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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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entgegentreten, so scheint es uns doch, als ob man vorschnell Hoffnungen daran
geknüpft hat, deren Erfüllung zum mindesten zweifelhaft ist. Sicher drücken die
von Herrn v. Manteuffel gesprochenen Worte die Abneigung ans, sich in dem
russisch-türkischen Streite für eine bestimmte Partei zu erkläre". Diese neutrale
Haltung ist keineswegs den Wünschen des Cabinets von Se. Petersburg und den
Forderungen entsprechend, die der Zar bei seinem Besuch in Berlin an die preu¬
ßische Regierung richtete. Sie erfüllt aber auch andererseits die Ansprüche nicht,
die im Interesse des europäischen Friedens und im Interesse Preußens selbst an
die Politik des letztern gestellt werden können. Und wenn die Dinge bis zu einem
Aeußersten kommen sollten, wo Neutralität nicht mehr möglich ist, glaubt man
wirklich in dieser ganz unbestimmten Erklärung die Bürgschaft zu finde", Preußen
werde sich nicht auf die Seite Rußlands stellen? Es ist wol kaum möglich, den
Lehren einer nahen Vergangenheit gegenüber, sich solchen Illusionen zu überlassen.

Die Präsidentenwahl ist so ausgefallen, wie wir es vermutheten. Graf
Schwerin hat seine geringe Mehrheit den Stimmen einiger Konservativen zu
danken, welche die Kreuzzeitung fortan mit Gänsefüßchen schreiben wird. Die¬
selben Stimmen machten Herrn von Bethmann-Hollweg zum zweiten Vicepräsi-
denten, während, ihr Ausfall Herrn Reichensperger bei der Wahl des ersten
Vicepräsidenten gegen Herrn von Engelmann scheitern ließ. Auch die Wahlen der
Vorsitzenden und Secretäre der Abtheilungen, sowie die der verschiedenen Com¬
missionen beweisen, daß die drei Fractionen der Opposition (die Constitutionellen,
Bethmann-Hollwegianer und Katholischen) den Fractionen der Rechten an Zahl
nachstehen. Noch fehlen fast 80 Mitglieder der zweiten Kammer. Es wäre mög¬
lich, daß bei größerer Vollzähligkeit das Verhältniß sich änderte. Die erste Kam¬
mer ringt noch immer vergebens nach Beschlußfähigkeit, die indeß in diesen Ta¬
gen eintreten dürfte.

Heute fand in der zweiten Kammer die erste scharfe Debatte statt. Den
Anlaß dazu gab die Prüfung der Wahl des Majors von Lüderitz, Abgeordneten
des Gumbinner Kreises. Im vorigen Jahre an Stelle Simsons, der bekannt¬
lich ablehnte, gewählt,.mußte Herr von Lüderitz wegen seiner Beförderung zum
Major sich einer Neuwahl unterwerfen. Hierbei geschah es, daß der Major >
von Plehwe, Commandeur des dortigen Landwehrbataillons, an die Wehrmänner,
die zugleich Wahlmänner waren, Schreiben erließ, in denen dieselben bei
ihrem Fahneneid und mit Hinweisung auf die Kriegsartikel aufgefordert wurden,
dem Major von Lüderitz ihre Stimme zu geben. Herr von Säulen-Julienfclde
brachte ein derartiges Schreiben zur Kenntniß der Kammer, und von der Linken
wurde die Beanstandung der Wahl resp, die Zurückweisung derselben an die be¬
treffende Abtheilung zu neuer Beschlußfassung beantragt. Der Verlauf der ziem¬
lich scharfen Discusston führte die meisten.Häupter der Parteien, die Herren
von Vincke, Wenzel, Gerlach, Stolberg, Bethmann-Hollweg, beide Reichensperger


entgegentreten, so scheint es uns doch, als ob man vorschnell Hoffnungen daran
geknüpft hat, deren Erfüllung zum mindesten zweifelhaft ist. Sicher drücken die
von Herrn v. Manteuffel gesprochenen Worte die Abneigung ans, sich in dem
russisch-türkischen Streite für eine bestimmte Partei zu erkläre». Diese neutrale
Haltung ist keineswegs den Wünschen des Cabinets von Se. Petersburg und den
Forderungen entsprechend, die der Zar bei seinem Besuch in Berlin an die preu¬
ßische Regierung richtete. Sie erfüllt aber auch andererseits die Ansprüche nicht,
die im Interesse des europäischen Friedens und im Interesse Preußens selbst an
die Politik des letztern gestellt werden können. Und wenn die Dinge bis zu einem
Aeußersten kommen sollten, wo Neutralität nicht mehr möglich ist, glaubt man
wirklich in dieser ganz unbestimmten Erklärung die Bürgschaft zu finde», Preußen
werde sich nicht auf die Seite Rußlands stellen? Es ist wol kaum möglich, den
Lehren einer nahen Vergangenheit gegenüber, sich solchen Illusionen zu überlassen.

Die Präsidentenwahl ist so ausgefallen, wie wir es vermutheten. Graf
Schwerin hat seine geringe Mehrheit den Stimmen einiger Konservativen zu
danken, welche die Kreuzzeitung fortan mit Gänsefüßchen schreiben wird. Die¬
selben Stimmen machten Herrn von Bethmann-Hollweg zum zweiten Vicepräsi-
denten, während, ihr Ausfall Herrn Reichensperger bei der Wahl des ersten
Vicepräsidenten gegen Herrn von Engelmann scheitern ließ. Auch die Wahlen der
Vorsitzenden und Secretäre der Abtheilungen, sowie die der verschiedenen Com¬
missionen beweisen, daß die drei Fractionen der Opposition (die Constitutionellen,
Bethmann-Hollwegianer und Katholischen) den Fractionen der Rechten an Zahl
nachstehen. Noch fehlen fast 80 Mitglieder der zweiten Kammer. Es wäre mög¬
lich, daß bei größerer Vollzähligkeit das Verhältniß sich änderte. Die erste Kam¬
mer ringt noch immer vergebens nach Beschlußfähigkeit, die indeß in diesen Ta¬
gen eintreten dürfte.

