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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Verwirrung, Wucher. Das Beispiel ihres Nutzens reizte zur Nachahmung,
die Concurrenz im großen Verkehr nöthigte dazu. Unter den mißlungenen
Versuchen und den Ausartungen erscheinen vorzugsweise solche Plane, die
weniger einem wirklichen Bedürfnisse als einer Staatskünstelei oder bloßer Ge-
winnspeculation ihre Entstehung verdankten. Solche Beispiele dienten lange
Zeit als Unterlage den Argumenten, welche die Creditanstalten überhaupt als
gefährlich oder mindestens als überflüssig darzustellen pflegten, und den Dä-
dalus nicht fliegen lassen wollten, damit Ikarus nicht zu Grunde gehe.

Die Einrichtung, deren hier gedacht werden soll, ist nach Mustern ge¬
schaffen, die sich als Mittel zur Erhaltung und Förderung zahlreicher Geschäfte
in Zeiten der Noth bewährt haben und ihrer bleibenden Nützlichkeit halber bei¬
behalten wurden. Sie hat im abgelaufenen Jahre die Probe einer schweren
Handelskrise mit dem besten Erfolge bestanden, während sie von den Institu¬
ten des Staates nichts weniger als freundlich behandelt wurde; außer ihrer
Gemeinnützigkeit'ist nun auch die Richtigkeit der Grundsätze des Organismus
und der Leitung bewiesen, und sie geht nun der Erweiterung, deren sie fähig
ist, mit sicheren Schritten entgegen.

Die Discontogesellschaften sind französischen Ursprungs, und ihre älteren
Kassen gehören in die Vorgeschichte der französischen Bank. Nach den Revo¬
lutionen von -1830 und 1848 wurden aus öffentlichen Geldern, verstärkt durch
Privatuntcrzeichnungen, nationale Discontocomptoire ausgestattet, um während
der Geschäftsstockung dem Handel eine vorübergehende Aushilfe zu gewähren.
Ein Gesetz vom 17. Octbr. 1830 beschränkte ihre Dauer auf die erste Hälfte
des Jahres 1831; sie wurde für das Comptoir von Paris bis zum 30. Sep¬
tember 1832 verlängert, wo dasselbe seine Geschäfte einstellte. Im Jahre 1848
wurden aus Mitteln des Staates, der Stadtgemeinden und der Privattheil-
nehmer abermals nationale Discontocomptoire in Paris und in einigen sechzig
Dcpartementsstädten errichtet, anfänglich aus die Dauer von drei Jahren. Die
Antheile des Staats (in Schatzscheinen) und der .Städte (in Gemeindeobliga¬
tionen) an dem Grundcapitale mußten bis zur Liquidation unberührt bleiben
und durften alsdann nur zur Deckung etwaiger Verluste der Gläubiger ver¬
wendet werden, wovon jedoch kein einziges Beispiel vorgekommen ist. Staat
und Gemeinden brachten sonach das Vertrauen, die Actionäre die Be¬
triebsmittel. Doch erhielt jedes Comptoir bei Eröffnung seiner Geschäfte
noch einen Vorschuß vom Staate gegen Verzinsung mit 4"/^; die hierfür ver-
wendete Summe belief sich auf 13 bis 16 Millionen Franken. Im Jahre 1831
hatten fast alle Comptoirs die Vorschüsse der Staatskasse erstattet; nur das
Comptoir von Paris behielt seine drei Millionen.

Die Geschäftsleitung führte ein von den Actionären gewählter Verwql-
tungörath, aus dessen Mitgliedern die Regierung den Director ernannte, der


Verwirrung, Wucher. Das Beispiel ihres Nutzens reizte zur Nachahmung,
die Concurrenz im großen Verkehr nöthigte dazu. Unter den mißlungenen
Versuchen und den Ausartungen erscheinen vorzugsweise solche Plane, die
weniger einem wirklichen Bedürfnisse als einer Staatskünstelei oder bloßer Ge-
winnspeculation ihre Entstehung verdankten. Solche Beispiele dienten lange
Zeit als Unterlage den Argumenten, welche die Creditanstalten überhaupt als
gefährlich oder mindestens als überflüssig darzustellen pflegten, und den Dä-
dalus nicht fliegen lassen wollten, damit Ikarus nicht zu Grunde gehe.

Die Einrichtung, deren hier gedacht werden soll, ist nach Mustern ge¬
schaffen, die sich als Mittel zur Erhaltung und Förderung zahlreicher Geschäfte
in Zeiten der Noth bewährt haben und ihrer bleibenden Nützlichkeit halber bei¬
behalten wurden. Sie hat im abgelaufenen Jahre die Probe einer schweren
Handelskrise mit dem besten Erfolge bestanden, während sie von den Institu¬
ten des Staates nichts weniger als freundlich behandelt wurde; außer ihrer
Gemeinnützigkeit'ist nun auch die Richtigkeit der Grundsätze des Organismus
und der Leitung bewiesen, und sie geht nun der Erweiterung, deren sie fähig
ist, mit sicheren Schritten entgegen.

