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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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den sind. Kommt den Fabrikanten nicht ein Stück Kartoffelfeld und eine Ziege
oder Kuh in seiner Wirthschaft zu Hilfe, was in der Regel bei den Arbeitern
in feinern Holzwaarcn statthat, so ist ihr Zustand im ganzen ein jämmerlicher.
Ihr Verdienst reicht nicht über ihre nothwendigsten Bedürfnisse des Hauses,
zumal derselbe vielfach noch durch den Cotonialwaarenabsatz der Fabrikherren
und durch die Wirthshauslagerung am Sonnabend und Sonntag und durch
wilde Spielsucht geschmälert wird. Etwas besser steht es um die Arbeiter fei¬
ner Holzwaaren, indem diese im eignen Häuslein in freier Zeit und mit der
ganzen Familie arbeiten können, auch weder an ein bestimmtes Waarendepot
gebannt, noch durch Colonialwaarenzwang gekürzt sind. Und doch langt ihr
Verdienst wegen der geringen Preise ihrer Producte und wegen der öfter stocken¬
den Absatzströmung nicht viel über das Kümmerliche des Lebens hinaus.

Wir wenden uns nun zum Nordwesttheil des thüringer Waldes. Die
Schilderung desselben muß im Vergleich zu der des Südosttheils ungleich kürzer
werden, weil ihm das geeignet hohe Gerüst zur Bildung und Pflege eines
Bergvolks fehlt.

Der Nordwestzug besitzt eine eigenthümliche, von der des südöstlichen
Waldes verschiedene Ausprägung. Wer von Nord- oder Süddeutschland her
sich demselben nähert, wird von der schönen Plastik desselben überrascht. Es
tritt ihm in scharfgezeichneten und doch weichen Umrissen eine langschmale, nach
NW. gestreckte, mit fernsichtigen, meist rundlichen Bergspitzen gekrönte, durch
einen hohen Kamm stetig geschlossene Bergkette entgegen, welche über kurze
vorgelagerte Terrassen und über dazwischen bald gebauchte, bald geschnürte
Thäler hinweg in die Platten, zwischen denen sie aufgeschossen ist, hinabschaut.
Der Gebirgskamm (Rennstieg) ist schmal, im Mittel kaum eine halbe Stunde
breit und merkwürdig wenig tiefer als die Höhen der Kette. Wer diesen
Scheitel wandelt, wird bald über Bergbuckel, bald über moorige Mulden und
Hochsattel, bald auf lichte Stellen, die nach Franken oder Thüringen lugen,
bald durch dichte Waldstriche geführt, dabei überall in Spannung erhalten und
durch Natur- und Himmelsscenen erfreut. Wol aus dem kurzen Geäst der
Kette, aus ihrer Strahlenform und aus der Structur der Köpfe, keineswegs
jedoch aus dem festen ununterbrochenen Zusammenhang des Liniengebirgs läßt
sich der furchtbare innere Kampf, den hier krystallinische und massige Gesteine
zu verschiedenen Erhebuugszeiten um die Architektonik desselben gekämpst haben,
erkennen.

Der Nordwesttheil trägt im ganzen 3--400 Fuß höhere Bergspitzen und
hat freiere Fernsichten und mehr Straßenübergänge als der Südosttheil, da¬
gegen fehlt ihm zufolge seiner Structur die ausgedehnte Rückenbildung und
damit Raum für Feld, Wohnung und Volk. Es hat sich hier das Gehänge
und der Fuß des Gebirges, nicht der Kamm desselben entwickelt und darum


den sind. Kommt den Fabrikanten nicht ein Stück Kartoffelfeld und eine Ziege
oder Kuh in seiner Wirthschaft zu Hilfe, was in der Regel bei den Arbeitern
in feinern Holzwaarcn statthat, so ist ihr Zustand im ganzen ein jämmerlicher.
Ihr Verdienst reicht nicht über ihre nothwendigsten Bedürfnisse des Hauses,
zumal derselbe vielfach noch durch den Cotonialwaarenabsatz der Fabrikherren
und durch die Wirthshauslagerung am Sonnabend und Sonntag und durch
wilde Spielsucht geschmälert wird. Etwas besser steht es um die Arbeiter fei¬
ner Holzwaaren, indem diese im eignen Häuslein in freier Zeit und mit der
ganzen Familie arbeiten können, auch weder an ein bestimmtes Waarendepot
gebannt, noch durch Colonialwaarenzwang gekürzt sind. Und doch langt ihr
Verdienst wegen der geringen Preise ihrer Producte und wegen der öfter stocken¬
den Absatzströmung nicht viel über das Kümmerliche des Lebens hinaus.

Wir wenden uns nun zum Nordwesttheil des thüringer Waldes. Die
Schilderung desselben muß im Vergleich zu der des Südosttheils ungleich kürzer
werden, weil ihm das geeignet hohe Gerüst zur Bildung und Pflege eines
Bergvolks fehlt.

Der Nordwestzug besitzt eine eigenthümliche, von der des südöstlichen
Waldes verschiedene Ausprägung. Wer von Nord- oder Süddeutschland her
sich demselben nähert, wird von der schönen Plastik desselben überrascht. Es
tritt ihm in scharfgezeichneten und doch weichen Umrissen eine langschmale, nach
NW. gestreckte, mit fernsichtigen, meist rundlichen Bergspitzen gekrönte, durch
einen hohen Kamm stetig geschlossene Bergkette entgegen, welche über kurze
vorgelagerte Terrassen und über dazwischen bald gebauchte, bald geschnürte
Thäler hinweg in die Platten, zwischen denen sie aufgeschossen ist, hinabschaut.
Der Gebirgskamm (Rennstieg) ist schmal, im Mittel kaum eine halbe Stunde
breit und merkwürdig wenig tiefer als die Höhen der Kette. Wer diesen
Scheitel wandelt, wird bald über Bergbuckel, bald über moorige Mulden und
Hochsattel, bald auf lichte Stellen, die nach Franken oder Thüringen lugen,
bald durch dichte Waldstriche geführt, dabei überall in Spannung erhalten und
durch Natur- und Himmelsscenen erfreut. Wol aus dem kurzen Geäst der
Kette, aus ihrer Strahlenform und aus der Structur der Köpfe, keineswegs
jedoch aus dem festen ununterbrochenen Zusammenhang des Liniengebirgs läßt
sich der furchtbare innere Kampf, den hier krystallinische und massige Gesteine
zu verschiedenen Erhebuugszeiten um die Architektonik desselben gekämpst haben,
erkennen.

Der Nordwesttheil trägt im ganzen 3—400 Fuß höhere Bergspitzen und
hat freiere Fernsichten und mehr Straßenübergänge als der Südosttheil, da¬
gegen fehlt ihm zufolge seiner Structur die ausgedehnte Rückenbildung und
damit Raum für Feld, Wohnung und Volk. Es hat sich hier das Gehänge
und der Fuß des Gebirges, nicht der Kamm desselben entwickelt und darum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/224>, abgerufen am 02.09.2024.