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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Abstractionen des kritischen Philosophen verletzten sein Gemüth und er hat ihn
eigentlich nie recht verstanden.

Nach Fichtes Entfernung drang die Naturphilosophie ebenso in alle empor¬
strebenden Kreise der Bildung ein, wie die Romantik. Das Streben der Zeit
ging dahin, die analytische, der Mathematik entlehnte Methode der Natur¬
wissenschaft, die, um das Gesetz des Lebens zu erkennen, vorher das Leben
todten mußte, zu beseitigen und überall das Leben in seiner unmittelbaren
Thätigkeit zu empfinden. Darauf bezog sich Goethes leidenschaftlicher Kampf
gegen Newton, feine Farbenlehre, seine Metamorphose der Pflanzen, seine Con-
struction der Schädelknochen. Die neuen Entdeckungen im Gebiet der Physik
förderten diese Ansicht. So hatte Ritter in Jena eben den Beweis geführt,
daß ein beständiger Galvanismus den Lebensproceß begleite. So wurde
damals die Voltaische Säule entdeckt. Von Jena aus begab sich Steffens eine
Zeitlang nach Freiberg, wo damals durch die geistvollen Vorträge Werners
der Mittelpunkt aller mineralogischen Studien war, wo auch Novalis seine
Bildung empfangen hatte. Wie es zu geschehen pflegt, ergab man sich aus
Reaction gegen die herrschende Altklugheit auch in der Wissenschaft einem ge¬
wissen kindlichen Wesen, das nur auf viele neue Anschauungen, nicht auf
scharfe Trennung und Gesetzlichkeit ausging. Man rehabilitirte die solange
verspotteten teutonischen Philosophen Paracelsus und Jacob Böhme; man
vertiefte sich in die mythologischen Vorstellungen Asiens, in die man um so
veauemer eine mystische Naturphilosophie hineinconstruircn konnte, da die Kennt¬
nisse in dieser Beziehung noch nicht sehr weitgreifend und noch nicht sehr
bestimmt waren. Steffens freute sich kindlich, daß seine eignen skandinavischen
Traditionen in diesem Gemisch eine große Rolle spielten. DaS Resultat seiner
Studien in dieser Zeit waren die "Beiträge zur innern Naturgeschichte der
Erde" (1799). Er suchte darin die Idee durchzuführen, daß die göttliche Per¬
sönlichkeit der Grund aller Naturentwicklung sei.

Auf den vielfachen Streifzügen, die er von Jena aus machte, namentlich
nach Halle, Berlin, Dresden, Bamberg u. f. w. können wir die locale Aus-
breitung der Romantik sehr anschaulich verfolgen. Goethe galt überall als
der Herr und Meister, aber in den Doctrinen ging man weit über ihn hinauö-
Nicht ohne Ironie schildert Steffens die leere Begeisterung und den ChiliasinuS
der jungen Künstler, die sich um Tieck sammelten, die Anbetung der Madonna,
mit der man häufig über das eigentlich künstlerische Moment hinausging,
die Vorliebe für die katholische Musik, die sich an Leo und Pergolese befriedigte,
und, Bach und Händel gänzlich außer Acht ließ, kurz jenen gespreizte"
Dilettantismus, der uns in Tiecks "Phantasus" so widerwärtig entgegentritt-
Aber ebenso läßt er den großen Schwung der Gemüther durchempfinden, der jener
Zeit in der Literaturgeschichte doch immer eine bleibende Bedeutung geben wird.


Abstractionen des kritischen Philosophen verletzten sein Gemüth und er hat ihn
eigentlich nie recht verstanden.

Nach Fichtes Entfernung drang die Naturphilosophie ebenso in alle empor¬
strebenden Kreise der Bildung ein, wie die Romantik. Das Streben der Zeit
ging dahin, die analytische, der Mathematik entlehnte Methode der Natur¬
wissenschaft, die, um das Gesetz des Lebens zu erkennen, vorher das Leben
todten mußte, zu beseitigen und überall das Leben in seiner unmittelbaren
Thätigkeit zu empfinden. Darauf bezog sich Goethes leidenschaftlicher Kampf
gegen Newton, feine Farbenlehre, seine Metamorphose der Pflanzen, seine Con-
struction der Schädelknochen. Die neuen Entdeckungen im Gebiet der Physik
förderten diese Ansicht. So hatte Ritter in Jena eben den Beweis geführt,
daß ein beständiger Galvanismus den Lebensproceß begleite. So wurde
damals die Voltaische Säule entdeckt. Von Jena aus begab sich Steffens eine
Zeitlang nach Freiberg, wo damals durch die geistvollen Vorträge Werners
der Mittelpunkt aller mineralogischen Studien war, wo auch Novalis seine
Bildung empfangen hatte. Wie es zu geschehen pflegt, ergab man sich aus
Reaction gegen die herrschende Altklugheit auch in der Wissenschaft einem ge¬
wissen kindlichen Wesen, das nur auf viele neue Anschauungen, nicht auf
scharfe Trennung und Gesetzlichkeit ausging. Man rehabilitirte die solange
verspotteten teutonischen Philosophen Paracelsus und Jacob Böhme; man
vertiefte sich in die mythologischen Vorstellungen Asiens, in die man um so
veauemer eine mystische Naturphilosophie hineinconstruircn konnte, da die Kennt¬
nisse in dieser Beziehung noch nicht sehr weitgreifend und noch nicht sehr
bestimmt waren. Steffens freute sich kindlich, daß seine eignen skandinavischen
Traditionen in diesem Gemisch eine große Rolle spielten. DaS Resultat seiner
Studien in dieser Zeit waren die „Beiträge zur innern Naturgeschichte der
Erde" (1799). Er suchte darin die Idee durchzuführen, daß die göttliche Per¬
sönlichkeit der Grund aller Naturentwicklung sei.

