich Schlegel von jenem Borwurf frei, wahrscheinlich weil er das
Athenäum und die Europa vollständig vergessen hat.- Das Princip der roman¬
tischen Schule bestand darin, daß der poetische Glaube, das poetische Lebens¬
element ein andres sein müsse, als das Lebenselement der Wirklichkeit.

Eichendorff huldigt diesem Dualismus keineswegs. Für ihn ist der rcchll'
poetische Inhalt auch der Inhalt deS wirklichen Lebens; und wenn er
diesen Inhalt anderwärts findet als wir, so liegt doch in dem Bestreben, das
Ideal in die Wirklichkeit einzuführen, eine innere Verwandtschaft mit de>»
Streben der modernen Zeit, die uns über manche Paradorien hinwegsehen läßt.

Freilich wird es bei der Ausführung schwer, in dem Katholicismus wirklich
den Inhalt des modernen Glaubens zu finden, und es begegnet ihm mehr¬
mals, daß er in freiwillige und unfreiwillige Irrthümer verfällt. So su^
er die Meinung zu widerlegen, daß Shakespeare ein Dichter des Protestan¬
tismus gewesen sei, und stellt vielmehr die Behauptung auf, er sei ein Dich^'
gewesen, obgleich ein Protestant. Shakespeare war freilich nicht in dem
Sinne ein Protestant wie die theologischen Klopffechter seiner Zeit; allein wen»
man von den zufälligen Erscheinungen der beiden Glaubenslehren absieht uno
auf den innern Kern des Glaubens eingeht, so wird man in keinem Dichte
einen so correcten Ausdruck des protestantischen Princips finden als
Shakespeare. Denn der Protestantismus nahm die Gegensätze des Göttlichen
und des Irdischen in das menschliche Herz aus, wo sie sich in concreter Fu^
entfalteten; während sowol in der alten Kirche wie in dem neuen IesuitisniN
der Himmel und die Erde zwei Welten waren, die sich ganz äußerlich ^
kämpften. In diesem Sinn, freilich nur in diesem, wird man als Pr>^
cip des Protestantismus die Freiheit, als Princip des Katholicismus die Au-
torität ausstellen können. Die Freiheit kann zur Qual werden, wie daS mer ^


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[0498] Ideale auf, die den Begriffen des Zeitgeistes widersprachen, aber sie nahm, we¬ nigstens solange sie nicht momentan die Besinnung verlor, für diese Ideale keine Giltigkeit innerhalb der wirklichen Welt in Anspruch. Schlegel, Tieck und andere haben es mehrfach wiederholt, daß sie den poetischen Idealismus des Ritters von der traurigen Gestalt vollkommen billigten, daß sie aber seinen Irrthum darin fänden, daß er diese Ideale ins Leben einführen wollte, da doch die kalte Wirklichkeit überhaupt der Feind des Ideals sei. Sie haben sich daher auch sehr wohl gehütet, in diesen Irrthum Don Quirotes zu verfallen, und wenn der eine von ihnen, Friedrich Schlegel, dennoch ein öffentliches Aergerniß gab, so ist der Grund davon theils in der Zerfahrenheit seiner Gesinnung, theils aber und hauptsächlich in äußern Umständen zu suchen. Wer das noch bezweifelt, der kann sich aus der vor einiger Zeit erschienenen Paulusschen Brief- sammlung überführen. Eichendorff, der in seiner früheren Schrift dies Grund- princip vollkommen richtig durchschaute, hat sich dies Mal täuschen lassen. Er spricht Friedrich Schlegel von jenem Borwurf frei, wahrscheinlich weil er das Athenäum und die Europa vollständig vergessen hat.- Das Princip der roman¬ tischen Schule bestand darin, daß der poetische Glaube, das poetische Lebens¬ element ein andres sein müsse, als das Lebenselement der Wirklichkeit. Eichendorff huldigt diesem Dualismus keineswegs. Für ihn ist der rcchll' poetische Inhalt auch der Inhalt deS wirklichen Lebens; und wenn er diesen Inhalt anderwärts findet als wir, so liegt doch in dem Bestreben, das Ideal in die Wirklichkeit einzuführen, eine innere Verwandtschaft mit de>» Streben der modernen Zeit, die uns über manche Paradorien hinwegsehen läßt. Freilich wird es bei der Ausführung schwer, in dem Katholicismus wirklich den Inhalt des modernen Glaubens zu finden, und es begegnet ihm mehr¬ mals, daß er in freiwillige und unfreiwillige Irrthümer verfällt. So su^ er die Meinung zu widerlegen, daß Shakespeare ein Dichter des Protestan¬ tismus gewesen sei, und stellt vielmehr die Behauptung auf, er sei ein Dich^' gewesen, obgleich ein Protestant. Shakespeare war freilich nicht in dem Sinne ein Protestant wie die theologischen Klopffechter seiner Zeit; allein wen» man von den zufälligen Erscheinungen der beiden Glaubenslehren absieht uno auf den innern Kern des Glaubens eingeht, so wird man in keinem Dichte einen so correcten Ausdruck des protestantischen Princips finden als Shakespeare. Denn der Protestantismus nahm die Gegensätze des Göttlichen und des Irdischen in das menschliche Herz aus, wo sie sich in concreter Fu^ entfalteten; während sowol in der alten Kirche wie in dem neuen IesuitisniN der Himmel und die Erde zwei Welten waren, die sich ganz äußerlich ^ kämpften. In diesem Sinn, freilich nur in diesem, wird man als Pr>^ cip des Protestantismus die Freiheit, als Princip des Katholicismus die Au- torität ausstellen können. Die Freiheit kann zur Qual werden, wie daS mer ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/498>, abgerufen am 27.07.2024.