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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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eine gesunde, konservative Politik nichts so eifrig zu pflegen hat, als die Er¬
haltung der vorhandenen Forsten.

Nun ist es wahr, der Fortschritt dieser Zeit verfolgt seine allgemeinen
Bahnen so rücksichtslos, daß er nicht daran denkt, sich erst mit denen abzu¬
finden, welchen er aus Ecken und Winkeln die glänzenden Spinngewebe ihrer
Phantasie wegfegen wird. Manche geheimnißvolle Laube schreckt er durch eine
plötzlich vorbeifahrende Locomotive aus der süßen Dämmerung von Jahr¬
hunderten auf, und mancher arme Sänger des Waldes verliert sein schattiges
weiches Nest, weil eine mörderische Art kommt, einen Mastbaum niederzulegen
oder eine Last erwärmender Holzstücke zuzubereiten. Allein das alles beweist
noch weiter nichts, als daß die Poesie inskünftige aus andern Rinnen des
Lebens quillen wird als bisher. Wir neigen uns stark der Meinung zu, aus
die Gefahr hin prosaisch gescholten zu werden, daß das rechte poetische Moment
nicht etwa in der unbelebten Natur sich finde und nicht ausschließlich an be¬
stimmten Formen und Gestaltungen der Landschaft haste, sondern daß es einzig
und allein in den Bedürfnissen des menschlichen Herzens seinen Ursprung, in
der immer lebendigen Thätigkeit der Phantasie seine Entwicklung habe. Zer¬
stört eine Umbildun-g allgemeiner Verhältnisse irgendwo Stoffe und Stätten
der Poesie, wie es in den Lichtungen unsrer vaterländischen Waldeinsamkeit
allerdings geschieht, so ruft dafür der ewig junge Trieb in unsrer Brust Freuden
und Gefühle wach, von denen das dürftigere Dasein unsrer Väter keine Ahnung
hatte. Die Dichtung ist so unsterblich wie der Mensch selbst auf dieser Erde;
erst wenn ihr das Subject wegstirbt, nämlich der Dichter, mag auch die Dichtung
auf einen anständigen Abschied von hienieden denken. Ob N)re Objecte wechseln
oder nicht, das kann sie nicht im Punkt ihrer Eristenz bedrohen. Was aber
jenes andere Erfordernis; anlangt, so haben wir ja gottlob der Poeten noch so
manches grau oder grüne Eremplar, daß an dem Fortkommen der Poesie auch
unter so betrübten Ereignissen wie Moorculturen und Waldrodungen nicht zu
zweifeln ist.

Wie es uns erscheint, wird durch die Verminderung und Zerspaltung der
Wälder eine vorhandene Gattung poetischer Stoffe nicht sowol vernichtet, als
vielmehr zertheilt und in kleineren Mengen auf eine größere Anzahl Genießender
berechnet. Solange waren wir gewohnt, nur da uns recht "im Walde"
fühlen, wo weit und breit kein menschlicher Schritt zu hören war und höchstens
Gottes Wind in heiligen Schauern durch die hehren Kronen der Eichen strich-
Wir werden aber immer heimischer in der Umgebung gleichartiger Wesen, det
nur einzelne, besonders angelegte Individuen noch als der Uebel ärgstes fliehen
mögen; wir finden uns immer mehr in der "Gesellschaft" zurecht, und entbehren
immer weniger jene tagelangem Einsamkeiten auf Alpenhöhen und im Dickicht
der Wälder, in denen die Schwärmer von ehedem sich erst groß und frei und


eine gesunde, konservative Politik nichts so eifrig zu pflegen hat, als die Er¬
haltung der vorhandenen Forsten.

Nun ist es wahr, der Fortschritt dieser Zeit verfolgt seine allgemeinen
Bahnen so rücksichtslos, daß er nicht daran denkt, sich erst mit denen abzu¬
finden, welchen er aus Ecken und Winkeln die glänzenden Spinngewebe ihrer
Phantasie wegfegen wird. Manche geheimnißvolle Laube schreckt er durch eine
plötzlich vorbeifahrende Locomotive aus der süßen Dämmerung von Jahr¬
hunderten auf, und mancher arme Sänger des Waldes verliert sein schattiges
weiches Nest, weil eine mörderische Art kommt, einen Mastbaum niederzulegen
oder eine Last erwärmender Holzstücke zuzubereiten. Allein das alles beweist
noch weiter nichts, als daß die Poesie inskünftige aus andern Rinnen des
Lebens quillen wird als bisher. Wir neigen uns stark der Meinung zu, aus
die Gefahr hin prosaisch gescholten zu werden, daß das rechte poetische Moment
nicht etwa in der unbelebten Natur sich finde und nicht ausschließlich an be¬
stimmten Formen und Gestaltungen der Landschaft haste, sondern daß es einzig
und allein in den Bedürfnissen des menschlichen Herzens seinen Ursprung, in
der immer lebendigen Thätigkeit der Phantasie seine Entwicklung habe. Zer¬
stört eine Umbildun-g allgemeiner Verhältnisse irgendwo Stoffe und Stätten
der Poesie, wie es in den Lichtungen unsrer vaterländischen Waldeinsamkeit
allerdings geschieht, so ruft dafür der ewig junge Trieb in unsrer Brust Freuden
und Gefühle wach, von denen das dürftigere Dasein unsrer Väter keine Ahnung
hatte. Die Dichtung ist so unsterblich wie der Mensch selbst auf dieser Erde;
erst wenn ihr das Subject wegstirbt, nämlich der Dichter, mag auch die Dichtung
auf einen anständigen Abschied von hienieden denken. Ob N)re Objecte wechseln
oder nicht, das kann sie nicht im Punkt ihrer Eristenz bedrohen. Was aber
jenes andere Erfordernis; anlangt, so haben wir ja gottlob der Poeten noch so
manches grau oder grüne Eremplar, daß an dem Fortkommen der Poesie auch
unter so betrübten Ereignissen wie Moorculturen und Waldrodungen nicht zu
zweifeln ist.

Wie es uns erscheint, wird durch die Verminderung und Zerspaltung der
Wälder eine vorhandene Gattung poetischer Stoffe nicht sowol vernichtet, als
vielmehr zertheilt und in kleineren Mengen auf eine größere Anzahl Genießender
berechnet. Solange waren wir gewohnt, nur da uns recht „im Walde"
fühlen, wo weit und breit kein menschlicher Schritt zu hören war und höchstens
Gottes Wind in heiligen Schauern durch die hehren Kronen der Eichen strich-
Wir werden aber immer heimischer in der Umgebung gleichartiger Wesen, det
nur einzelne, besonders angelegte Individuen noch als der Uebel ärgstes fliehen
mögen; wir finden uns immer mehr in der „Gesellschaft" zurecht, und entbehren
immer weniger jene tagelangem Einsamkeiten auf Alpenhöhen und im Dickicht
der Wälder, in denen die Schwärmer von ehedem sich erst groß und frei und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/350>, abgerufen am 01.09.2024.