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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Es ist das Zeitalter der unbedingten Subjectivitiit. Jede Idee der Autorität
d. h. jeder Begriff des allgemeinen, nothwendigen Denkens ist ausgegeben, jeder
Einzelne nimmt das Recht in Anspruch, seine eignen Ansichten und Meinungen
zu haben. DaS gegenwärtige Begreifen wird zum Maßstab der Wirklichkeit
gemacht, und daraus geht die Ausklärung (das Wort ist von Fichte erfun¬
den) alles positiven Inhalts hervor. Wie man für sich Meinungsfreiheit in
Anspruch nimmt, so gesteht man sie auch allen übrigen zu. Man häuft die
verschiedenen Meinungen ohne weiteren Zweck aus, und fertigt jeden, der eine
zwingende Idee aufgefunden zu haben glaubt, mit oberflächlichem Spott ab.
Man strebt nur nach Material, niemals nach einem abschließenden Urtheil,
und als das größte Verdienst gilt, eine möglichst große Anzahl von Ansichten
und Meinungen aufgestellt zu haben.

Aus dieser Urteilslosigkeit und dieser Toleranz gegen alles angeblich
Eristirende ergibt sich die Unfähigkeit des Zeitalters zur That, denn die That
wird nur durch einen Abschluß des Urtheils möglich. Jeder lebt für sich hin,
sein eignes Wohl ist sein einziger Maßstab, die Idee der Pflicht und der Auf¬
opferung wird als eine lächerliche Phantasie beseitigt. Dieses Nützlichkeitssystcm
erstreckt sich auf alle Zweige des Lebens und das wahre Symbol des Zeitalters
ist der Ausdruck dieser inhaltlosen Nützlichkeitöbeziehung, nämlich das Geld.

Nun findet sich allerdings innerhalb des Zeitalters eine Reaction, die im
Gegensatz gegen das Bestreben, alles nach dem vorhandenen Maßstabe zu be¬
greifen, das Unbegreifliche als solches präeonistrt und als Gegensatz gegen das
Nützlichkeitssystem die Schwärmerei predigt. Aber diese Reaction ist grade die
schlechteste Seite des Zeitalters, Unübertrefflich schön ist, was Fichte über den
wesentlichen innern Zusammenhang jener Schwärmerei mit dem geistlosen Natur¬
fatalismus, mit der Zauberei und mit dem Wunder aussagt. Ein Seitenblick
auf seine guten Freunde ist dabei nicht zu verkennen.

Wir haben noch zu untersuchen, was für ein ideales Gegenbild Fichte
dieser vortrefflichen Darstellung des gegenwärtigen Zeitalters gegenübersetzt.
Seine Anforderungen sind sehr streng. Er steigert den kategorischen Imperativ
so bedeutend, daß er alles individuelle Leben, welches sich nicht unbedingt dem
Gattungsleben und dessen Ausdruck, den Ideen fügt, als unsittlich lind unselig
verwirft und auch die schönsten individuellen Verhältnisse dabei nicht schonte
Da er nun aber sehr wohl einsteht, daß eine solche Herrschaft der Ideen sich
auf natürlichem Wege nicht herstellen läßt, so nimmt er künstliche Mittel W
Hilfe, die Wissenschaft und den Staat. Der Staat ist nach ihm seinem ab¬
soluten Begriff gemäß eine Zwangsanstalt zum Leben in den Ideen, in der
Gattung. Von wem aber einem verderbten Zeitalter gegenüber diese moralische
Zwangsanstalt ausgehen soll, darüber spricht er sich nicht klar aus, wenn man
sich auch wohl vorstellen kann, daß er mit Plato die Philosophen als die Ver-'


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Es ist das Zeitalter der unbedingten Subjectivitiit. Jede Idee der Autorität
d. h. jeder Begriff des allgemeinen, nothwendigen Denkens ist ausgegeben, jeder
Einzelne nimmt das Recht in Anspruch, seine eignen Ansichten und Meinungen
zu haben. DaS gegenwärtige Begreifen wird zum Maßstab der Wirklichkeit
gemacht, und daraus geht die Ausklärung (das Wort ist von Fichte erfun¬
den) alles positiven Inhalts hervor. Wie man für sich Meinungsfreiheit in
Anspruch nimmt, so gesteht man sie auch allen übrigen zu. Man häuft die
verschiedenen Meinungen ohne weiteren Zweck aus, und fertigt jeden, der eine
zwingende Idee aufgefunden zu haben glaubt, mit oberflächlichem Spott ab.
Man strebt nur nach Material, niemals nach einem abschließenden Urtheil,
und als das größte Verdienst gilt, eine möglichst große Anzahl von Ansichten
und Meinungen aufgestellt zu haben.

Aus dieser Urteilslosigkeit und dieser Toleranz gegen alles angeblich
Eristirende ergibt sich die Unfähigkeit des Zeitalters zur That, denn die That
wird nur durch einen Abschluß des Urtheils möglich. Jeder lebt für sich hin,
sein eignes Wohl ist sein einziger Maßstab, die Idee der Pflicht und der Auf¬
opferung wird als eine lächerliche Phantasie beseitigt. Dieses Nützlichkeitssystcm
erstreckt sich auf alle Zweige des Lebens und das wahre Symbol des Zeitalters
ist der Ausdruck dieser inhaltlosen Nützlichkeitöbeziehung, nämlich das Geld.