Die Discontogesellschaften sind französischen Ursprungs, und ihre älteren
Kassen gehören in die Vorgeschichte der französischen Bank. Nach den Revo¬
lutionen von -1830 und 1848 wurden aus öffentlichen Geldern, verstärkt durch
Privatuntcrzeichnungen, nationale Discontocomptoire ausgestattet, um während
der Geschäftsstockung dem Handel eine vorübergehende Aushilfe zu gewähren.
Ein Gesetz vom 17. Octbr. 1830 beschränkte ihre Dauer auf die erste Hälfte
des Jahres 1831; sie wurde für das Comptoir von Paris bis zum 30. Sep¬
tember 1832 verlängert, wo dasselbe seine Geschäfte einstellte. Im Jahre 1848
wurden aus Mitteln des Staates, der Stadtgemeinden und der Privattheil-
nehmer abermals nationale Discontocomptoire in Paris und in einigen sechzig
Dcpartementsstädten errichtet, anfänglich aus die Dauer von drei Jahren. Die
Antheile des Staats (in Schatzscheinen) und der .Städte (in Gemeindeobliga¬
tionen) an dem Grundcapitale mußten bis zur Liquidation unberührt bleiben
und durften alsdann nur zur Deckung etwaiger Verluste der Gläubiger ver¬
wendet werden, wovon jedoch kein einziges Beispiel vorgekommen ist. Staat
und Gemeinden brachten sonach das Vertrauen, die Actionäre die Be¬
triebsmittel. Doch erhielt jedes Comptoir bei Eröffnung seiner Geschäfte
noch einen Vorschuß vom Staate gegen Verzinsung mit 4"/^; die hierfür ver-
wendete Summe belief sich auf 13 bis 16 Millionen Franken. Im Jahre 1831
hatten fast alle Comptoirs die Vorschüsse der Staatskasse erstattet; nur das
Comptoir von Paris behielt seine drei Millionen.

Die Geschäftsleitung führte ein von den Actionären gewählter Verwql-
tungörath, aus dessen Mitgliedern die Regierung den Director ernannte, der


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[0026] Verwirrung, Wucher. Das Beispiel ihres Nutzens reizte zur Nachahmung, die Concurrenz im großen Verkehr nöthigte dazu. Unter den mißlungenen Versuchen und den Ausartungen erscheinen vorzugsweise solche Plane, die weniger einem wirklichen Bedürfnisse als einer Staatskünstelei oder bloßer Ge- winnspeculation ihre Entstehung verdankten. Solche Beispiele dienten lange Zeit als Unterlage den Argumenten, welche die Creditanstalten überhaupt als gefährlich oder mindestens als überflüssig darzustellen pflegten, und den Dä- dalus nicht fliegen lassen wollten, damit Ikarus nicht zu Grunde gehe. Die Einrichtung, deren hier gedacht werden soll, ist nach Mustern ge¬ schaffen, die sich als Mittel zur Erhaltung und Förderung zahlreicher Geschäfte in Zeiten der Noth bewährt haben und ihrer bleibenden Nützlichkeit halber bei¬ behalten wurden. Sie hat im abgelaufenen Jahre die Probe einer schweren Handelskrise mit dem besten Erfolge bestanden, während sie von den Institu¬ ten des Staates nichts weniger als freundlich behandelt wurde; außer ihrer Gemeinnützigkeit'ist nun auch die Richtigkeit der Grundsätze des Organismus und der Leitung bewiesen, und sie geht nun der Erweiterung, deren sie fähig ist, mit sicheren Schritten entgegen. Die Discontogesellschaften sind französischen Ursprungs, und ihre älteren Kassen gehören in die Vorgeschichte der französischen Bank. Nach den Revo¬ lutionen von -1830 und 1848 wurden aus öffentlichen Geldern, verstärkt durch Privatuntcrzeichnungen, nationale Discontocomptoire ausgestattet, um während der Geschäftsstockung dem Handel eine vorübergehende Aushilfe zu gewähren. Ein Gesetz vom 17. Octbr. 1830 beschränkte ihre Dauer auf die erste Hälfte des Jahres 1831; sie wurde für das Comptoir von Paris bis zum 30. Sep¬ tember 1832 verlängert, wo dasselbe seine Geschäfte einstellte. Im Jahre 1848 wurden aus Mitteln des Staates, der Stadtgemeinden und der Privattheil- nehmer abermals nationale Discontocomptoire in Paris und in einigen sechzig Dcpartementsstädten errichtet, anfänglich aus die Dauer von drei Jahren. Die Antheile des Staats (in Schatzscheinen) und der .Städte (in Gemeindeobliga¬ tionen) an dem Grundcapitale mußten bis zur Liquidation unberührt bleiben und durften alsdann nur zur Deckung etwaiger Verluste der Gläubiger ver¬ wendet werden, wovon jedoch kein einziges Beispiel vorgekommen ist. Staat und Gemeinden brachten sonach das Vertrauen, die Actionäre die Be¬ triebsmittel. Doch erhielt jedes Comptoir bei Eröffnung seiner Geschäfte noch einen Vorschuß vom Staate gegen Verzinsung mit 4"/^; die hierfür ver- wendete Summe belief sich auf 13 bis 16 Millionen Franken. Im Jahre 1831 hatten fast alle Comptoirs die Vorschüsse der Staatskasse erstattet; nur das Comptoir von Paris behielt seine drei Millionen. Die Geschäftsleitung führte ein von den Actionären gewählter Verwql- tungörath, aus dessen Mitgliedern die Regierung den Director ernannte, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/26>, abgerufen am 27.07.2024.