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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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ließ. Er wird nun als ein warnendes Beispiel aufgestellt, wohin der Hochmuth
der Selbstgerechtigkeit, jener Gerechtigkeit, die sich nicht demüthig vor einer höhern
Autorität beugt, sondern sich vermißt, die Quelle des Rechts in sich selber zu finden,
endlich fuhren müsse.

Die Tugend als subjectiver Entschluß des Herzens soll eilt Frevel gegen die
göttliche Gerechtigkeit sein. Ein anderer würde' in jenem Beispiele etwas ganz
Anderes gefunden habe", nämlich die gar nicht so ungewöhnliche Beobachtung,
daß bei einer gewaltthätigen, despotischen NatUr auch die edelste" und anscheinend
mcnfthcufrcnndlichsten Motive zu rücksichtsloser Gewaltthat führen können, wobei
man dann noch hinzusetzen würde, daß bis zu einem gewissen Grade wenigstens
ein Moment von jeuer Natur sich bei jedcM großen Menschen vorfinden muß, der
der Schöpfer einet neue" Zeit werden soll. Denn alles, was in der Geschichte
geschieht, oder allgemeiner' ausgedrückt, jeder Entschluß beruht auf einer gewissen
Rücksichtslosigkeit gegen Seiten, die anch ihre Berechtigung habe". Ezzclin ging
nnter, weil seine Macht nicht im richtigen Verhältniß zu seinem Willen stand.
Unter anderer! Umständen wäre er vielleicht ein großer Regent geworden, und
ganz abgesehen davon, war, was ihn verführte, nicht die Idee der Gerechtigkeit,
sondern der Despotismus, mit dem er sie ins Werk zu setzen suchte. Ueber die
Einseitigkeit dieses Beispiels wird man noch mehr durch das ideale Gegenbild
aufgeklärt, den heiligen Franciscus, der als ein Ideal der wahrhaft christlichen
Tugend, der Selbstverleugnung, erscheint. Als dieser wunderliche Heilige beim
Papst um die Bestätigung seines Ordens einkam, antwortete ihm dieser der Sage
nach, um das cynische Aeußere des frommen Mannes zu tadeln, "er solle einen
Orden nnter den Schweinen stiften." Der gehorsame Heilige nahm das wörtlich
und wollte es bereits ausführe". Solche Selbstverleugnung fand ihren Lohn:
die katholische Christenheit betet noch heutzutage zu ihm u>n Vermittelung bei
Gott. Aus diesem Beispiel hätte Leo grade das Entgegengesetzte herleiten sollen;
denn die uäniliche Selbstverleugnung, womit der heilige Franciscus mit voll¬
ständiger Aufgebung aller Bctnnnftnnd alles natürlichen Gefühls den unvernünftige"
Willen der Autorität wirklich vollstreckte, gab den jesuitische" Fanatikern des "6. Jahr¬
hunderts jene Dolche i" die Ha"d, die wahrlich auch nichts sittliches wären. Wenn
der despotische Hochmuth, der von einer Idee durchdrungen ist, schon Uebelthaten
genug herbeiführt, so ist das noch in weit höherem Grade der Fall bei jener
fatalistischen Selbstverleugnung, welche den Menschen zu einem blinden Werkzeug
einer höheren, vielleicht bösen Macht herabsetzt. -- Leo hat auf dieses Beispiel
viel Werth gelegt und ist später hänfig darauf zurückgekommen; er hat die ver-
hängnißvolle Idee der Selbstgerechtigkeit bis in die Rvinanfiguren verfolgt. Zur
Zeit der "Mysterien" und des ewigen Juden gab er in der evangelischen
Kirchenzeitung eine übrigens recht interessante Kritik der vvruehmsteii Charaktere.
Er wies ,M, daß in Rudolf, dein Großherzog vöri Gerölstci", dieselbe


ließ. Er wird nun als ein warnendes Beispiel aufgestellt, wohin der Hochmuth
der Selbstgerechtigkeit, jener Gerechtigkeit, die sich nicht demüthig vor einer höhern
Autorität beugt, sondern sich vermißt, die Quelle des Rechts in sich selber zu finden,
endlich fuhren müsse.