Heute fand in der zweiten Kammer die erste scharfe Debatte statt. Den
Anlaß dazu gab die Prüfung der Wahl des Majors von Lüderitz, Abgeordneten
des Gumbinner Kreises. Im vorigen Jahre an Stelle Simsons, der bekannt¬
lich ablehnte, gewählt,.mußte Herr von Lüderitz wegen seiner Beförderung zum
Major sich einer Neuwahl unterwerfen. Hierbei geschah es, daß der Major >
von Plehwe, Commandeur des dortigen Landwehrbataillons, an die Wehrmänner,
die zugleich Wahlmänner waren, Schreiben erließ, in denen dieselben bei
ihrem Fahneneid und mit Hinweisung auf die Kriegsartikel aufgefordert wurden,
dem Major von Lüderitz ihre Stimme zu geben. Herr von Säulen-Julienfclde
brachte ein derartiges Schreiben zur Kenntniß der Kammer, und von der Linken
wurde die Beanstandung der Wahl resp, die Zurückweisung derselben an die be¬
treffende Abtheilung zu neuer Beschlußfassung beantragt. Der Verlauf der ziem¬
lich scharfen Discusston führte die meisten.Häupter der Parteien, die Herren
von Vincke, Wenzel, Gerlach, Stolberg, Bethmann-Hollweg, beide Reichensperger


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[0472] entgegentreten, so scheint es uns doch, als ob man vorschnell Hoffnungen daran geknüpft hat, deren Erfüllung zum mindesten zweifelhaft ist. Sicher drücken die von Herrn v. Manteuffel gesprochenen Worte die Abneigung ans, sich in dem russisch-türkischen Streite für eine bestimmte Partei zu erkläre». Diese neutrale Haltung ist keineswegs den Wünschen des Cabinets von Se. Petersburg und den Forderungen entsprechend, die der Zar bei seinem Besuch in Berlin an die preu¬ ßische Regierung richtete. Sie erfüllt aber auch andererseits die Ansprüche nicht, die im Interesse des europäischen Friedens und im Interesse Preußens selbst an die Politik des letztern gestellt werden können. Und wenn die Dinge bis zu einem Aeußersten kommen sollten, wo Neutralität nicht mehr möglich ist, glaubt man wirklich in dieser ganz unbestimmten Erklärung die Bürgschaft zu finde», Preußen werde sich nicht auf die Seite Rußlands stellen? Es ist wol kaum möglich, den Lehren einer nahen Vergangenheit gegenüber, sich solchen Illusionen zu überlassen. Die Präsidentenwahl ist so ausgefallen, wie wir es vermutheten. Graf Schwerin hat seine geringe Mehrheit den Stimmen einiger Konservativen zu danken, welche die Kreuzzeitung fortan mit Gänsefüßchen schreiben wird. Die¬ selben Stimmen machten Herrn von Bethmann-Hollweg zum zweiten Vicepräsi- denten, während, ihr Ausfall Herrn Reichensperger bei der Wahl des ersten Vicepräsidenten gegen Herrn von Engelmann scheitern ließ. Auch die Wahlen der Vorsitzenden und Secretäre der Abtheilungen, sowie die der verschiedenen Com¬ missionen beweisen, daß die drei Fractionen der Opposition (die Constitutionellen, Bethmann-Hollwegianer und Katholischen) den Fractionen der Rechten an Zahl nachstehen. Noch fehlen fast 80 Mitglieder der zweiten Kammer. Es wäre mög¬ lich, daß bei größerer Vollzähligkeit das Verhältniß sich änderte. Die erste Kam¬ mer ringt noch immer vergebens nach Beschlußfähigkeit, die indeß in diesen Ta¬ gen eintreten dürfte. Heute fand in der zweiten Kammer die erste scharfe Debatte statt. Den Anlaß dazu gab die Prüfung der Wahl des Majors von Lüderitz, Abgeordneten des Gumbinner Kreises. Im vorigen Jahre an Stelle Simsons, der bekannt¬ lich ablehnte, gewählt,.mußte Herr von Lüderitz wegen seiner Beförderung zum Major sich einer Neuwahl unterwerfen. Hierbei geschah es, daß der Major > von Plehwe, Commandeur des dortigen Landwehrbataillons, an die Wehrmänner, die zugleich Wahlmänner waren, Schreiben erließ, in denen dieselben bei ihrem Fahneneid und mit Hinweisung auf die Kriegsartikel aufgefordert wurden, dem Major von Lüderitz ihre Stimme zu geben. Herr von Säulen-Julienfclde brachte ein derartiges Schreiben zur Kenntniß der Kammer, und von der Linken wurde die Beanstandung der Wahl resp, die Zurückweisung derselben an die be¬ treffende Abtheilung zu neuer Beschlußfassung beantragt. Der Verlauf der ziem¬ lich scharfen Discusston führte die meisten.Häupter der Parteien, die Herren von Vincke, Wenzel, Gerlach, Stolberg, Bethmann-Hollweg, beide Reichensperger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/472>, abgerufen am 11.02.2025.