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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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darum auch eben wieder pittoresken Skutari, mit dem matteren und flacheren
Aufschwung seiner häuserbedeckten Hügel überlegen. Im Mittel- und Hinter¬
gründe aber herrscht aus der europäischen Seite entschieden die volle und
üppige Vegetation vor. Endlich bieten hier die beiden Paläste von Dolma
Bagdscha und Tschiraghan architektonische Ruhepunkte sür das Auge, wie
man sie sonst im weiten Umkreise dieser Landschaft vergebens sucht.

Das nächste Fenster, in der angefangenen Reihenordnung, wendet sich
ziemlich genau gegen Norden. Man hat über dem goldnen Horn ausgespannt,
oder vielmehr auf seiner Flut ausruhend, die beiden Brücken vor sich, sodann
das hohe Ufer von Galata, die obere Mauer und den hohen Spitzthurm, der
sie überragt, endlich die wirre Häusermasse von Pera aus der, im Unterschiede
zu den türkischen Quartieren, zahlreiche und hohe Schornsteine aufsteigen.
Vergebens suchr man nach dem gewundenen Faden der grande Rue, der sich
hinter den hochragenden Gebäuden versteckt. Diesem Bilde fehlt es nicht an
Interesse, aber eigentlich ansprechend ist nur der Vordergrund. Ueber Pera
hinaus verirrt sich das Auge auf öden Bergflächen, die nur ausnahmsweise
im diesjährigen feuchten und minder heißen Sommer ihr grünes Rasenkleid
bewahrten, aber völlig baumlos sind.

Eines der folgenden Fenster läßt das goldene Horn schräg hin, seiner
Länge nach übersehen. Ich liebe nicht diesen Binnenhafen von Konstantinopel.
Den Namen Goldhorn verdient er nur in Anbetracht seiner nautischen Eigen¬
schaften^ weniger in Rücksicht auf die Naturreize, die er bietet. Nichtsdesto¬
weniger ist der Anblick, welchen er aus dieser Höhe bietet, ein majestätischer
und mit dem schwerlich ein anderer Hafen der Welt zu wetteifern vermag.
Wir haben tief unter uns, rechtswärts die erste, sodann die mittlere, endlich
im Mittelgrunde die Hintere der großen, über den Hasen hinführenden Schiffs¬
brücken. Danach theilt sich dieser sozusagen in drei Bassins, von denen
das erste, zwischen der neuen und alten Brücke, als der innere Handelshafen,
das zweite, zwischen der alten und neuesten, als der Kriegshafen, und das
dritte, über letztere hinaus, als der Kaikhafen betrachtet werden kann. Mich
überraschte, im Gegensatz zu anderen Jahren, die Ueppigkeit und Massenhaf-
tigkeit deS Grüns, welches an beiden Hafengestaden aus dem Wirrsal der
Häuser auftaucht. Einen Frühling und Sommer wie den diesmaligen erinnert
man sich in Konstantinopel seit lange nicht erlebt zu haben.

Ich wendete mich nunmehr derjenigen Aussicht zu, welche Ejub und den
Haupttheil der großen landwärtigen Mauer umsaßt. Zwischen derselben und
der Stadt breitet sich eine Region von Gärten aus, was in mir die Ver¬
muthung regemacht, daß Altbyzanz bevölkerter war, als das heutige Stambul.
Auch der Umstand, daß die meisten türkischen Häuser niedrig sind, wo¬
gegen die antiken aller Voraussetzung nach- aus mehren geräumigen Stock-


darum auch eben wieder pittoresken Skutari, mit dem matteren und flacheren
Aufschwung seiner häuserbedeckten Hügel überlegen. Im Mittel- und Hinter¬
gründe aber herrscht aus der europäischen Seite entschieden die volle und
üppige Vegetation vor. Endlich bieten hier die beiden Paläste von Dolma
Bagdscha und Tschiraghan architektonische Ruhepunkte sür das Auge, wie
man sie sonst im weiten Umkreise dieser Landschaft vergebens sucht.

Das nächste Fenster, in der angefangenen Reihenordnung, wendet sich
ziemlich genau gegen Norden. Man hat über dem goldnen Horn ausgespannt,
oder vielmehr auf seiner Flut ausruhend, die beiden Brücken vor sich, sodann
das hohe Ufer von Galata, die obere Mauer und den hohen Spitzthurm, der
sie überragt, endlich die wirre Häusermasse von Pera aus der, im Unterschiede
zu den türkischen Quartieren, zahlreiche und hohe Schornsteine aufsteigen.
Vergebens suchr man nach dem gewundenen Faden der grande Rue, der sich
hinter den hochragenden Gebäuden versteckt. Diesem Bilde fehlt es nicht an
Interesse, aber eigentlich ansprechend ist nur der Vordergrund. Ueber Pera
hinaus verirrt sich das Auge auf öden Bergflächen, die nur ausnahmsweise
im diesjährigen feuchten und minder heißen Sommer ihr grünes Rasenkleid
bewahrten, aber völlig baumlos sind.

Eines der folgenden Fenster läßt das goldene Horn schräg hin, seiner
Länge nach übersehen. Ich liebe nicht diesen Binnenhafen von Konstantinopel.
Den Namen Goldhorn verdient er nur in Anbetracht seiner nautischen Eigen¬
schaften^ weniger in Rücksicht auf die Naturreize, die er bietet. Nichtsdesto¬
weniger ist der Anblick, welchen er aus dieser Höhe bietet, ein majestätischer
und mit dem schwerlich ein anderer Hafen der Welt zu wetteifern vermag.
Wir haben tief unter uns, rechtswärts die erste, sodann die mittlere, endlich
im Mittelgrunde die Hintere der großen, über den Hasen hinführenden Schiffs¬
brücken. Danach theilt sich dieser sozusagen in drei Bassins, von denen
das erste, zwischen der neuen und alten Brücke, als der innere Handelshafen,
das zweite, zwischen der alten und neuesten, als der Kriegshafen, und das
dritte, über letztere hinaus, als der Kaikhafen betrachtet werden kann. Mich
überraschte, im Gegensatz zu anderen Jahren, die Ueppigkeit und Massenhaf-
tigkeit deS Grüns, welches an beiden Hafengestaden aus dem Wirrsal der
Häuser auftaucht. Einen Frühling und Sommer wie den diesmaligen erinnert
man sich in Konstantinopel seit lange nicht erlebt zu haben.

Ich wendete mich nunmehr derjenigen Aussicht zu, welche Ejub und den
Haupttheil der großen landwärtigen Mauer umsaßt. Zwischen derselben und
der Stadt breitet sich eine Region von Gärten aus, was in mir die Ver¬
muthung regemacht, daß Altbyzanz bevölkerter war, als das heutige Stambul.
Auch der Umstand, daß die meisten türkischen Häuser niedrig sind, wo¬
gegen die antiken aller Voraussetzung nach- aus mehren geräumigen Stock-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/119>, abgerufen am 01.09.2024.