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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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seinem Hauch und inmitten der Baumkronen verdorrt das Laub an den Zwei¬
gen' ?eLk sonoe-K tsenisak rufen an solchen Tagen die Türken aus (sehr,
sehr heiß!), lüften dann und wann das Fez im Zimmer, und lassen den
Schwarzen mit dem Fliegenwedel am Fuß des Divans niederknien. So wenig
die Häuser in Hinsicht auf ihre Bauart darauf berechnet sind, den Unbilden
des Winters zu widerstehen, so sehr kommt ihnen dieselbe zu statten, um den
Sommer mit seiner Hitze in den kleinen Zimmern, die außerdem meistens niedrig
sind, erträglich zu machen. Die meisten türkischen Wohnungen bestehen nur
aus zwei Stockwerken, und das obere ist nicht in derselben Front mit dem un¬
teren geführt, dergestalt, daß es entweder vor- oder zurückspringt. Jede Ge¬
legenheit, um Ecken und Absätze zu gewinnen, hat man benutzt, und keiner
findet sich vor, aus dem man nicht den Vortheil gezogen, ein Fenster mit an¬
ders wie die der übrigen gewendeter Aussicht zu gewinnen. Daher der Um¬
stand, daß nirgends, auch in den Häusern der engsten Gassen nicht, Ge¬
legenheit fehlt, um einen frischen Zugwind zu gewinnen. Es sind diese
Ecken, die man im Türkischen Kiosk (Köschk) nennt. Je schmaler und vor¬
springender eine solche ist, je mehr Fenster und weniger Wandfläche sie bietet,
desto behaglicher kommt sie dem Osmanen vor. Niemals wird derselbe eS ver¬
säumen, eine Verlängerung des Divans hineinspringen zu lassen.

Die Peroten, welche ungern den Türken nachahmen und es lieben, vor
ihnen etwas voraus zu haben, ohne daß sie dadurch auf die Annehmlichkeiten
verzichten müssen, welche die Befolgung des gegebenen Beispiels mit sich bringen
würde, ersetzten schon frühzeitig das türkische Eckzimmer (Kiosk, Köschk) durch
das Erkergemach. Man baut diese Erker hier nicht, wie zumeist bei uns, auf
den Ecken der Häuser, sondern vor deren Fronten aufspringend, wodurch es
denn geschieht, daß ein Nachbar dem andern wiederum das an Aussicht entzieht,
was jener durch den Vorsprung gewonnen haben würde. In der großen Pera-
straße sind die meisten Erker schlecht arrangirt, und von so bedenklicher, ange¬
zweifelter Stabilität, daß man beim Wohnungsmiethen von den Wirthen der
Häuser ermahnt wird, höchstens nur zwei Personen den gleichzeitigen Zutritt
zu dem Vorbau zu gestatten! Vor mehren Jahren ereignete es sich, daß in
dem Augenblicke, wo der Sultan durch die grande Rue ritt, ein mit Damen be¬
setzter Erker zu wanken begann und nicht weit von dem Padischah niederstürzte.
Die jungen Mädchen und Frauen hatten noch Zeit gehabt, sich vor dem Fall
in die Tiefe zu retten.

Indem ich dies niederschrieb, machte man mich darauf aufmerksam, daß
der Padischah auf dem Wege von Dolma Bagdsche her im Anzüge sei, und
ehestens dicht am Hause vorüberkommen werde. Sofort nahm ich den Opern¬
gucker zur Hand und postirte mich hinter die Jalousie eines der Fenster, die
der fraglichen Gegend zugewendet sind. Seine Majestät war noch sehr weit.


seinem Hauch und inmitten der Baumkronen verdorrt das Laub an den Zwei¬
gen' ?eLk sonoe-K tsenisak rufen an solchen Tagen die Türken aus (sehr,
sehr heiß!), lüften dann und wann das Fez im Zimmer, und lassen den
Schwarzen mit dem Fliegenwedel am Fuß des Divans niederknien. So wenig
die Häuser in Hinsicht auf ihre Bauart darauf berechnet sind, den Unbilden
des Winters zu widerstehen, so sehr kommt ihnen dieselbe zu statten, um den
Sommer mit seiner Hitze in den kleinen Zimmern, die außerdem meistens niedrig
sind, erträglich zu machen. Die meisten türkischen Wohnungen bestehen nur
aus zwei Stockwerken, und das obere ist nicht in derselben Front mit dem un¬
teren geführt, dergestalt, daß es entweder vor- oder zurückspringt. Jede Ge¬
legenheit, um Ecken und Absätze zu gewinnen, hat man benutzt, und keiner
findet sich vor, aus dem man nicht den Vortheil gezogen, ein Fenster mit an¬
ders wie die der übrigen gewendeter Aussicht zu gewinnen. Daher der Um¬
stand, daß nirgends, auch in den Häusern der engsten Gassen nicht, Ge¬
legenheit fehlt, um einen frischen Zugwind zu gewinnen. Es sind diese
Ecken, die man im Türkischen Kiosk (Köschk) nennt. Je schmaler und vor¬
springender eine solche ist, je mehr Fenster und weniger Wandfläche sie bietet,
desto behaglicher kommt sie dem Osmanen vor. Niemals wird derselbe eS ver¬
säumen, eine Verlängerung des Divans hineinspringen zu lassen.

