Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.hinein und erhält sie jeden Augenblick schlagfertig. Herr von Gerlach weiß hinein und erhält sie jeden Augenblick schlagfertig. Herr von Gerlach weiß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281509"/> <p xml:id="ID_1063" prev="#ID_1062" next="#ID_1064"> hinein und erhält sie jeden Augenblick schlagfertig. Herr von Gerlach weiß<lb/> das auch sehr gut; zwar hält er sich von der wirklichen Theilnahme an der<lb/> Regierung immer zurück, weil bei jeder Regierung concrete Umstände in Be¬<lb/> tracht kommen, und er macht andererseits vor seinem verehrten Freunde die<lb/> tiefsten Verbeugungen; aber er hat nicht den geringsten Zweifel darüber,<lb/> wer der eigentliche Führer der Partei ist: er selbst oder sein verehrter Freund.<lb/> Die Richtung der jedesmaligen Bewegung gibt Herr von Gerlach, Herrn Stahl<lb/> bleibt es dann vorbehalten, ihr nachträglich die nöthige Fa^on zu geben, sie<lb/> vor dem wohlmeinenden Publicum zu legitimiren. — So müssen wir ferner<lb/> offen gestehen, daß in der berühmten Rede, die den Gegenstand der Broschüre<lb/> bildet, der eigentliche Sinn der Partei nicht ganz ausgesprochen ist. Die<lb/> Partei geht, wie gesagt, von dem Grundsatz aus, man müsse alles bekämpfen,<lb/> was mit dem Liberalismus zusammenhängt, weil aller Liberalismus, wie sehr<lb/> er sich auch verstecken möge, zuletzt doch dahin führe, der Reaction ins<lb/> Fleisch zu schneiden, v. h. die Steuerfreiheit der Rittergüter aufzuheben und<lb/> sie den Landgemeinden einzuverleiben. Nun hängt England offenbar mit<lb/> dem Liberalismus zusammen, denn es ist" ein konstitutioneller Staat und Lord<lb/> Palmerston ist ein Wühler; Frankreich hängt mit dem Liberalismus zusammen,<lb/> denn es hat die Revolutionen erfunden und der gegenwärtige Souverän ist<lb/> ein Parvenu. Dagegen hängt Rußland nicht mit dem Liberalismus zusam¬<lb/> men, sondern ist der unbedingteste Gegensatz desselben. Alle andern Rücksichten<lb/> sind gleichgiltig und jeder wahrhaft conservative Staatsmann muß für Rußland<lb/> gegen die Westmächte Partei nehmen. Soweit Herr von Gerlach. — Nun freilich<lb/> zeigt sich, daß bei dem Uebergehn aus den Principien in die Thatsachen noch<lb/> andere Interessen ins Spiel kommen. Wie soll ein conservativer Staatsmann<lb/> für Rußland Parler nehmen? Soll er sich mit Rußland verbinden und die<lb/> Westmächte mit Krieg überziehen? Eigentlich ja. Aber der Krieg ist eine un¬<lb/> gewisse Sache und kann im besten Falle nur dazu dienen, die Vermögcns-<lb/> verhälmisse unsicher zu machen und dadurch den Ruin der Rittergüter herbei¬<lb/> zuführen. — Außerdem erforderte noch die bisherige Haltung der Negierung,<lb/> mit der man doch nicht unbedingt brechen konnte, sowie das Verhältniß zu<lb/> dem conservativen Oestreich, gegen das man sich doch bisher in Versicherungen<lb/> der Liebe und Ehrfurcht überboten hatte, einige Rücksicht. — Um alle diese wider¬<lb/> sprechenden Sympathien und Interessen zu versöhnen, kam es darauf an, die<lb/> Sachlage so darzustellen, als ob eine imposante Neutralität im Verein mit<lb/> Oestreich mit freundlicher Hinneigung zu Nußland, aber ohne directe Feind¬<lb/> seligkeit gegen die Westmächte der beste Ausweg wäre. Diese Aufgabe hat<lb/> sich Herr Stahl in seiner Rede gesetzt und er hat damit zwar nicht seine Partei<lb/> zu irgendeiner Maßregel bestimmt, die sie ohnedies nicht auch würde getroffen<lb/> haben, aber er hat sie darüber wenigstens beruhigt, daß ihre Maßregel ebenso</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0358]
hinein und erhält sie jeden Augenblick schlagfertig. Herr von Gerlach weiß
das auch sehr gut; zwar hält er sich von der wirklichen Theilnahme an der
Regierung immer zurück, weil bei jeder Regierung concrete Umstände in Be¬
tracht kommen, und er macht andererseits vor seinem verehrten Freunde die
tiefsten Verbeugungen; aber er hat nicht den geringsten Zweifel darüber,
wer der eigentliche Führer der Partei ist: er selbst oder sein verehrter Freund.