Auf den vielfachen Streifzügen, die er von Jena aus machte, namentlich
nach Halle, Berlin, Dresden, Bamberg u. f. w. können wir die locale Aus-
breitung der Romantik sehr anschaulich verfolgen. Goethe galt überall als
der Herr und Meister, aber in den Doctrinen ging man weit über ihn hinauö-
Nicht ohne Ironie schildert Steffens die leere Begeisterung und den ChiliasinuS
der jungen Künstler, die sich um Tieck sammelten, die Anbetung der Madonna,
mit der man häufig über das eigentlich künstlerische Moment hinausging,
die Vorliebe für die katholische Musik, die sich an Leo und Pergolese befriedigte,
und, Bach und Händel gänzlich außer Acht ließ, kurz jenen gespreizte»
Dilettantismus, der uns in Tiecks „Phantasus" so widerwärtig entgegentritt-
Aber ebenso läßt er den großen Schwung der Gemüther durchempfinden, der jener
Zeit in der Literaturgeschichte doch immer eine bleibende Bedeutung geben wird.


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[0384] Abstractionen des kritischen Philosophen verletzten sein Gemüth und er hat ihn eigentlich nie recht verstanden. Nach Fichtes Entfernung drang die Naturphilosophie ebenso in alle empor¬ strebenden Kreise der Bildung ein, wie die Romantik. Das Streben der Zeit ging dahin, die analytische, der Mathematik entlehnte Methode der Natur¬ wissenschaft, die, um das Gesetz des Lebens zu erkennen, vorher das Leben todten mußte, zu beseitigen und überall das Leben in seiner unmittelbaren Thätigkeit zu empfinden. Darauf bezog sich Goethes leidenschaftlicher Kampf gegen Newton, feine Farbenlehre, seine Metamorphose der Pflanzen, seine Con- struction der Schädelknochen. Die neuen Entdeckungen im Gebiet der Physik förderten diese Ansicht. So hatte Ritter in Jena eben den Beweis geführt, daß ein beständiger Galvanismus den Lebensproceß begleite. So wurde damals die Voltaische Säule entdeckt. Von Jena aus begab sich Steffens eine Zeitlang nach Freiberg, wo damals durch die geistvollen Vorträge Werners der Mittelpunkt aller mineralogischen Studien war, wo auch Novalis seine Bildung empfangen hatte. Wie es zu geschehen pflegt, ergab man sich aus Reaction gegen die herrschende Altklugheit auch in der Wissenschaft einem ge¬ wissen kindlichen Wesen, das nur auf viele neue Anschauungen, nicht auf scharfe Trennung und Gesetzlichkeit ausging. Man rehabilitirte die solange verspotteten teutonischen Philosophen Paracelsus und Jacob Böhme; man vertiefte sich in die mythologischen Vorstellungen Asiens, in die man um so veauemer eine mystische Naturphilosophie hineinconstruircn konnte, da die Kennt¬ nisse in dieser Beziehung noch nicht sehr weitgreifend und noch nicht sehr bestimmt waren. Steffens freute sich kindlich, daß seine eignen skandinavischen Traditionen in diesem Gemisch eine große Rolle spielten. DaS Resultat seiner Studien in dieser Zeit waren die „Beiträge zur innern Naturgeschichte der Erde" (1799). Er suchte darin die Idee durchzuführen, daß die göttliche Per¬ sönlichkeit der Grund aller Naturentwicklung sei. Auf den vielfachen Streifzügen, die er von Jena aus machte, namentlich nach Halle, Berlin, Dresden, Bamberg u. f. w. können wir die locale Aus- breitung der Romantik sehr anschaulich verfolgen. Goethe galt überall als der Herr und Meister, aber in den Doctrinen ging man weit über ihn hinauö- Nicht ohne Ironie schildert Steffens die leere Begeisterung und den ChiliasinuS der jungen Künstler, die sich um Tieck sammelten, die Anbetung der Madonna, mit der man häufig über das eigentlich künstlerische Moment hinausging, die Vorliebe für die katholische Musik, die sich an Leo und Pergolese befriedigte, und, Bach und Händel gänzlich außer Acht ließ, kurz jenen gespreizte» Dilettantismus, der uns in Tiecks „Phantasus" so widerwärtig entgegentritt- Aber ebenso läßt er den großen Schwung der Gemüther durchempfinden, der jener Zeit in der Literaturgeschichte doch immer eine bleibende Bedeutung geben wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/384>, abgerufen am 01.09.2024.