Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sein Gesicht strahlte vor Vergnügen, als er mit der Grandezza eines Ober¬
ceremonienmeisters an uns herantrat und fragte, ob nun der Ball beginnen solle.
Wir geruhten nicht nur dieses, sondern auch zu erlauben, daß alle Kinder des
Hauses und wer da überhaupt wolle, das seltene Vergnügen ungenirt theilen
solle. Die Tänzerinnen waren einfache Landmädchen ohne Pariser rauschende
Robe und funkelnde Steingehänge, ihr einziger Schmuck war ihre Frische, ihre
Natürlichkeit und der Glanz, den diese königliche Freude über ihre Gesichter
verbreitet hatte. Als Hauptbeautv muß ich die Enkelnichte des Hauses, die
-16jährige Jeannctte erwähnen; sie hatte so große Augen, aus deren bläulichem
Weiß die dunklen Sterne blitzten, so scharfe schwarze Brauen, so herrliches
Haar und so schöne Formen, daß man einen jener spanischen Frauenköpfe
Murillos vor sich zu sehen glaubte. Alle Damen waren starke Brünetten, doch
die Feinheit ihrer Haut untadelhaft. Trotz ihrer Neugierde und ihres Strebens,
mit den fremden Reisenden zu tanzen, blieben sie anfangs ein wenig schüchtern,
obgleich höchst ungezwungen, aber sie tanzten meist mit reizenden Bewegungen
und machten aufs gewissenhafteste alle Pas. Waren nun unsere Damen auch
etwas mädchenhaft zurückhaltend, so hatten sie doch das Erbtheil der Franzö¬
sinnen, sie waren graziös und amüsant. Die Tanzordnung bestand fast nur in
Contrclänzen, zwischen die eine Polka und Bolero eingelegt waren.' Was sowol die
Musik, als die Tanzenden unter Polka verstanden, blieb uns ziemlich räthselhaft;
mir schien es irgend eine Vvlksmelodie, nach der man rücksichtslos eine Art von
Zweitritt tanzte. Schon in den Contretänzen wurden wir mit Erstaunen betrach¬
tet; während ich mit der größten Ruhe, echt norddeutsch, meine Touren abging,
versuchte sich Freund L., die Daumen in den Aermelausschnitten der Weste, das
Lorgnon eingekniffen, in den abenteuerlichsten Sprüngen, doch da wir aus
Paris kamen, so glaubte man unfehlbar an unsre Autorität und daß dies
alles so modern sei. Als jedoch Bolero getanzt wurde, der nur in schwingen¬
den Bewegungen der Arme und des Oberkörpers besteht und eine große Anlage
und Uebung erfordert, schlug die rücksichtsvolle Stimmung erst allmälig, dann
bei den Damen ganz um. Aus dem Kichern wurde lautes Lachen, in das
wir herzlich einstimmten, die Mädchen verloren alle Fassung und mußten Stühle
suchen, auch wir konnten nicht mehr weiter tanzen, nur der alte dicke Bernard
behauptete das Feld und indem er einen spanischen Gesang anstimmte und mit
den Fingern den Ton der Castagnetten nachahmte, attaquirte er alles im Saale
mit seinen Bewegungen und Blicken, bis wir ihn fast gewaltsam zum Aufhören
brachten. Der Ball konnte absolut nicht fortgesetzt werden, mehre Versuche
endeten mit erneuten Lachparorysmen und da es außerdem zehn Uhr vorüber
war, so schlössen wir unter lauten Danksagungen von allen Seiten das Fest,
was die Musik ihrerseits durch einen ohrenzerreißenden dreimaligen Tusch und
die Sängergescllschaft durch ein baskisches Lied that. Das Wunderbarste von


sein Gesicht strahlte vor Vergnügen, als er mit der Grandezza eines Ober¬
ceremonienmeisters an uns herantrat und fragte, ob nun der Ball beginnen solle.
