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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Geschichtschreiber zu widersprechen. Wenn es ihm auch bisweilen begegnet
sein mag, in dem Eifer zu weit zu gehen, so können wir doch im allgemei¬
nen diese entschiedene Rücksichtslosigkeit nur billigen, da die Geschichtschrei¬
bung ihren Beruf nur halb erfüllt, wenn sie den Menschen daran gewohnt,
alles Thatsächliche ohne Unterschied auszunehmen und zu ertragen. Herr
Sugenheim läßt sich von dem Schimmer der Heiligkeit, den geschickte So¬
phisten über die Entwicklung der Kirche gebreitet haben, niemals blenden,
aber ebensowenig verschließt er sein Auge der wahren Größe. Diejenigen
Päpste, welche ihren großen Beruf ernst, würdig und consequent auffaßten,
wie Gregor VIl., Innocenz IU. u. f. w, werden mit gebührender Bewunderung
besprochen, auch wo der Verfasser auf ihre Ideen nicht eingehen kann. Nur
M einem Punkt scheint er nicht immer die nöthige Vorsicht beobachtet zu
haben; er bringt nämlich die specifische Verschiedenheit des italienischen Nolkö-
charaklers von dem unsrigen nicht gehörig in Anschlag. Als Beleg führen
wir das Urtheil an, das er über Cota Rienzi fällt. "Daß er nichts weniger
"Is ein wahrhaft großer, sondern nur ein ganz gewöhnlicher Mensch war,
offenbarte er am auffallendsten darin, daß er den gemeinen Fehler aller ge¬
wöhnlichen, über das Niveau der Alltäglichkeit sich nicht oder nur sehr wenig
erhebenden Sterblichen in hohem Grade theilte. Er vermochte nämlich das
Glück nicht zu ertragen, war überhaupt nur eine sonderbare Mischung von
Kenntnissen, Beredtsamkeit, Enthusiasmus, Eitelkeit, Mangel an Menschen¬
kenntniß, Wankelmuth und Feigheit, also durchaus kein Charakter, mithin wol
Un Stande, eine gewaltige Bewegung der Geister zu entzünden, aber nicht,
^ zu erhalten. Denn Umwälzungen, politische, kirchliche wie sociale, bedür-
^" zu ihrem dauernden Triumphe weitmehr großer Charaktere, als großer
Helden der Rednerbühne, der Koryphäen der Wissenschaft, die eine flüchtige
Begeisterung wol anzufachen, aber weder zu erhalten noch zu lenken, zu be¬
nutzen verstehen; auch Deutschlands jüngste Vergangenheit hat das zur Genüge
bewiesen. Cota, dessen ganze Erscheinung der eines Komödianten glich, der
"uf einige Stunden mit Flitterstaat behängt sich spreizt in seiner Pseudo-
'Uajestät, wurde sehr bald trunken durch sein außerordentliches Glück. Er
"'"gab sich und die Seinen mit ungeheurem Prunk, mit Ehrenzeichen, die das
^°ik einem Emporkömmling noch weniger vergibt, als den Mißbrauch der
Aachl s^bst, er sich auch in nicht geringem Maße, namentlich durch Er¬
hebung und Bereicherung seiner Verwandten, zu Schulden kommen ließ, ver¬
schleuderte daneben die öffentlichen Gelder in unsinnigen Zechgelagen und
Festlichkeiten" -- u.' s. w.

Diese Darstellung würde weniger hart aussehen, wenn der Verfasser den
^""schen Nolkstribun als das aufgefaßt hätte, was er wirklich war, als den
bvllendcten Ausdruck des römischen Volksgeistes, der mit seinem aus unde


Geschichtschreiber zu widersprechen. Wenn es ihm auch bisweilen begegnet
sein mag, in dem Eifer zu weit zu gehen, so können wir doch im allgemei¬
nen diese entschiedene Rücksichtslosigkeit nur billigen, da die Geschichtschrei¬
bung ihren Beruf nur halb erfüllt, wenn sie den Menschen daran gewohnt,
alles Thatsächliche ohne Unterschied auszunehmen und zu ertragen. Herr
Sugenheim läßt sich von dem Schimmer der Heiligkeit, den geschickte So¬
phisten über die Entwicklung der Kirche gebreitet haben, niemals blenden,
aber ebensowenig verschließt er sein Auge der wahren Größe. Diejenigen
Päpste, welche ihren großen Beruf ernst, würdig und consequent auffaßten,
wie Gregor VIl., Innocenz IU. u. f. w, werden mit gebührender Bewunderung
besprochen, auch wo der Verfasser auf ihre Ideen nicht eingehen kann. Nur
M einem Punkt scheint er nicht immer die nöthige Vorsicht beobachtet zu
haben; er bringt nämlich die specifische Verschiedenheit des italienischen Nolkö-
charaklers von dem unsrigen nicht gehörig in Anschlag. Als Beleg führen
wir das Urtheil an, das er über Cota Rienzi fällt. „Daß er nichts weniger
«Is ein wahrhaft großer, sondern nur ein ganz gewöhnlicher Mensch war,
offenbarte er am auffallendsten darin, daß er den gemeinen Fehler aller ge¬
wöhnlichen, über das Niveau der Alltäglichkeit sich nicht oder nur sehr wenig
erhebenden Sterblichen in hohem Grade theilte. Er vermochte nämlich das
Glück nicht zu ertragen, war überhaupt nur eine sonderbare Mischung von
Kenntnissen, Beredtsamkeit, Enthusiasmus, Eitelkeit, Mangel an Menschen¬
kenntniß, Wankelmuth und Feigheit, also durchaus kein Charakter, mithin wol
Un Stande, eine gewaltige Bewegung der Geister zu entzünden, aber nicht,
^ zu erhalten. Denn Umwälzungen, politische, kirchliche wie sociale, bedür-
^» zu ihrem dauernden Triumphe weitmehr großer Charaktere, als großer
Helden der Rednerbühne, der Koryphäen der Wissenschaft, die eine flüchtige
Begeisterung wol anzufachen, aber weder zu erhalten noch zu lenken, zu be¬
nutzen verstehen; auch Deutschlands jüngste Vergangenheit hat das zur Genüge
bewiesen. Cota, dessen ganze Erscheinung der eines Komödianten glich, der
"uf einige Stunden mit Flitterstaat behängt sich spreizt in seiner Pseudo-
'Uajestät, wurde sehr bald trunken durch sein außerordentliches Glück. Er
"'"gab sich und die Seinen mit ungeheurem Prunk, mit Ehrenzeichen, die das
^°ik einem Emporkömmling noch weniger vergibt, als den Mißbrauch der
Aachl s^bst, er sich auch in nicht geringem Maße, namentlich durch Er¬
hebung und Bereicherung seiner Verwandten, zu Schulden kommen ließ, ver¬
schleuderte daneben die öffentlichen Gelder in unsinnigen Zechgelagen und
Festlichkeiten" — u.' s. w.

