Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und Witz, Kaffeewuth und Liebe zum Ort trotz ihrer weiten Schwamm-
reisen aus.

Ueberall ziehen die Berggipfel den Fußbewohner aus den tiefen Thälern
zu sich herauf. Es liegt dieser Zug nicht blos in dem spannenden Gegensatz
des Tiefen und Hohen, des räumlich Beengten und räumlich Freien, des Licht-
mangels und der Lichtfülle, auch nicht blos in dem körperlich angenehmen
Neiz, durch das Aufsteigen zu den Höhen und durch das Aufsaugen der er¬
frischenden Berglüste die Organe des Leibes zu spannen und zu beleben,
sondern vor allem in dem poetischen Gefühl deS Menschen, das sich im sanften
oder wilden Rauschen der Waldungen, im unbegrenzten Schauen ins Land
hinaus, in dem mächtigen Einwirken der Naturgewalten durchschauert, gehoben
und geweiht fühlt. Der Cult der Berghöhen wird darum a'uf Erden überall,
namentlich da gefunden, wo der Gegensatz zwischen tief und hoch scharf aus¬
geformt ist und das Hohe vom Tiefen leicht erstiegen werden kann. Diesen Vorzug
hat besonders der nordwestliche thüringer Wald, der zwischen zwei welligen Ebenen
als hoher und schnell erreichbarer Damm erbaut, aus seinen luftfrischen Gipfeln nach
dem deutschen Süden und Norden zugleich blicken läßt. Schon in heidnischer Zeit
stiegen die Anwohner zu den Höhen des thüringer Waldes, um hier ihre
Götter in Opfern und Feuern zu verehren und um von da Kräuter, in der
den Göttern heiligen Zeit gesegnet, zu holen, und dies Pilgern, wenn
auch mehr aus Naturdrang als aus religiösem Bedürfniß, hat sich bis jetzt
erhalten. Alljährlich, besonders zur Pfingstzeit, wandern nach vielen Hoch¬
punkten die Bursche und Mädchen der zu Seiten des Gebirgs liegenden
Dörfer, verbringen daselbst mit Gesang und Musik fröhliche Stunden und
kehren mit grünem Laub geschmückt zu ihren Wohnungen heim. Der Insel-
berg, Donneröhauk, Schneekopf und Finsterberg sind solche Punkte, die ihre
alten Wallzuge in die moderne Zeit hereingerettet haben. Aber auch Touristen
aus der Nähe und Ferne und Erholungsbedürftige aller Art, vorzugsweise
aus Norddeutschland, beleben die comfortabel eingerichteten Punkte der thü¬
ringer Kette, wohin namentlich der Inselberg und der Schneekopf mit der
Schmücke gehören.*)





") Diese Gelegenheit sei benützt, ein vortreffliches, bereits früher angezeigtes Werk: "Lan¬
des kunoe d eS Herzoge h ums Me iningc n von G. Brückn er- 3 Thle. Meiningen -I8!j->--ö3
Brllckner und Nenner, nochmals zu empfehlen. Das Werk ist ein Muster genauer Darstellung
aller politischen, nationalökonomischen, geographischen und Culturverhältnisse des Herzog-
thums. Der thüringer Wald ist jetzt der "Sommeraufenthalt" von zahlreichen Norddeutschen
und seiue Bevölkerung hat auch deshalb ein neues Interesse für die übrigen deutschen Stämme
gewonnen.

und Witz, Kaffeewuth und Liebe zum Ort trotz ihrer weiten Schwamm-
reisen aus.