Wir geruhten nicht nur dieses, sondern auch zu erlauben, daß alle Kinder des
Hauses und wer da überhaupt wolle, das seltene Vergnügen ungenirt theilen
solle. Die Tänzerinnen waren einfache Landmädchen ohne Pariser rauschende
Robe und funkelnde Steingehänge, ihr einziger Schmuck war ihre Frische, ihre
Natürlichkeit und der Glanz, den diese königliche Freude über ihre Gesichter
verbreitet hatte. Als Hauptbeautv muß ich die Enkelnichte des Hauses, die
-16jährige Jeannctte erwähnen; sie hatte so große Augen, aus deren bläulichem
Weiß die dunklen Sterne blitzten, so scharfe schwarze Brauen, so herrliches
Haar und so schöne Formen, daß man einen jener spanischen Frauenköpfe
Murillos vor sich zu sehen glaubte. Alle Damen waren starke Brünetten, doch
die Feinheit ihrer Haut untadelhaft. Trotz ihrer Neugierde und ihres Strebens,
mit den fremden Reisenden zu tanzen, blieben sie anfangs ein wenig schüchtern,
obgleich höchst ungezwungen, aber sie tanzten meist mit reizenden Bewegungen
und machten aufs gewissenhafteste alle Pas. Waren nun unsere Damen auch
etwas mädchenhaft zurückhaltend, so hatten sie doch das Erbtheil der Franzö¬
sinnen, sie waren graziös und amüsant. Die Tanzordnung bestand fast nur in
Contrclänzen, zwischen die eine Polka und Bolero eingelegt waren.' Was sowol die
Musik, als die Tanzenden unter Polka verstanden, blieb uns ziemlich räthselhaft;
mir schien es irgend eine Vvlksmelodie, nach der man rücksichtslos eine Art von
Zweitritt tanzte. Schon in den Contretänzen wurden wir mit Erstaunen betrach¬
tet; während ich mit der größten Ruhe, echt norddeutsch, meine Touren abging,
versuchte sich Freund L., die Daumen in den Aermelausschnitten der Weste, das
Lorgnon eingekniffen, in den abenteuerlichsten Sprüngen, doch da wir aus
Paris kamen, so glaubte man unfehlbar an unsre Autorität und daß dies
alles so modern sei. Als jedoch Bolero getanzt wurde, der nur in schwingen¬
den Bewegungen der Arme und des Oberkörpers besteht und eine große Anlage
und Uebung erfordert, schlug die rücksichtsvolle Stimmung erst allmälig, dann
bei den Damen ganz um. Aus dem Kichern wurde lautes Lachen, in das
wir herzlich einstimmten, die Mädchen verloren alle Fassung und mußten Stühle
suchen, auch wir konnten nicht mehr weiter tanzen, nur der alte dicke Bernard
behauptete das Feld und indem er einen spanischen Gesang anstimmte und mit
den Fingern den Ton der Castagnetten nachahmte, attaquirte er alles im Saale
mit seinen Bewegungen und Blicken, bis wir ihn fast gewaltsam zum Aufhören
brachten. Der Ball konnte absolut nicht fortgesetzt werden, mehre Versuche
endeten mit erneuten Lachparorysmen und da es außerdem zehn Uhr vorüber
war, so schlössen wir unter lauten Danksagungen von allen Seiten das Fest,
was die Musik ihrerseits durch einen ohrenzerreißenden dreimaligen Tusch und
die Sängergescllschaft durch ein baskisches Lied that. Das Wunderbarste von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281331"/>
            <p xml:id="ID_549" prev="#ID_548" next="#ID_550"> sein Gesicht strahlte vor Vergnügen, als er mit der Grandezza eines Ober¬<lb/>
ceremonienmeisters an uns herantrat und fragte, ob nun der Ball beginnen solle.<lb/>
Wir geruhten nicht nur dieses, sondern auch zu erlauben, daß alle Kinder des<lb/>
Hauses und wer da überhaupt wolle, das seltene Vergnügen ungenirt theilen<lb/>
solle. Die Tänzerinnen waren einfache Landmädchen ohne Pariser rauschende<lb/>
Robe und funkelnde Steingehänge, ihr einziger Schmuck war ihre Frische, ihre<lb/>
Natürlichkeit und der Glanz, den diese königliche Freude über ihre Gesichter<lb/>
verbreitet hatte. Als Hauptbeautv muß ich die Enkelnichte des Hauses, die<lb/>
-16jährige Jeannctte erwähnen; sie hatte so große Augen, aus deren bläulichem<lb/>
Weiß die dunklen Sterne blitzten, so scharfe schwarze Brauen, so herrliches<lb/>
Haar und so schöne Formen, daß man einen jener spanischen Frauenköpfe<lb/>
Murillos vor sich zu sehen glaubte. Alle Damen waren starke Brünetten, doch<lb/>
die Feinheit ihrer Haut untadelhaft. Trotz ihrer Neugierde und ihres Strebens,<lb/>
mit den fremden Reisenden zu tanzen, blieben sie anfangs ein wenig schüchtern,<lb/>
obgleich höchst ungezwungen, aber sie tanzten meist mit reizenden Bewegungen<lb/>
und machten aufs gewissenhafteste alle Pas. Waren nun unsere Damen auch<lb/>
etwas mädchenhaft zurückhaltend, so hatten sie doch das Erbtheil der Franzö¬<lb/>
sinnen, sie waren graziös und amüsant. Die Tanzordnung bestand fast nur in<lb/>
Contrclänzen, zwischen die eine Polka und Bolero eingelegt waren.' Was sowol die<lb/>
Musik, als die Tanzenden unter Polka verstanden, blieb uns ziemlich räthselhaft;<lb/>
mir schien es irgend eine Vvlksmelodie, nach der man rücksichtslos eine Art von<lb/>
