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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Felsen abgewonnen, eine süperbe Chaussee, und führt stundenlang in einer engen
tiefen Wald- und- Felsenschlucht fort. Es mag an wildromantischer Schönheit
wenig seines Gleichen haben. Man fährt fortwährend bergan, zur einen Seite
deS Weges die ausgehauene Felswand, in deren feuchten Ritzen Alpenblumen
und Ericen sich reichlich angesiedelt haben, zur andren meist eine wenig Fuß hohe
aus dem Flußbette aufgeführte Mauer. Vom Wagen aus sieht man oft das
Wasser nicht, sondern hört es nur in der tiefen, mit Buchsbaum und Jler-
büschen dunkelgrün bekleideten Schlucht rauschen. Das gegenüberliegende
Ufer erhebt sich steil und felsig, nur mit wenig Gestrüpp bekleidet zu kolossaler
Höhe, wo es sich dann meist abflacht und mit einzelnen Waldungen bedeckt zu
Kuppen ausläuft; dazu kommt eine seltene Menge von Wasserfallen von wunder¬
voller Schönheit. Es dämmerte schon, als wir uns Luz näherten, das matte
Mondlicht ließ uns die Umgebungen doppelt grotesk erscheinen, hoch oben in
den Wäldern sahen wir einzelne Feuer aufleuchten, alles lag in tiefer Stille
und auch wir, ganz umfangen von dem magischen Eindruck, brachen, wie aus
einem Traum erwachend, erst unser Schweigen, als plötzlich ein kleines Hoch¬
plateau und Luz und damit die bis dahin versteckten Piks der Centralkette vor
uns lagen.

Wir waren die ersten Fremden, die die Saison eröffneten und wurden, wie
die ersten Schwalben, mit herzlicher Freude begrüßt. Luz liegt in den Bergen
ganz vermauert; ein Paar der riesigen, mit Schnee bedeckten Piks setzen den
felsigen Fuß gradezu in das Thal und auch die andern Abhänge ringsum
fallen meist steil wie Mauern in das frische Grün der Wiesen dieses Plateaus.
Wir blieben in Luz 6 Tage und wenn ich auch gern zugeben will, daß es wie
Richard sagt, ein erbärmliches Nest ist, so muß ich doch anderseits dem Hotel
der Madame Cazaur nachsagen, daß man darin so gut aufgehoben ist wie
irgendwo in Paris. Luz, das nahe Se. Sauveur und Baregeö, leben nur von
Fremden und man bietet alles auf, diese gut und herzlich zu empfangen. Die
Familie Louis Philipps zog sich regelmäßig in diese reizende Einsamkeit zurück
und eine Menge Erinnerungen an sie leben in kleinen Monumenten, den
Namen der Häuser :c. fort. Von dem Pferde,, das ich zu meinen Gebirgs-
touren miethete, behauptete man, die Herzogin von Orleans habe es früher regel¬
mäßig geritten. Merkwürdigerweise hat auch die Königin Hortense hier
mehre Sommer verbracht. Unsre kleinen Spaziergänge galten ein paar nahen
Ruinen, von denen die eine aus der Zeit der Mauren, die andere von den
Templern herstammen soll und von wo aus man die Gletscherfelder des Pic
Nvonvieille dicht vor sich liegen sieht. Wir wurden bald überall wie alte Be¬
kannte begrüßt. Die Weiber tragen hier eine eigenthümliche Kopfbedeckung,
das Capalet, ein scharlachrothes, schwarz eingefaßtes Tuch, das lose bis fast
an die Ellenbogen herabfällt, die Männer weite Filzmäntel mit Kapuze und


Felsen abgewonnen, eine süperbe Chaussee, und führt stundenlang in einer engen
tiefen Wald- und- Felsenschlucht fort. Es mag an wildromantischer Schönheit
wenig seines Gleichen haben. Man fährt fortwährend bergan, zur einen Seite
deS Weges die ausgehauene Felswand, in deren feuchten Ritzen Alpenblumen
und Ericen sich reichlich angesiedelt haben, zur andren meist eine wenig Fuß hohe
aus dem Flußbette aufgeführte Mauer. Vom Wagen aus sieht man oft das
Wasser nicht, sondern hört es nur in der tiefen, mit Buchsbaum und Jler-
büschen dunkelgrün bekleideten Schlucht rauschen. Das gegenüberliegende
Ufer erhebt sich steil und felsig, nur mit wenig Gestrüpp bekleidet zu kolossaler
Höhe, wo es sich dann meist abflacht und mit einzelnen Waldungen bedeckt zu
Kuppen ausläuft; dazu kommt eine seltene Menge von Wasserfallen von wunder¬
voller Schönheit. Es dämmerte schon, als wir uns Luz näherten, das matte
Mondlicht ließ uns die Umgebungen doppelt grotesk erscheinen, hoch oben in
den Wäldern sahen wir einzelne Feuer aufleuchten, alles lag in tiefer Stille
und auch wir, ganz umfangen von dem magischen Eindruck, brachen, wie aus
einem Traum erwachend, erst unser Schweigen, als plötzlich ein kleines Hoch¬
plateau und Luz und damit die bis dahin versteckten Piks der Centralkette vor
uns lagen.

Wir waren die ersten Fremden, die die Saison eröffneten und wurden, wie
die ersten Schwalben, mit herzlicher Freude begrüßt. Luz liegt in den Bergen
ganz vermauert; ein Paar der riesigen, mit Schnee bedeckten Piks setzen den
felsigen Fuß gradezu in das Thal und auch die andern Abhänge ringsum
fallen meist steil wie Mauern in das frische Grün der Wiesen dieses Plateaus.
Wir blieben in Luz 6 Tage und wenn ich auch gern zugeben will, daß es wie
Richard sagt, ein erbärmliches Nest ist, so muß ich doch anderseits dem Hotel
der Madame Cazaur nachsagen, daß man darin so gut aufgehoben ist wie
irgendwo in Paris. Luz, das nahe Se. Sauveur und Baregeö, leben nur von
Fremden und man bietet alles auf, diese gut und herzlich zu empfangen. Die
Familie Louis Philipps zog sich regelmäßig in diese reizende Einsamkeit zurück
und eine Menge Erinnerungen an sie leben in kleinen Monumenten, den
Namen der Häuser :c. fort. Von dem Pferde,, das ich zu meinen Gebirgs-
touren miethete, behauptete man, die Herzogin von Orleans habe es früher regel¬
mäßig geritten. Merkwürdigerweise hat auch die Königin Hortense hier
mehre Sommer verbracht. Unsre kleinen Spaziergänge galten ein paar nahen
Ruinen, von denen die eine aus der Zeit der Mauren, die andere von den
Templern herstammen soll und von wo aus man die Gletscherfelder des Pic
Nvonvieille dicht vor sich liegen sieht. Wir wurden bald überall wie alte Be¬
kannte begrüßt. Die Weiber tragen hier eine eigenthümliche Kopfbedeckung,
das Capalet, ein scharlachrothes, schwarz eingefaßtes Tuch, das lose bis fast
an die Ellenbogen herabfällt, die Männer weite Filzmäntel mit Kapuze und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/178>, abgerufen am 27.07.2024.