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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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unternehmen wollen, war durch eine allgemeine Sprachverwirrung unterbrochen
worden. Der unnatürlichen Aufregung mußte Abspannung folgen, und selbst
die neue, große und ruhmwürdige Aufregung der Freiheitskriege wirkte nur vor¬
übergehend ein, weil sie gleich von vornherein an unklaren Ideen kränkelte.
Von der Zeit, in welcher die finstere Gährung in den plötzlichen Entschluß
überging, gibt uns Steffens in seinem 7. und 8. Bande ein schönes Bild.
In Breslau drängte sich, als die Zeit der Entscheidung heranrückte, alles zu¬
sammen, was sür die letzte Entscheidung der preußischen Politik maßgebend
war. Ehe noch die Kriegserklärung erfolgt war, kündigte der Prof. Steffens
vom Katheder herab auf das feierlichste den Franzosen Fehde an, und dieser
Schritt, der unter andern Umständen ein unauslöschliches Gelächter hervor¬
gerufen hätte, wurde, wie die Sachen jetzt standen, von den tüchtigsten Staats¬
männern gebilligt. Es war Steffens wieder einmal ergangen, wie öfters in
seinem Leben, die Empfindung des Augenblicks hatte ihn übermannt und er
konnte nun nicht mehr zurück. Obgleich er sehr wohl fühlte, daß er bei
einem wirklichen Feldzuge nur stören könne, beschloß er doch daran theilzu¬
nehmen und schlug ein förmliches Werbequartier für Freiwillige auf, worin
er mit Jahr concurrirte. Der Unterschied in der Gesinnung beider Männer
Zeigt sich aber schon darin, daß Steffens für das regelmäßige Militär, Jahr
für die Freischaren warb. Die weiteren kriegerischen Abenteuer eines Fried¬
fertigen erzählt er mit einem sehr liebenswürdigen Humor, und es kann dem
großen und mächtigen Eindruck der Freiheitskriege keinen Schaden thun, wenn
sie durch solche Zugaben gewürzt werden. In Paris lernte er Cuvier kennen,
der im Anfang glaubte, der preußische Lieutenant wolle sich seiner Sammlun¬
gen bemächtigen und in der Freude über die Grundlosigkeit dieser Besorgniß
'hin eine Reihe nützlicher- Vorlesungen über Naturgeschichte hielt; ferner den
Grasen Schlaberndorf, von dem er VM. S. -120--eine sehr anziehende
Charakteristik gibt. Auch Schlegel und Humboldt fand er wieder dort und
auf der Rückreise trat er in ein intimes Verhältniß zu Jean Paul.

Als nun der Friede wiederhergestellt war, war es natürlich, daß die
krankhaften GährungSstoffe in den wunderlichsten Formen an den Tag traten.
Die studirende Jugend, die aus den Freiheitskriegen zurückkehrte, hatte natür¬
lich keinen andern Gedanken als Politik. Steffens, der was er einmal erfaßte,
immer mit leidenschaftlichem Eigensinn festhielt, sah sich Plötzlich in die Oppo-
^"ion gegen den herrschenden Geist gedrängt. Seine naturphilosophischen
Studien traten in den Hintergrund und er fing an, auf eine höchst bedenkliche
Weise die Chemie und Physik auf das Staatsleben anzuwenden. Hauptsäch¬
lich war sein Kampf gegen die Turner gerichtet. Jahr, dessen Einfluß auf
b'e Jugend er wol überschätzte, hatte ihn bei einer zufälligen Begegnung
durch eine rohe Aeußerung über die Sirtinische Madonna verstimmt und diese


unternehmen wollen, war durch eine allgemeine Sprachverwirrung unterbrochen
worden. Der unnatürlichen Aufregung mußte Abspannung folgen, und selbst
die neue, große und ruhmwürdige Aufregung der Freiheitskriege wirkte nur vor¬
übergehend ein, weil sie gleich von vornherein an unklaren Ideen kränkelte.
Von der Zeit, in welcher die finstere Gährung in den plötzlichen Entschluß
überging, gibt uns Steffens in seinem 7. und 8. Bande ein schönes Bild.
In Breslau drängte sich, als die Zeit der Entscheidung heranrückte, alles zu¬
sammen, was sür die letzte Entscheidung der preußischen Politik maßgebend
war. Ehe noch die Kriegserklärung erfolgt war, kündigte der Prof. Steffens
vom Katheder herab auf das feierlichste den Franzosen Fehde an, und dieser
Schritt, der unter andern Umständen ein unauslöschliches Gelächter hervor¬
gerufen hätte, wurde, wie die Sachen jetzt standen, von den tüchtigsten Staats¬
männern gebilligt. Es war Steffens wieder einmal ergangen, wie öfters in
seinem Leben, die Empfindung des Augenblicks hatte ihn übermannt und er
konnte nun nicht mehr zurück. Obgleich er sehr wohl fühlte, daß er bei
einem wirklichen Feldzuge nur stören könne, beschloß er doch daran theilzu¬
nehmen und schlug ein förmliches Werbequartier für Freiwillige auf, worin
er mit Jahr concurrirte. Der Unterschied in der Gesinnung beider Männer
Zeigt sich aber schon darin, daß Steffens für das regelmäßige Militär, Jahr
für die Freischaren warb. Die weiteren kriegerischen Abenteuer eines Fried¬
fertigen erzählt er mit einem sehr liebenswürdigen Humor, und es kann dem
großen und mächtigen Eindruck der Freiheitskriege keinen Schaden thun, wenn
sie durch solche Zugaben gewürzt werden. In Paris lernte er Cuvier kennen,
der im Anfang glaubte, der preußische Lieutenant wolle sich seiner Sammlun¬
gen bemächtigen und in der Freude über die Grundlosigkeit dieser Besorgniß
'hin eine Reihe nützlicher- Vorlesungen über Naturgeschichte hielt; ferner den
Grasen Schlaberndorf, von dem er VM. S. -120—eine sehr anziehende
Charakteristik gibt. Auch Schlegel und Humboldt fand er wieder dort und
auf der Rückreise trat er in ein intimes Verhältniß zu Jean Paul.

Als nun der Friede wiederhergestellt war, war es natürlich, daß die
krankhaften GährungSstoffe in den wunderlichsten Formen an den Tag traten.
Die studirende Jugend, die aus den Freiheitskriegen zurückkehrte, hatte natür¬
lich keinen andern Gedanken als Politik. Steffens, der was er einmal erfaßte,
immer mit leidenschaftlichem Eigensinn festhielt, sah sich Plötzlich in die Oppo-
^"ion gegen den herrschenden Geist gedrängt. Seine naturphilosophischen
Studien traten in den Hintergrund und er fing an, auf eine höchst bedenkliche
Weise die Chemie und Physik auf das Staatsleben anzuwenden. Hauptsäch¬
lich war sein Kampf gegen die Turner gerichtet. Jahr, dessen Einfluß auf
b'e Jugend er wol überschätzte, hatte ihn bei einer zufälligen Begegnung
durch eine rohe Aeußerung über die Sirtinische Madonna verstimmt und diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/389>, abgerufen am 06.10.2024.