Zweitritt tanzte. Schon in den Contretänzen wurden wir mit Erstaunen betrach¬<lb/>
tet; während ich mit der größten Ruhe, echt norddeutsch, meine Touren abging,<lb/>
versuchte sich Freund L., die Daumen in den Aermelausschnitten der Weste, das<lb/>
Lorgnon eingekniffen, in den abenteuerlichsten Sprüngen, doch da wir aus<lb/>
Paris kamen, so glaubte man unfehlbar an unsre Autorität und daß dies<lb/>
alles so modern sei. Als jedoch Bolero getanzt wurde, der nur in schwingen¬<lb/>
den Bewegungen der Arme und des Oberkörpers besteht und eine große Anlage<lb/>
und Uebung erfordert, schlug die rücksichtsvolle Stimmung erst allmälig, dann<lb/>
bei den Damen ganz um. Aus dem Kichern wurde lautes Lachen, in das<lb/>
wir herzlich einstimmten, die Mädchen verloren alle Fassung und mußten Stühle<lb/>
suchen, auch wir konnten nicht mehr weiter tanzen, nur der alte dicke Bernard<lb/>
behauptete das Feld und indem er einen spanischen Gesang anstimmte und mit<lb/>
den Fingern den Ton der Castagnetten nachahmte, attaquirte er alles im Saale<lb/>
mit seinen Bewegungen und Blicken, bis wir ihn fast gewaltsam zum Aufhören<lb/>
brachten. Der Ball konnte absolut nicht fortgesetzt werden, mehre Versuche<lb/>
endeten mit erneuten Lachparorysmen und da es außerdem zehn Uhr vorüber<lb/>
war, so schlössen wir unter lauten Danksagungen von allen Seiten das Fest,<lb/>
was die Musik ihrerseits durch einen ohrenzerreißenden dreimaligen Tusch und<lb/>
die Sängergescllschaft durch ein baskisches Lied that. Das Wunderbarste von</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] sein Gesicht strahlte vor Vergnügen, als er mit der Grandezza eines Ober¬ ceremonienmeisters an uns herantrat und fragte, ob nun der Ball beginnen solle. Wir geruhten nicht nur dieses, sondern auch zu erlauben, daß alle Kinder des Hauses und wer da überhaupt wolle, das seltene Vergnügen ungenirt theilen solle. Die Tänzerinnen waren einfache Landmädchen ohne Pariser rauschende Robe und funkelnde Steingehänge, ihr einziger Schmuck war ihre Frische, ihre Natürlichkeit und der Glanz, den diese königliche Freude über ihre Gesichter verbreitet hatte. Als Hauptbeautv muß ich die Enkelnichte des Hauses, die -16jährige Jeannctte erwähnen; sie hatte so große Augen, aus deren bläulichem Weiß die dunklen Sterne blitzten, so scharfe schwarze Brauen, so herrliches Haar und so schöne Formen, daß man einen jener spanischen Frauenköpfe Murillos vor sich zu sehen glaubte. Alle Damen waren starke Brünetten, doch die Feinheit ihrer Haut untadelhaft. Trotz ihrer Neugierde und ihres Strebens, mit den fremden Reisenden zu tanzen, blieben sie anfangs ein wenig schüchtern, obgleich höchst ungezwungen, aber sie tanzten meist mit reizenden Bewegungen und machten aufs gewissenhafteste alle Pas. Waren nun unsere Damen auch etwas mädchenhaft zurückhaltend, so hatten sie doch das Erbtheil der Franzö¬ sinnen, sie waren graziös und amüsant. Die Tanzordnung bestand fast nur in Contrclänzen, zwischen die eine Polka und Bolero eingelegt waren.' Was sowol die Musik, als die Tanzenden unter Polka verstanden, blieb uns ziemlich räthselhaft; mir schien es irgend eine Vvlksmelodie, nach der man rücksichtslos eine Art von Zweitritt tanzte. Schon in den Contretänzen wurden wir mit Erstaunen betrach¬ tet; während ich mit der größten Ruhe, echt norddeutsch, meine Touren abging, versuchte sich Freund L., die Daumen in den Aermelausschnitten der Weste, das Lorgnon eingekniffen, in den abenteuerlichsten Sprüngen, doch da wir aus Paris kamen, so glaubte man unfehlbar an unsre Autorität und daß dies alles so modern sei. Als jedoch Bolero getanzt wurde, der nur in schwingen¬ den Bewegungen der Arme und des Oberkörpers besteht und eine große Anlage und Uebung erfordert, schlug die rücksichtsvolle Stimmung erst allmälig, dann bei den Damen ganz um. Aus dem Kichern wurde lautes Lachen, in das wir herzlich einstimmten, die Mädchen verloren alle Fassung und mußten Stühle suchen, auch wir konnten nicht mehr weiter tanzen, nur der alte dicke Bernard behauptete das Feld und indem er einen spanischen Gesang anstimmte und mit den Fingern den Ton der Castagnetten nachahmte, attaquirte er alles im Saale mit seinen Bewegungen und Blicken, bis wir ihn fast gewaltsam zum Aufhören brachten. Der Ball konnte absolut nicht fortgesetzt werden, mehre Versuche endeten mit erneuten Lachparorysmen und da es außerdem zehn Uhr vorüber war, so schlössen wir unter lauten Danksagungen von allen Seiten das Fest, was die Musik ihrerseits durch einen ohrenzerreißenden dreimaligen Tusch und die Sängergescllschaft durch ein baskisches Lied that. Das Wunderbarste von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/180
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/180>, abgerufen am 09.11.2024.