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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Aufklärungen nicht fehlen werde.n- Von seiner Gattin, die früher mit
A. W. Schlegel verheirathet war, und die sich mit großen" Eifer in das lite¬
rarische Treiben eingelassen hatte, eristirt eine höchst inhaltreiche Briefsamm¬
lung, deren Veröffentlichung jetzt hoffentlich nichts mehr im Wege stehen wird.
Ob es im allgemeinen mit den Anforderungen der Schicklichkeit zu vereinbaren
ist, die Privatbczichungen der Schriftsteller so vollständig an das Licht der
Oeffentlichkeit zu ziehen, wie es mit der Periode von 177" bis 1810 geschehen
ist, können wir füglich dahingestellt sein lassen. Nachdem aber einmal die
Indiskretion soweit gegangen ist, empfinden wir alles was sehlt als eine
Lücke, und können eine Vervollständigung unsrer Einsicht nur aus allen
Kräften befördern.

Schellings Bedeutung für unsre Literatur müßte nach drei Seiten hin
betrachtet werden:

Zunächst seine Stellung in der Entwicklung des speculativen und poetischen
Idealismus. Es wird selten einem Philosophen gegeben sein, in so außer¬
ordentlicher Jugend in die philosophische Bewegung einzugreifen. Als er 179ö
seine ersten Schriften veröffentlichte, war er kaum 20 Jahr alt. Der Inhalt
seiner Lehren war zwar ursprünglich nichts Andres, als eine Reproduction
Fichtes; aber seine geistreiche und lebendige Form gab diesen Versuchen eine
ungewöhnliche Bedeutung sür die Anerkennung der Philosophie überhaupt.

Nach Fichtes Entfernung von Jena 1799 wirkte er mit Hegel gemein¬
sam, theils anregend, theils empfangend, und wie man auch über das Einzelne
seiner Leistungen denken mag, seine eigne stolze Aeußerung, daß er ein neues
Blatt in der Philosophie aufgeschlagen, wird man kaum bestreiten können.
Die productivste Zeit dieser Periode scheint allerdings in seinem Aufenthalt in
Jena zu liegen, aber einzelne seiner Leistungen nach dieser Richtung hin fallen
noch weit darüber hinaus, so namentlich seine Streitschrift gegen Jacobi 1812'
Es zeigt sich in dieser Schrift vielleicht eindringlicher als in irgendeiner andern/
wie sehr die artistisch-speculative Bildung des Kreises von Weimar und Jen"
der scheinbar verwandten Richtung, die auf dem Wege des Gemüths zu>n
Glauben zurückzukehren strebte, entgegengesetzt war. Von den Anhängern der
alten Aufklärung konnte in religiöser Beziehung sowol Schelling als Jacob"
als reactionär bezeichnet werden, denn beide nahmen eine Religionssorw
an, die man bereits als überwunden betrachtete. Allein es geschah aus ent¬
gegengesetzten Gründen, und mußte daher auch , trotz aller scheinbaren Ueber¬
einstimmung, zu entgegengesetzten Resultaten führen. -- Nebenbei bemerken
wir, daß Schelling nicht blos als Philosoph, sondern auch als Dichter W
jenen Kreis gehört. Unter dem Namen Bonaventura gab er mehre novel¬
listische und lyrische Versuche heraus, die sich den Bestrebungen der Roman¬
tiker anschlössen.


Aufklärungen nicht fehlen werde.n- Von seiner Gattin, die früher mit
A. W. Schlegel verheirathet war, und die sich mit großen» Eifer in das lite¬
rarische Treiben eingelassen hatte, eristirt eine höchst inhaltreiche Briefsamm¬
lung, deren Veröffentlichung jetzt hoffentlich nichts mehr im Wege stehen wird.
Ob es im allgemeinen mit den Anforderungen der Schicklichkeit zu vereinbaren
ist, die Privatbczichungen der Schriftsteller so vollständig an das Licht der
Oeffentlichkeit zu ziehen, wie es mit der Periode von 177» bis 1810 geschehen
ist, können wir füglich dahingestellt sein lassen. Nachdem aber einmal die
Indiskretion soweit gegangen ist, empfinden wir alles was sehlt als eine
Lücke, und können eine Vervollständigung unsrer Einsicht nur aus allen
Kräften befördern.

Schellings Bedeutung für unsre Literatur müßte nach drei Seiten hin
betrachtet werden:

Zunächst seine Stellung in der Entwicklung des speculativen und poetischen
Idealismus. Es wird selten einem Philosophen gegeben sein, in so außer¬
ordentlicher Jugend in die philosophische Bewegung einzugreifen. Als er 179ö
seine ersten Schriften veröffentlichte, war er kaum 20 Jahr alt. Der Inhalt
seiner Lehren war zwar ursprünglich nichts Andres, als eine Reproduction
Fichtes; aber seine geistreiche und lebendige Form gab diesen Versuchen eine
ungewöhnliche Bedeutung sür die Anerkennung der Philosophie überhaupt.