Die Peroten, welche ungern den Türken nachahmen und es lieben, vor
ihnen etwas voraus zu haben, ohne daß sie dadurch auf die Annehmlichkeiten
verzichten müssen, welche die Befolgung des gegebenen Beispiels mit sich bringen
würde, ersetzten schon frühzeitig das türkische Eckzimmer (Kiosk, Köschk) durch
das Erkergemach. Man baut diese Erker hier nicht, wie zumeist bei uns, auf
den Ecken der Häuser, sondern vor deren Fronten aufspringend, wodurch es
denn geschieht, daß ein Nachbar dem andern wiederum das an Aussicht entzieht,
was jener durch den Vorsprung gewonnen haben würde. In der großen Pera-
straße sind die meisten Erker schlecht arrangirt, und von so bedenklicher, ange¬
zweifelter Stabilität, daß man beim Wohnungsmiethen von den Wirthen der
Häuser ermahnt wird, höchstens nur zwei Personen den gleichzeitigen Zutritt
zu dem Vorbau zu gestatten! Vor mehren Jahren ereignete es sich, daß in
dem Augenblicke, wo der Sultan durch die grande Rue ritt, ein mit Damen be¬
setzter Erker zu wanken begann und nicht weit von dem Padischah niederstürzte.
Die jungen Mädchen und Frauen hatten noch Zeit gehabt, sich vor dem Fall
in die Tiefe zu retten.

Indem ich dies niederschrieb, machte man mich darauf aufmerksam, daß
der Padischah auf dem Wege von Dolma Bagdsche her im Anzüge sei, und
ehestens dicht am Hause vorüberkommen werde. Sofort nahm ich den Opern¬
gucker zur Hand und postirte mich hinter die Jalousie eines der Fenster, die
der fraglichen Gegend zugewendet sind. Seine Majestät war noch sehr weit.


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[0156] seinem Hauch und inmitten der Baumkronen verdorrt das Laub an den Zwei¬ gen' ?eLk sonoe-K tsenisak rufen an solchen Tagen die Türken aus (sehr, sehr heiß!), lüften dann und wann das Fez im Zimmer, und lassen den Schwarzen mit dem Fliegenwedel am Fuß des Divans niederknien. So wenig die Häuser in Hinsicht auf ihre Bauart darauf berechnet sind, den Unbilden des Winters zu widerstehen, so sehr kommt ihnen dieselbe zu statten, um den Sommer mit seiner Hitze in den kleinen Zimmern, die außerdem meistens niedrig sind, erträglich zu machen. Die meisten türkischen Wohnungen bestehen nur aus zwei Stockwerken, und das obere ist nicht in derselben Front mit dem un¬ teren geführt, dergestalt, daß es entweder vor- oder zurückspringt. Jede Ge¬ legenheit, um Ecken und Absätze zu gewinnen, hat man benutzt, und keiner findet sich vor, aus dem man nicht den Vortheil gezogen, ein Fenster mit an¬ ders wie die der übrigen gewendeter Aussicht zu gewinnen. Daher der Um¬ stand, daß nirgends, auch in den Häusern der engsten Gassen nicht, Ge¬ legenheit fehlt, um einen frischen Zugwind zu gewinnen. Es sind diese Ecken, die man im Türkischen Kiosk (Köschk) nennt. Je schmaler und vor¬ springender eine solche ist, je mehr Fenster und weniger Wandfläche sie bietet, desto behaglicher kommt sie dem Osmanen vor. Niemals wird derselbe eS ver¬ säumen, eine Verlängerung des Divans hineinspringen zu lassen. Die Peroten, welche ungern den Türken nachahmen und es lieben, vor ihnen etwas voraus zu haben, ohne daß sie dadurch auf die Annehmlichkeiten verzichten müssen, welche die Befolgung des gegebenen Beispiels mit sich bringen würde, ersetzten schon frühzeitig das türkische Eckzimmer (Kiosk, Köschk) durch das Erkergemach. Man baut diese Erker hier nicht, wie zumeist bei uns, auf den Ecken der Häuser, sondern vor deren Fronten aufspringend, wodurch es denn geschieht, daß ein Nachbar dem andern wiederum das an Aussicht entzieht, was jener durch den Vorsprung gewonnen haben würde. In der großen Pera- straße sind die meisten Erker schlecht arrangirt, und von so bedenklicher, ange¬ zweifelter Stabilität, daß man beim Wohnungsmiethen von den Wirthen der Häuser ermahnt wird, höchstens nur zwei Personen den gleichzeitigen Zutritt zu dem Vorbau zu gestatten! Vor mehren Jahren ereignete es sich, daß in dem Augenblicke, wo der Sultan durch die grande Rue ritt, ein mit Damen be¬ setzter Erker zu wanken begann und nicht weit von dem Padischah niederstürzte. Die jungen Mädchen und Frauen hatten noch Zeit gehabt, sich vor dem Fall in die Tiefe zu retten. Indem ich dies niederschrieb, machte man mich darauf aufmerksam, daß der Padischah auf dem Wege von Dolma Bagdsche her im Anzüge sei, und ehestens dicht am Hause vorüberkommen werde. Sofort nahm ich den Opern¬ gucker zur Hand und postirte mich hinter die Jalousie eines der Fenster, die der fraglichen Gegend zugewendet sind. Seine Majestät war noch sehr weit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/156>, abgerufen am 01.09.2024.