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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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trugen macht, aber dann verlangen wir, daß der Schriftsteller, der diese Ansicht
vertritt, uns offen sage, was er will, wie es George Sand gethan. Wir ver¬
dammen diese Heuchelei, diese Doppelzüngigkeit des modernen Dramas, welches
für die gesetzliche Moral in die Schranken tritt und doch keine andere Anschauung
mitbringt, als die Vertreter der Emancipation des Fleisches, wie dies in den
meisten Dramen geschieht, die seit zwei Jahren in Paris Erfolge gehabt. Alexander
Dumas Sohn hat die Heuchelei auf die Spitze getrieben.

Die Gräfin Diane de Lys ist von ihrem Mann geheirathet worden, weil sie
vier Millionen Franken Mitgift besaß und ihre Eltern willigten in die Ehe, weil
sie einen Grasen zum Eidam wünschten. Die Mutter stirbt bald nach "Ver¬
sorgung" ihrer Tochter und der Vater lebt krank und zurückgezogen von der
Welt in der Nähe von Versailles. Diane ist allein, sie fühlt sich noch verlassener
als im Kloster; denn es versteht sich von selbst, daß der Graf, der nur die vier
Millionen geheirathet, sich wenig um seine Frau kümmert, das heißt gar nicht.
Es bleibt uns sogar unbenommen zu glauben, die junge Frau sei eigentlich noch
immer das junge Mädchen aus dem Kloster. Diane ist schön, gefühlvoll und
romantischen Geistes. Sie langweilt sich entsetzlich! Wir bitten wohl zu bemerken,
Diane ist nicht unglücklich, sie sehnt sich nicht nach einem Herzen, das ihres verstände
-- ü avra, das wäre deutsch sentimental -- Diane langweilt sich, das ist fran¬
zösisch, das ist bon ton. Die Tröster strömen scharenweise herbei -- die ganze
Welt weiß, daß Diane von ihrem Manne vernachlässigt wird und jeder Elegant,
jeder Geck hält es für seine Pflicht, der jungen Gräfin den Hof zu machen. Das
gelingt oft bei Frauen, die von ihren Männern geliebt werden, warum sollte man
es nicht versuchen bei einer verheiratheten- Wittwe. Diane weißt diese Herzens¬
anträge zurück, sie begnügt sich damit, die Name" ihrer Verehrer in ihre Brief¬
tasche zu verzeichnen. Sie gewinnt so die Ueberzeugung, daß keiner ihrer Anbeter
sie wirklich liebe, alle versprechen zu sterben, wenn sie nicht erhört werden, und
auch kein einziger hält Wort. Kaum daß es eiuer nöthig findet, sich durch eine
kurze Reise von zwei Wochen von seinem Liebesunglück zu erholen. Diane hatte
eine erste Jugendliebe mit Max von Ternou; sie hatten sich ewige Treue geschworen
und glaubte" ihre Trennung nicht zu überlebe". Diaue hat sich verheirathet, Max Ter¬
nou ist Junggesell und Komme ü, dorien tortune, aber weder Max noch Diane sind
gestorben, sie befinden sich beide wohl. Max, der nach langer Abwesenheit
nach Paris zurückkehrt, .schreibt an Diane, die er seit fünf Jahren nicht
gesehen und gibt ihr ein Rendezvous im Atelier seines Freundes Paul Aubry.
Max weiß nicht, ob Diane kommen werde, was ihn nicht hindert, mit Sicher¬
heit darauf zu rechnen und er bittet sich das Atelier des Malers aus. - Wie
so er hoffen konnte, daß Diane auf sein erstes Gebot erscheinen werde,- wie
ein Jugendfreund es wagen konnte, einer Frau von guter Erziehung ohne weiteres
einen so cvmpromitlireuden Schritt zuzumuthen -- das wird uns nicht gesagt.


trugen macht, aber dann verlangen wir, daß der Schriftsteller, der diese Ansicht
vertritt, uns offen sage, was er will, wie es George Sand gethan. Wir ver¬
dammen diese Heuchelei, diese Doppelzüngigkeit des modernen Dramas, welches
für die gesetzliche Moral in die Schranken tritt und doch keine andere Anschauung
mitbringt, als die Vertreter der Emancipation des Fleisches, wie dies in den
meisten Dramen geschieht, die seit zwei Jahren in Paris Erfolge gehabt. Alexander
Dumas Sohn hat die Heuchelei auf die Spitze getrieben.

Die Gräfin Diane de Lys ist von ihrem Mann geheirathet worden, weil sie
vier Millionen Franken Mitgift besaß und ihre Eltern willigten in die Ehe, weil
sie einen Grasen zum Eidam wünschten. Die Mutter stirbt bald nach „Ver¬
sorgung" ihrer Tochter und der Vater lebt krank und zurückgezogen von der
Welt in der Nähe von Versailles. Diane ist allein, sie fühlt sich noch verlassener
als im Kloster; denn es versteht sich von selbst, daß der Graf, der nur die vier
Millionen geheirathet, sich wenig um seine Frau kümmert, das heißt gar nicht.
Es bleibt uns sogar unbenommen zu glauben, die junge Frau sei eigentlich noch
immer das junge Mädchen aus dem Kloster. Diane ist schön, gefühlvoll und
romantischen Geistes. Sie langweilt sich entsetzlich! Wir bitten wohl zu bemerken,
Diane ist nicht unglücklich, sie sehnt sich nicht nach einem Herzen, das ihres verstände
— ü avra, das wäre deutsch sentimental — Diane langweilt sich, das ist fran¬
zösisch, das ist bon ton. Die Tröster strömen scharenweise herbei — die ganze
Welt weiß, daß Diane von ihrem Manne vernachlässigt wird und jeder Elegant,
jeder Geck hält es für seine Pflicht, der jungen Gräfin den Hof zu machen. Das
gelingt oft bei Frauen, die von ihren Männern geliebt werden, warum sollte man
es nicht versuchen bei einer verheiratheten- Wittwe. Diane weißt diese Herzens¬
anträge zurück, sie begnügt sich damit, die Name» ihrer Verehrer in ihre Brief¬
tasche zu verzeichnen. Sie gewinnt so die Ueberzeugung, daß keiner ihrer Anbeter
sie wirklich liebe, alle versprechen zu sterben, wenn sie nicht erhört werden, und
auch kein einziger hält Wort. Kaum daß es eiuer nöthig findet, sich durch eine
kurze Reise von zwei Wochen von seinem Liebesunglück zu erholen. Diane hatte
eine erste Jugendliebe mit Max von Ternou; sie hatten sich ewige Treue geschworen
und glaubte» ihre Trennung nicht zu überlebe». Diaue hat sich verheirathet, Max Ter¬
nou ist Junggesell und Komme ü, dorien tortune, aber weder Max noch Diane sind
gestorben, sie befinden sich beide wohl. Max, der nach langer Abwesenheit
nach Paris zurückkehrt, .schreibt an Diane, die er seit fünf Jahren nicht
gesehen und gibt ihr ein Rendezvous im Atelier seines Freundes Paul Aubry.
Max weiß nicht, ob Diane kommen werde, was ihn nicht hindert, mit Sicher¬
heit darauf zu rechnen und er bittet sich das Atelier des Malers aus. - Wie
so er hoffen konnte, daß Diane auf sein erstes Gebot erscheinen werde,- wie
ein Jugendfreund es wagen konnte, einer Frau von guter Erziehung ohne weiteres
einen so cvmpromitlireuden Schritt zuzumuthen — das wird uns nicht gesagt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/501>, abgerufen am 05.02.2025.