Ueberall ziehen die Berggipfel den Fußbewohner aus den tiefen Thälern
zu sich herauf. Es liegt dieser Zug nicht blos in dem spannenden Gegensatz
des Tiefen und Hohen, des räumlich Beengten und räumlich Freien, des Licht-
mangels und der Lichtfülle, auch nicht blos in dem körperlich angenehmen
Neiz, durch das Aufsteigen zu den Höhen und durch das Aufsaugen der er¬
frischenden Berglüste die Organe des Leibes zu spannen und zu beleben,
sondern vor allem in dem poetischen Gefühl deS Menschen, das sich im sanften
oder wilden Rauschen der Waldungen, im unbegrenzten Schauen ins Land
hinaus, in dem mächtigen Einwirken der Naturgewalten durchschauert, gehoben
und geweiht fühlt. Der Cult der Berghöhen wird darum a'uf Erden überall,
namentlich da gefunden, wo der Gegensatz zwischen tief und hoch scharf aus¬
geformt ist und das Hohe vom Tiefen leicht erstiegen werden kann. Diesen Vorzug
hat besonders der nordwestliche thüringer Wald, der zwischen zwei welligen Ebenen
als hoher und schnell erreichbarer Damm erbaut, aus seinen luftfrischen Gipfeln nach
dem deutschen Süden und Norden zugleich blicken läßt. Schon in heidnischer Zeit
stiegen die Anwohner zu den Höhen des thüringer Waldes, um hier ihre
Götter in Opfern und Feuern zu verehren und um von da Kräuter, in der
den Göttern heiligen Zeit gesegnet, zu holen, und dies Pilgern, wenn
auch mehr aus Naturdrang als aus religiösem Bedürfniß, hat sich bis jetzt
erhalten. Alljährlich, besonders zur Pfingstzeit, wandern nach vielen Hoch¬
punkten die Bursche und Mädchen der zu Seiten des Gebirgs liegenden
Dörfer, verbringen daselbst mit Gesang und Musik fröhliche Stunden und
kehren mit grünem Laub geschmückt zu ihren Wohnungen heim. Der Insel-
berg, Donneröhauk, Schneekopf und Finsterberg sind solche Punkte, die ihre
alten Wallzuge in die moderne Zeit hereingerettet haben. Aber auch Touristen
aus der Nähe und Ferne und Erholungsbedürftige aller Art, vorzugsweise
aus Norddeutschland, beleben die comfortabel eingerichteten Punkte der thü¬
ringer Kette, wohin namentlich der Inselberg und der Schneekopf mit der
Schmücke gehören.*)