Diese Darstellung würde weniger hart aussehen, wenn der Verfasser den
^""schen Nolkstribun als das aufgefaßt hätte, was er wirklich war, als den
bvllendcten Ausdruck des römischen Volksgeistes, der mit seinem aus unde


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[0423] Geschichtschreiber zu widersprechen. Wenn es ihm auch bisweilen begegnet sein mag, in dem Eifer zu weit zu gehen, so können wir doch im allgemei¬ nen diese entschiedene Rücksichtslosigkeit nur billigen, da die Geschichtschrei¬ bung ihren Beruf nur halb erfüllt, wenn sie den Menschen daran gewohnt, alles Thatsächliche ohne Unterschied auszunehmen und zu ertragen. Herr Sugenheim läßt sich von dem Schimmer der Heiligkeit, den geschickte So¬ phisten über die Entwicklung der Kirche gebreitet haben, niemals blenden, aber ebensowenig verschließt er sein Auge der wahren Größe. Diejenigen Päpste, welche ihren großen Beruf ernst, würdig und consequent auffaßten, wie Gregor VIl., Innocenz IU. u. f. w, werden mit gebührender Bewunderung besprochen, auch wo der Verfasser auf ihre Ideen nicht eingehen kann. Nur M einem Punkt scheint er nicht immer die nöthige Vorsicht beobachtet zu haben; er bringt nämlich die specifische Verschiedenheit des italienischen Nolkö- charaklers von dem unsrigen nicht gehörig in Anschlag. Als Beleg führen wir das Urtheil an, das er über Cota Rienzi fällt. „Daß er nichts weniger «Is ein wahrhaft großer, sondern nur ein ganz gewöhnlicher Mensch war, offenbarte er am auffallendsten darin, daß er den gemeinen Fehler aller ge¬ wöhnlichen, über das Niveau der Alltäglichkeit sich nicht oder nur sehr wenig erhebenden Sterblichen in hohem Grade theilte. Er vermochte nämlich das Glück nicht zu ertragen, war überhaupt nur eine sonderbare Mischung von Kenntnissen, Beredtsamkeit, Enthusiasmus, Eitelkeit, Mangel an Menschen¬ kenntniß, Wankelmuth und Feigheit, also durchaus kein Charakter, mithin wol Un Stande, eine gewaltige Bewegung der Geister zu entzünden, aber nicht, ^ zu erhalten. Denn Umwälzungen, politische, kirchliche wie sociale, bedür- ^» zu ihrem dauernden Triumphe weitmehr großer Charaktere, als großer Helden der Rednerbühne, der Koryphäen der Wissenschaft, die eine flüchtige Begeisterung wol anzufachen, aber weder zu erhalten noch zu lenken, zu be¬ nutzen verstehen; auch Deutschlands jüngste Vergangenheit hat das zur Genüge bewiesen. Cota, dessen ganze Erscheinung der eines Komödianten glich, der "uf einige Stunden mit Flitterstaat behängt sich spreizt in seiner Pseudo- 'Uajestät, wurde sehr bald trunken durch sein außerordentliches Glück. Er "'"gab sich und die Seinen mit ungeheurem Prunk, mit Ehrenzeichen, die das ^°ik einem Emporkömmling noch weniger vergibt, als den Mißbrauch der Aachl s^bst, er sich auch in nicht geringem Maße, namentlich durch Er¬ hebung und Bereicherung seiner Verwandten, zu Schulden kommen ließ, ver¬ schleuderte daneben die öffentlichen Gelder in unsinnigen Zechgelagen und Festlichkeiten" — u.' s. w. Diese Darstellung würde weniger hart aussehen, wenn der Verfasser den ^""schen Nolkstribun als das aufgefaßt hätte, was er wirklich war, als den bvllendcten Ausdruck des römischen Volksgeistes, der mit seinem aus unde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/423>, abgerufen am 06.10.2024.