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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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und für alle Mal, und in einfachster und kürzester Weise klar gemacht zu haben.
Ich rede hier von seinem Werke: Theorie des großen Krieges. Zu'den liebe¬
vollsten Partieen desselben gehört die, wo die Quintessenz der Lehre von der
Kriegsleituug zur Erörterung kommt, Strategie" sagt Willisen, "ist
die Lehre von den Verbindungen."

Ich will hier keineswegs behaupten, daß Paskewitsch über diesen Cardinal-
Punkt im Unklaren gewesen sei; seine Anordnungen beweisen, daß er ihn nicht
außer Acht gelassen; aber er faßte die daraus zu ziehenden Folgerungen nicht
sowol im activen, als vielmehr im passiven Sinne aus, mehr, ja aus¬
schließlich im Geiste der Defensive, als in dem der Offensive.

Wenn die Strategie die Lehre von den Verbindungen ist, so will dies
soviel heißen als: der Angriff hat sich gegen diejenigen des Feindes zu wenden,
während die Vertheidigung bemüht sein muß, die eignen zu decken. Der rus¬
sische Feldherr, obwol in der Offensive stehend, machte dagegen den, Haupt¬
fehler, daß er stets nur an die Communicationen und den Zusammenhang der
Zarischen Armee dachte, nicht an den des Gegners. Darum seine Langsamkeit,
darum sein Verharren aus der einmal eingenommenen Frontlinie, darum endlich
sein Marsch gegen Silistria im Mai, anstatt eines raschen und -energischen
Vorgehens gegen Varna im April!

Ich frage hiernächst: in welcher Weise konnte der Generalissimus des
Zaren das Princip, wonach man beim Angriff gegen die Verbindungen des
Feindes zu agiren hat, im April zur entscheidenden Anwendung bringen?
Offenbar durch einen Marsch von der Dobrndscha aus direct südwärts, um
Schumla von Varna, d. h. den türkischen Höchstcommandirendcn und seine
Armee von dem wichtigsten Nerpflegungspnnkte zu trennen, und nach Um¬
gehung des Dcwnosees sich desselben durch einen raschen und kühnen Angriff
von beiden Seiten her zu bemächtigen.

Wenn Sie sich entsinnen, war es dieser Plan, den ich gleich nach dem
Donauübergange (22. und 23. März) dem russischen Feldherrn zuschrieb; indeß
schon damals mit der Bemerkung, daß es ihm wahrscheinlicherweise zur Aus¬
führung an der moralischen Kraft gebrechen werde. Demnach war zu jener
Zeit die Gefahr nicht gering. Die Hilfstruppen waren noch weit rückwärts
und selbst in Malta erst in geringer Stärke angelangt. Unter allen Umständen
hatten die Russen einen Zeitraum von fünf Wochen vor sich, um den er¬
wähnten Marsch, welcher nur zehn Tage verlangte, auszuführen und sich dar¬
nach der Festung Varna im Wege des förmlichen Angriffs zu bemächtigen.
Gelang letzteres, so war den Engländern und Franzosen damit die Möglichkeit
genommen, auf bulgarischen Boden oder im Norden des Balkan zu landen,
und es wäre ihnen nichts übriggeblieben, als entweder den Marsch nach dem
Kriegstheater von den Dardanellen und dem Bosporus aus über Adrianopel


und für alle Mal, und in einfachster und kürzester Weise klar gemacht zu haben.
Ich rede hier von seinem Werke: Theorie des großen Krieges. Zu'den liebe¬
vollsten Partieen desselben gehört die, wo die Quintessenz der Lehre von der
Kriegsleituug zur Erörterung kommt, Strategie" sagt Willisen, „ist
die Lehre von den Verbindungen."

Ich will hier keineswegs behaupten, daß Paskewitsch über diesen Cardinal-
Punkt im Unklaren gewesen sei; seine Anordnungen beweisen, daß er ihn nicht
außer Acht gelassen; aber er faßte die daraus zu ziehenden Folgerungen nicht
sowol im activen, als vielmehr im passiven Sinne aus, mehr, ja aus¬
schließlich im Geiste der Defensive, als in dem der Offensive.

Wenn die Strategie die Lehre von den Verbindungen ist, so will dies
soviel heißen als: der Angriff hat sich gegen diejenigen des Feindes zu wenden,
während die Vertheidigung bemüht sein muß, die eignen zu decken. Der rus¬
sische Feldherr, obwol in der Offensive stehend, machte dagegen den, Haupt¬
fehler, daß er stets nur an die Communicationen und den Zusammenhang der
Zarischen Armee dachte, nicht an den des Gegners. Darum seine Langsamkeit,
darum sein Verharren aus der einmal eingenommenen Frontlinie, darum endlich
sein Marsch gegen Silistria im Mai, anstatt eines raschen und -energischen
Vorgehens gegen Varna im April!

Ich frage hiernächst: in welcher Weise konnte der Generalissimus des
Zaren das Princip, wonach man beim Angriff gegen die Verbindungen des
Feindes zu agiren hat, im April zur entscheidenden Anwendung bringen?
Offenbar durch einen Marsch von der Dobrndscha aus direct südwärts, um
Schumla von Varna, d. h. den türkischen Höchstcommandirendcn und seine
Armee von dem wichtigsten Nerpflegungspnnkte zu trennen, und nach Um¬
gehung des Dcwnosees sich desselben durch einen raschen und kühnen Angriff
von beiden Seiten her zu bemächtigen.

Wenn Sie sich entsinnen, war es dieser Plan, den ich gleich nach dem
Donauübergange (22. und 23. März) dem russischen Feldherrn zuschrieb; indeß
schon damals mit der Bemerkung, daß es ihm wahrscheinlicherweise zur Aus¬
führung an der moralischen Kraft gebrechen werde. Demnach war zu jener
Zeit die Gefahr nicht gering. Die Hilfstruppen waren noch weit rückwärts
und selbst in Malta erst in geringer Stärke angelangt. Unter allen Umständen
hatten die Russen einen Zeitraum von fünf Wochen vor sich, um den er¬
wähnten Marsch, welcher nur zehn Tage verlangte, auszuführen und sich dar¬
nach der Festung Varna im Wege des förmlichen Angriffs zu bemächtigen.
Gelang letzteres, so war den Engländern und Franzosen damit die Möglichkeit
genommen, auf bulgarischen Boden oder im Norden des Balkan zu landen,
und es wäre ihnen nichts übriggeblieben, als entweder den Marsch nach dem
Kriegstheater von den Dardanellen und dem Bosporus aus über Adrianopel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/333>, abgerufen am 08.01.2025.