") Diese Gelegenheit sei benützt, ein vortreffliches, bereits früher angezeigtes Werk: „Lan¬
des kunoe d eS Herzoge h ums Me iningc n von G. Brückn er- 3 Thle. Meiningen -I8!j->—ö3
Brllckner und Nenner, nochmals zu empfehlen. Das Werk ist ein Muster genauer Darstellung
aller politischen, nationalökonomischen, geographischen und Culturverhältnisse des Herzog-
thums. Der thüringer Wald ist jetzt der „Sommeraufenthalt" von zahlreichen Norddeutschen
und seiue Bevölkerung hat auch deshalb ein neues Interesse für die übrigen deutschen Stämme
gewonnen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281377"/>
            <p xml:id="ID_711" prev="#ID_710"> und Witz, Kaffeewuth und Liebe zum Ort trotz ihrer weiten Schwamm-<lb/>
reisen aus.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_712"> Ueberall ziehen die Berggipfel den Fußbewohner aus den tiefen Thälern<lb/>
zu sich herauf. Es liegt dieser Zug nicht blos in dem spannenden Gegensatz<lb/>
des Tiefen und Hohen, des räumlich Beengten und räumlich Freien, des Licht-<lb/>
mangels und der Lichtfülle, auch nicht blos in dem körperlich angenehmen<lb/>
Neiz, durch das Aufsteigen zu den Höhen und durch das Aufsaugen der er¬<lb/>
frischenden Berglüste die Organe des Leibes zu spannen und zu beleben,<lb/>
sondern vor allem in dem poetischen Gefühl deS Menschen, das sich im sanften<lb/>
oder wilden Rauschen der Waldungen, im unbegrenzten Schauen ins Land<lb/>
hinaus, in dem mächtigen Einwirken der Naturgewalten durchschauert, gehoben<lb/>
und geweiht fühlt. Der Cult der Berghöhen wird darum a'uf Erden überall,<lb/>
namentlich da gefunden, wo der Gegensatz zwischen tief und hoch scharf aus¬<lb/>
geformt ist und das Hohe vom Tiefen leicht erstiegen werden kann. Diesen Vorzug<lb/>
hat besonders der nordwestliche thüringer Wald, der zwischen zwei welligen Ebenen<lb/>
als hoher und schnell erreichbarer Damm erbaut, aus seinen luftfrischen Gipfeln nach<lb/>
dem deutschen Süden und Norden zugleich blicken läßt. Schon in heidnischer Zeit<lb/>
stiegen die Anwohner zu den Höhen des thüringer Waldes, um hier ihre<lb/>
Götter in Opfern und Feuern zu verehren und um von da Kräuter, in der<lb/>
den Göttern heiligen Zeit gesegnet, zu holen, und dies Pilgern, wenn<lb/>
auch mehr aus Naturdrang als aus religiösem Bedürfniß, hat sich bis jetzt<lb/>
erhalten. Alljährlich, besonders zur Pfingstzeit, wandern nach vielen Hoch¬<lb/>
punkten die Bursche und Mädchen der zu Seiten des Gebirgs liegenden<lb/>
Dörfer, verbringen daselbst mit Gesang und Musik fröhliche Stunden und<lb/>
kehren mit grünem Laub geschmückt zu ihren Wohnungen heim. Der Insel-<lb/>
berg, Donneröhauk, Schneekopf und Finsterberg sind solche Punkte, die ihre<lb/>
alten Wallzuge in die moderne Zeit hereingerettet haben. Aber auch Touristen<lb/>
aus der Nähe und Ferne und Erholungsbedürftige aller Art, vorzugsweise<lb/>
aus Norddeutschland, beleben die comfortabel eingerichteten Punkte der thü¬<lb/>
ringer Kette, wohin namentlich der Inselberg und der Schneekopf mit der<lb/>
Schmücke gehören.*)</p><lb/>
            <note xml:id="FID_7" place="foot"> ") Diese Gelegenheit sei benützt, ein vortreffliches, bereits früher angezeigtes Werk: &#x201E;Lan¬<lb/>
des kunoe d eS Herzoge h ums Me iningc n von G. Brückn er- 3 Thle. Meiningen -I8!j-&gt;&#x2014;ö3<lb/>
Brllckner und Nenner, nochmals zu empfehlen. Das Werk ist ein Muster genauer Darstellung<lb/>
aller politischen, nationalökonomischen, geographischen und Culturverhältnisse des Herzog-<lb/>
thums. Der thüringer Wald ist jetzt der &#x201E;Sommeraufenthalt" von zahlreichen Norddeutschen<lb/>
und seiue Bevölkerung hat auch deshalb ein neues Interesse für die übrigen deutschen Stämme<lb/>
gewonnen.</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] und Witz, Kaffeewuth und Liebe zum Ort trotz ihrer weiten Schwamm- reisen aus. Ueberall ziehen die Berggipfel den Fußbewohner aus den tiefen Thälern zu sich herauf. Es liegt dieser Zug nicht blos in dem spannenden Gegensatz des Tiefen und Hohen, des räumlich Beengten und räumlich Freien, des Licht- mangels und der Lichtfülle, auch nicht blos in dem körperlich angenehmen Neiz, durch das Aufsteigen zu den Höhen und durch das Aufsaugen der er¬ frischenden Berglüste die Organe des Leibes zu spannen und zu beleben, sondern vor allem in dem poetischen Gefühl deS Menschen, das sich im sanften oder wilden Rauschen der Waldungen, im unbegrenzten Schauen ins Land hinaus, in dem mächtigen Einwirken der Naturgewalten durchschauert, gehoben und geweiht fühlt. Der Cult der Berghöhen wird darum a'uf Erden überall, namentlich da gefunden, wo der Gegensatz zwischen tief und hoch scharf aus¬ geformt ist und das Hohe vom Tiefen leicht erstiegen werden kann. Diesen Vorzug hat besonders der nordwestliche thüringer Wald, der zwischen zwei welligen Ebenen als hoher und schnell erreichbarer Damm erbaut, aus seinen luftfrischen Gipfeln nach dem deutschen Süden und Norden zugleich blicken läßt. Schon in heidnischer Zeit stiegen die Anwohner zu den Höhen des thüringer Waldes, um hier ihre Götter in Opfern und Feuern zu verehren und um von da Kräuter, in der den Göttern heiligen Zeit gesegnet, zu holen, und dies Pilgern, wenn auch mehr aus Naturdrang als aus religiösem Bedürfniß, hat sich bis jetzt erhalten. Alljährlich, besonders zur Pfingstzeit, wandern nach vielen Hoch¬ punkten die Bursche und Mädchen der zu Seiten des Gebirgs liegenden Dörfer, verbringen daselbst mit Gesang und Musik fröhliche Stunden und kehren mit grünem Laub geschmückt zu ihren Wohnungen heim. Der Insel- berg, Donneröhauk, Schneekopf und Finsterberg sind solche Punkte, die ihre alten Wallzuge in die moderne Zeit hereingerettet haben. Aber auch Touristen aus der Nähe und Ferne und Erholungsbedürftige aller Art, vorzugsweise aus Norddeutschland, beleben die comfortabel eingerichteten Punkte der thü¬ ringer Kette, wohin namentlich der Inselberg und der Schneekopf mit der Schmücke gehören.*) ") Diese Gelegenheit sei benützt, ein vortreffliches, bereits früher angezeigtes Werk: „Lan¬ des kunoe d eS Herzoge h ums Me iningc n von G. Brückn er- 3 Thle. Meiningen -I8!j->—ö3 Brllckner und Nenner, nochmals zu empfehlen. Das Werk ist ein Muster genauer Darstellung aller politischen, nationalökonomischen, geographischen und Culturverhältnisse des Herzog- thums. Der thüringer Wald ist jetzt der „Sommeraufenthalt" von zahlreichen Norddeutschen und seiue Bevölkerung hat auch deshalb ein neues Interesse für die übrigen deutschen Stämme gewonnen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/226>, abgerufen am 09.11.2024.