Die Richtung der jedesmaligen Bewegung gibt Herr von Gerlach, Herrn Stahl
bleibt es dann vorbehalten, ihr nachträglich die nöthige Fa^on zu geben, sie
vor dem wohlmeinenden Publicum zu legitimiren. — So müssen wir ferner
offen gestehen, daß in der berühmten Rede, die den Gegenstand der Broschüre
bildet, der eigentliche Sinn der Partei nicht ganz ausgesprochen ist. Die
Partei geht, wie gesagt, von dem Grundsatz aus, man müsse alles bekämpfen,
was mit dem Liberalismus zusammenhängt, weil aller Liberalismus, wie sehr
er sich auch verstecken möge, zuletzt doch dahin führe, der Reaction ins
Fleisch zu schneiden, v. h. die Steuerfreiheit der Rittergüter aufzuheben und
sie den Landgemeinden einzuverleiben. Nun hängt England offenbar mit
dem Liberalismus zusammen, denn es ist" ein konstitutioneller Staat und Lord
Palmerston ist ein Wühler; Frankreich hängt mit dem Liberalismus zusammen,
denn es hat die Revolutionen erfunden und der gegenwärtige Souverän ist
ein Parvenu. Dagegen hängt Rußland nicht mit dem Liberalismus zusam¬
men, sondern ist der unbedingteste Gegensatz desselben. Alle andern Rücksichten
sind gleichgiltig und jeder wahrhaft conservative Staatsmann muß für Rußland
gegen die Westmächte Partei nehmen. Soweit Herr von Gerlach. — Nun freilich
zeigt sich, daß bei dem Uebergehn aus den Principien in die Thatsachen noch
andere Interessen ins Spiel kommen. Wie soll ein conservativer Staatsmann
für Rußland Parler nehmen? Soll er sich mit Rußland verbinden und die
Westmächte mit Krieg überziehen? Eigentlich ja. Aber der Krieg ist eine un¬
gewisse Sache und kann im besten Falle nur dazu dienen, die Vermögcns-
verhälmisse unsicher zu machen und dadurch den Ruin der Rittergüter herbei¬
zuführen. — Außerdem erforderte noch die bisherige Haltung der Negierung,
mit der man doch nicht unbedingt brechen konnte, sowie das Verhältniß zu
dem conservativen Oestreich, gegen das man sich doch bisher in Versicherungen
der Liebe und Ehrfurcht überboten hatte, einige Rücksicht. — Um alle diese wider¬
sprechenden Sympathien und Interessen zu versöhnen, kam es darauf an, die
Sachlage so darzustellen, als ob eine imposante Neutralität im Verein mit
Oestreich mit freundlicher Hinneigung zu Nußland, aber ohne directe Feind¬
seligkeit gegen die Westmächte der beste Ausweg wäre. Diese Aufgabe hat
sich Herr Stahl in seiner Rede gesetzt und er hat damit zwar nicht seine Partei
zu irgendeiner Maßregel bestimmt, die sie ohnedies nicht auch würde getroffen
haben, aber er hat sie darüber wenigstens beruhigt, daß ihre Maßregel ebenso
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