Nun findet sich allerdings innerhalb des Zeitalters eine Reaction, die im
Gegensatz gegen das Bestreben, alles nach dem vorhandenen Maßstabe zu be¬
greifen, das Unbegreifliche als solches präeonistrt und als Gegensatz gegen das
Nützlichkeitssystem die Schwärmerei predigt. Aber diese Reaction ist grade die
schlechteste Seite des Zeitalters, Unübertrefflich schön ist, was Fichte über den
wesentlichen innern Zusammenhang jener Schwärmerei mit dem geistlosen Natur¬
fatalismus, mit der Zauberei und mit dem Wunder aussagt. Ein Seitenblick
auf seine guten Freunde ist dabei nicht zu verkennen.

Wir haben noch zu untersuchen, was für ein ideales Gegenbild Fichte
dieser vortrefflichen Darstellung des gegenwärtigen Zeitalters gegenübersetzt.
Seine Anforderungen sind sehr streng. Er steigert den kategorischen Imperativ
so bedeutend, daß er alles individuelle Leben, welches sich nicht unbedingt dem
Gattungsleben und dessen Ausdruck, den Ideen fügt, als unsittlich lind unselig
verwirft und auch die schönsten individuellen Verhältnisse dabei nicht schonte
Da er nun aber sehr wohl einsteht, daß eine solche Herrschaft der Ideen sich
auf natürlichem Wege nicht herstellen läßt, so nimmt er künstliche Mittel W
Hilfe, die Wissenschaft und den Staat. Der Staat ist nach ihm seinem ab¬
soluten Begriff gemäß eine Zwangsanstalt zum Leben in den Ideen, in der
Gattung. Von wem aber einem verderbten Zeitalter gegenüber diese moralische
Zwangsanstalt ausgehen soll, darüber spricht er sich nicht klar aus, wenn man
sich auch wohl vorstellen kann, daß er mit Plato die Philosophen als die Ver-'


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[0307] Es ist das Zeitalter der unbedingten Subjectivitiit. Jede Idee der Autorität d. h. jeder Begriff des allgemeinen, nothwendigen Denkens ist ausgegeben, jeder Einzelne nimmt das Recht in Anspruch, seine eignen Ansichten und Meinungen zu haben. DaS gegenwärtige Begreifen wird zum Maßstab der Wirklichkeit gemacht, und daraus geht die Ausklärung (das Wort ist von Fichte erfun¬ den) alles positiven Inhalts hervor. Wie man für sich Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt, so gesteht man sie auch allen übrigen zu. Man häuft die verschiedenen Meinungen ohne weiteren Zweck aus, und fertigt jeden, der eine zwingende Idee aufgefunden zu haben glaubt, mit oberflächlichem Spott ab. Man strebt nur nach Material, niemals nach einem abschließenden Urtheil, und als das größte Verdienst gilt, eine möglichst große Anzahl von Ansichten und Meinungen aufgestellt zu haben. Aus dieser Urteilslosigkeit und dieser Toleranz gegen alles angeblich Eristirende ergibt sich die Unfähigkeit des Zeitalters zur That, denn die That wird nur durch einen Abschluß des Urtheils möglich. Jeder lebt für sich hin, sein eignes Wohl ist sein einziger Maßstab, die Idee der Pflicht und der Auf¬ opferung wird als eine lächerliche Phantasie beseitigt. Dieses Nützlichkeitssystcm erstreckt sich auf alle Zweige des Lebens und das wahre Symbol des Zeitalters ist der Ausdruck dieser inhaltlosen Nützlichkeitöbeziehung, nämlich das Geld. Nun findet sich allerdings innerhalb des Zeitalters eine Reaction, die im Gegensatz gegen das Bestreben, alles nach dem vorhandenen Maßstabe zu be¬ greifen, das Unbegreifliche als solches präeonistrt und als Gegensatz gegen das Nützlichkeitssystem die Schwärmerei predigt. Aber diese Reaction ist grade die schlechteste Seite des Zeitalters, Unübertrefflich schön ist, was Fichte über den wesentlichen innern Zusammenhang jener Schwärmerei mit dem geistlosen Natur¬ fatalismus, mit der Zauberei und mit dem Wunder aussagt. Ein Seitenblick auf seine guten Freunde ist dabei nicht zu verkennen. Wir haben noch zu untersuchen, was für ein ideales Gegenbild Fichte dieser vortrefflichen Darstellung des gegenwärtigen Zeitalters gegenübersetzt. Seine Anforderungen sind sehr streng. Er steigert den kategorischen Imperativ so bedeutend, daß er alles individuelle Leben, welches sich nicht unbedingt dem Gattungsleben und dessen Ausdruck, den Ideen fügt, als unsittlich lind unselig verwirft und auch die schönsten individuellen Verhältnisse dabei nicht schonte Da er nun aber sehr wohl einsteht, daß eine solche Herrschaft der Ideen sich auf natürlichem Wege nicht herstellen läßt, so nimmt er künstliche Mittel W Hilfe, die Wissenschaft und den Staat. Der Staat ist nach ihm seinem ab¬ soluten Begriff gemäß eine Zwangsanstalt zum Leben in den Ideen, in der Gattung. Von wem aber einem verderbten Zeitalter gegenüber diese moralische Zwangsanstalt ausgehen soll, darüber spricht er sich nicht klar aus, wenn man sich auch wohl vorstellen kann, daß er mit Plato die Philosophen als die Ver-' 38*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/307>, abgerufen am 01.09.2024.