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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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ungehört, und, mit Schmerz sei es gesagt, vom größeren Theile der Nation
unverstanden; andere Organe wurden unterdrückt. Es war die Zeit, wo die
"heilige Allianz" unseligen Andenkens eben ins Leben getreten war, und die
deutschen Fürsten im besonderen im engen Anschließen an Rußland ihr Interesse
-- es war freilich kein nationales! -- zu wahren meinten.

Heute nun, nachdem vierzig Jahre darüber vergangen, Nußland durch
unerhörte Frevel gegen Völkerrecht und Verträge sich die europäische Acht ver¬
dient und im Vertrauen aus den Anschluß der deutschen Mächte, aber auch
ohne diesen deS Sieges gewiß, England und Frankreich ihm den Krieg erklärt
haben, -- heute verkünden, wenn nicht dieselben Männer, so doch die Partei¬
genossen und Nachkommen derer, welche die Ueberlassung Polens an Nußland
damals sür durchaus unverfänglich hielten, eben diesen Besitz in russischer Hand
sür ein so starkes Bollwerk des Zarenreiches, daß an einen Angriff von dieser
Seite her nicht gedacht werden könne, ja daß man bei der Nähe der russischen
Grenze an Breslau und selbst an Berlin einen östlichen Krieg am meisten ver¬
meiden müsse.

Heißt ein solches Eingeständniß nicht diejenigen des Hochverraths zeihen,
welche die Congreßacte unterschrieben, und zwar um so mehr, wenn die uns von
Russisch-Polen her drohenden Gefahren erst seit Ausbau der dortigen grandiosen
Festungen ihren Anfang genommen haben? Wäre es nicht unter solchen Um¬
ständen Pflicht der Rathgeber sowol der preußischen als östreichischen Krone
gewesen, auf einen Krieg bis zum letzten Mann um diesen Besitz zu dringen,
und eher die Wiederaufrichtung Polens zu proclamiren, als in den Anfall
seines Haupttheils an Nußland zu willigen?!

Es ist wahr, Kaiser Nikolaus hat durch ein weit ausgedehntes Chaussee¬
netz und ein noch großartigeres von festen Plätzen sich eine wunderbar trefflich
gelegene Basis für Defensiv- und Ossensivoperationen in Polen geschaffen. Das
starke Lowicz ist weit gegen Posen vorgeschoben und deckt Warschau wie ein
Schild gegen den Stoß von Westen her, indeß nur dann, wenn sich in jener
Festung eine starke und wohlgeführte Besatzung befindet. Das Führertalent,
welches an der Donau russischerseits producirt worden, wird indeß schwerlich
ausreichen, um eine von der Warthe aus gegen Osten vperirende preußische
Armee vor Lowicz zum Stillstehen zu bringen. Man läßt ein gleich starkes
oder auch nur annähernd dieselbe Stärke erreichendes Corps vor seinen Mauern,
nicht um sie einzuschließen, sondern nur mit der Bestimmung: sie zu beobachten,
zurück: voila Wut! Der Rest der Armee geht weiter.

Es ist nicht abzusehen, daß man bei dem Mangel an aller strategischen
Combinationsgabe russischerseits genöthigt sein sollte, gegen Motum und Jwan-
gorod, gegen Sierock und die Alerandercitadelle nebst Praga anders zu ver¬
fahren. Zamoscz endlich wird man kaum mit einem Beobachtungscorps be-


ungehört, und, mit Schmerz sei es gesagt, vom größeren Theile der Nation
unverstanden; andere Organe wurden unterdrückt. Es war die Zeit, wo die
„heilige Allianz" unseligen Andenkens eben ins Leben getreten war, und die
deutschen Fürsten im besonderen im engen Anschließen an Rußland ihr Interesse
— es war freilich kein nationales! — zu wahren meinten.

Heute nun, nachdem vierzig Jahre darüber vergangen, Nußland durch
unerhörte Frevel gegen Völkerrecht und Verträge sich die europäische Acht ver¬
dient und im Vertrauen aus den Anschluß der deutschen Mächte, aber auch
ohne diesen deS Sieges gewiß, England und Frankreich ihm den Krieg erklärt
haben, — heute verkünden, wenn nicht dieselben Männer, so doch die Partei¬
genossen und Nachkommen derer, welche die Ueberlassung Polens an Nußland
damals sür durchaus unverfänglich hielten, eben diesen Besitz in russischer Hand
sür ein so starkes Bollwerk des Zarenreiches, daß an einen Angriff von dieser
Seite her nicht gedacht werden könne, ja daß man bei der Nähe der russischen
Grenze an Breslau und selbst an Berlin einen östlichen Krieg am meisten ver¬
meiden müsse.

Heißt ein solches Eingeständniß nicht diejenigen des Hochverraths zeihen,
welche die Congreßacte unterschrieben, und zwar um so mehr, wenn die uns von
Russisch-Polen her drohenden Gefahren erst seit Ausbau der dortigen grandiosen
Festungen ihren Anfang genommen haben? Wäre es nicht unter solchen Um¬
ständen Pflicht der Rathgeber sowol der preußischen als östreichischen Krone
gewesen, auf einen Krieg bis zum letzten Mann um diesen Besitz zu dringen,
und eher die Wiederaufrichtung Polens zu proclamiren, als in den Anfall
seines Haupttheils an Nußland zu willigen?!

Es ist wahr, Kaiser Nikolaus hat durch ein weit ausgedehntes Chaussee¬
netz und ein noch großartigeres von festen Plätzen sich eine wunderbar trefflich
gelegene Basis für Defensiv- und Ossensivoperationen in Polen geschaffen. Das
starke Lowicz ist weit gegen Posen vorgeschoben und deckt Warschau wie ein
Schild gegen den Stoß von Westen her, indeß nur dann, wenn sich in jener
Festung eine starke und wohlgeführte Besatzung befindet. Das Führertalent,
welches an der Donau russischerseits producirt worden, wird indeß schwerlich
ausreichen, um eine von der Warthe aus gegen Osten vperirende preußische
Armee vor Lowicz zum Stillstehen zu bringen. Man läßt ein gleich starkes
oder auch nur annähernd dieselbe Stärke erreichendes Corps vor seinen Mauern,
nicht um sie einzuschließen, sondern nur mit der Bestimmung: sie zu beobachten,
zurück: voila Wut! Der Rest der Armee geht weiter.

Es ist nicht abzusehen, daß man bei dem Mangel an aller strategischen
Combinationsgabe russischerseits genöthigt sein sollte, gegen Motum und Jwan-
gorod, gegen Sierock und die Alerandercitadelle nebst Praga anders zu ver¬
fahren. Zamoscz endlich wird man kaum mit einem Beobachtungscorps be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/182>, abgerufen am 27.07.2024.