Nach Fichtes Entfernung von Jena 1799 wirkte er mit Hegel gemein¬
sam, theils anregend, theils empfangend, und wie man auch über das Einzelne
seiner Leistungen denken mag, seine eigne stolze Aeußerung, daß er ein neues
Blatt in der Philosophie aufgeschlagen, wird man kaum bestreiten können.
Die productivste Zeit dieser Periode scheint allerdings in seinem Aufenthalt in
Jena zu liegen, aber einzelne seiner Leistungen nach dieser Richtung hin fallen
noch weit darüber hinaus, so namentlich seine Streitschrift gegen Jacobi 1812'
Es zeigt sich in dieser Schrift vielleicht eindringlicher als in irgendeiner andern/
wie sehr die artistisch-speculative Bildung des Kreises von Weimar und Jen"
der scheinbar verwandten Richtung, die auf dem Wege des Gemüths zu>n
Glauben zurückzukehren strebte, entgegengesetzt war. Von den Anhängern der
alten Aufklärung konnte in religiöser Beziehung sowol Schelling als Jacob«
als reactionär bezeichnet werden, denn beide nahmen eine Religionssorw
an, die man bereits als überwunden betrachtete. Allein es geschah aus ent¬
gegengesetzten Gründen, und mußte daher auch , trotz aller scheinbaren Ueber¬
einstimmung, zu entgegengesetzten Resultaten führen. — Nebenbei bemerken
wir, daß Schelling nicht blos als Philosoph, sondern auch als Dichter W
jenen Kreis gehört. Unter dem Namen Bonaventura gab er mehre novel¬
listische und lyrische Versuche heraus, die sich den Bestrebungen der Roman¬
tiker anschlössen.


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[0394] Aufklärungen nicht fehlen werde.n- Von seiner Gattin, die früher mit A. W. Schlegel verheirathet war, und die sich mit großen» Eifer in das lite¬ rarische Treiben eingelassen hatte, eristirt eine höchst inhaltreiche Briefsamm¬ lung, deren Veröffentlichung jetzt hoffentlich nichts mehr im Wege stehen wird. Ob es im allgemeinen mit den Anforderungen der Schicklichkeit zu vereinbaren ist, die Privatbczichungen der Schriftsteller so vollständig an das Licht der Oeffentlichkeit zu ziehen, wie es mit der Periode von 177» bis 1810 geschehen ist, können wir füglich dahingestellt sein lassen. Nachdem aber einmal die Indiskretion soweit gegangen ist, empfinden wir alles was sehlt als eine Lücke, und können eine Vervollständigung unsrer Einsicht nur aus allen Kräften befördern. Schellings Bedeutung für unsre Literatur müßte nach drei Seiten hin betrachtet werden: Zunächst seine Stellung in der Entwicklung des speculativen und poetischen Idealismus. Es wird selten einem Philosophen gegeben sein, in so außer¬ ordentlicher Jugend in die philosophische Bewegung einzugreifen. Als er 179ö seine ersten Schriften veröffentlichte, war er kaum 20 Jahr alt. Der Inhalt seiner Lehren war zwar ursprünglich nichts Andres, als eine Reproduction Fichtes; aber seine geistreiche und lebendige Form gab diesen Versuchen eine ungewöhnliche Bedeutung sür die Anerkennung der Philosophie überhaupt. Nach Fichtes Entfernung von Jena 1799 wirkte er mit Hegel gemein¬ sam, theils anregend, theils empfangend, und wie man auch über das Einzelne seiner Leistungen denken mag, seine eigne stolze Aeußerung, daß er ein neues Blatt in der Philosophie aufgeschlagen, wird man kaum bestreiten können. Die productivste Zeit dieser Periode scheint allerdings in seinem Aufenthalt in Jena zu liegen, aber einzelne seiner Leistungen nach dieser Richtung hin fallen noch weit darüber hinaus, so namentlich seine Streitschrift gegen Jacobi 1812' Es zeigt sich in dieser Schrift vielleicht eindringlicher als in irgendeiner andern/ wie sehr die artistisch-speculative Bildung des Kreises von Weimar und Jen" der scheinbar verwandten Richtung, die auf dem Wege des Gemüths zu>n Glauben zurückzukehren strebte, entgegengesetzt war. Von den Anhängern der alten Aufklärung konnte in religiöser Beziehung sowol Schelling als Jacob« als reactionär bezeichnet werden, denn beide nahmen eine Religionssorw an, die man bereits als überwunden betrachtete. Allein es geschah aus ent¬ gegengesetzten Gründen, und mußte daher auch , trotz aller scheinbaren Ueber¬ einstimmung, zu entgegengesetzten Resultaten führen. — Nebenbei bemerken wir, daß Schelling nicht blos als Philosoph, sondern auch als Dichter W jenen Kreis gehört. Unter dem Namen Bonaventura gab er mehre novel¬ listische und lyrische Versuche heraus, die sich den Bestrebungen der Roman¬ tiker anschlössen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/394>, abgerufen am 01.09.2024.