Die Tugend als subjectiver Entschluß des Herzens soll eilt Frevel gegen die
göttliche Gerechtigkeit sein. Ein anderer würde' in jenem Beispiele etwas ganz
Anderes gefunden habe», nämlich die gar nicht so ungewöhnliche Beobachtung,
daß bei einer gewaltthätigen, despotischen NatUr auch die edelste» und anscheinend
mcnfthcufrcnndlichsten Motive zu rücksichtsloser Gewaltthat führen können, wobei
man dann noch hinzusetzen würde, daß bis zu einem gewissen Grade wenigstens
ein Moment von jeuer Natur sich bei jedcM großen Menschen vorfinden muß, der
der Schöpfer einet neue» Zeit werden soll. Denn alles, was in der Geschichte
geschieht, oder allgemeiner' ausgedrückt, jeder Entschluß beruht auf einer gewissen
Rücksichtslosigkeit gegen Seiten, die anch ihre Berechtigung habe». Ezzclin ging
nnter, weil seine Macht nicht im richtigen Verhältniß zu seinem Willen stand.
Unter anderer! Umständen wäre er vielleicht ein großer Regent geworden, und
ganz abgesehen davon, war, was ihn verführte, nicht die Idee der Gerechtigkeit,
sondern der Despotismus, mit dem er sie ins Werk zu setzen suchte. Ueber die
Einseitigkeit dieses Beispiels wird man noch mehr durch das ideale Gegenbild
aufgeklärt, den heiligen Franciscus, der als ein Ideal der wahrhaft christlichen
Tugend, der Selbstverleugnung, erscheint. Als dieser wunderliche Heilige beim
Papst um die Bestätigung seines Ordens einkam, antwortete ihm dieser der Sage
nach, um das cynische Aeußere des frommen Mannes zu tadeln, „er solle einen
Orden nnter den Schweinen stiften." Der gehorsame Heilige nahm das wörtlich
und wollte es bereits ausführe». Solche Selbstverleugnung fand ihren Lohn:
die katholische Christenheit betet noch heutzutage zu ihm u>n Vermittelung bei
Gott. Aus diesem Beispiel hätte Leo grade das Entgegengesetzte herleiten sollen;
denn die uäniliche Selbstverleugnung, womit der heilige Franciscus mit voll¬
ständiger Aufgebung aller Bctnnnftnnd alles natürlichen Gefühls den unvernünftige»
Willen der Autorität wirklich vollstreckte, gab den jesuitische» Fanatikern des »6. Jahr¬
hunderts jene Dolche i» die Ha»d, die wahrlich auch nichts sittliches wären. Wenn
der despotische Hochmuth, der von einer Idee durchdrungen ist, schon Uebelthaten
genug herbeiführt, so ist das noch in weit höherem Grade der Fall bei jener
fatalistischen Selbstverleugnung, welche den Menschen zu einem blinden Werkzeug
einer höheren, vielleicht bösen Macht herabsetzt. — Leo hat auf dieses Beispiel
viel Werth gelegt und ist später hänfig darauf zurückgekommen; er hat die ver-
hängnißvolle Idee der Selbstgerechtigkeit bis in die Rvinanfiguren verfolgt. Zur
Zeit der „Mysterien" und des ewigen Juden gab er in der evangelischen
Kirchenzeitung eine übrigens recht interessante Kritik der vvruehmsteii Charaktere.
Er wies ,M, daß in Rudolf, dein Großherzog vöri Gerölstci», dieselbe


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[0415] ließ. Er wird nun als ein warnendes Beispiel aufgestellt, wohin der Hochmuth der Selbstgerechtigkeit, jener Gerechtigkeit, die sich nicht demüthig vor einer höhern Autorität beugt, sondern sich vermißt, die Quelle des Rechts in sich selber zu finden, endlich fuhren müsse. Die Tugend als subjectiver Entschluß des Herzens soll eilt Frevel gegen die göttliche Gerechtigkeit sein. Ein anderer würde' in jenem Beispiele etwas ganz Anderes gefunden habe», nämlich die gar nicht so ungewöhnliche Beobachtung, daß bei einer gewaltthätigen, despotischen NatUr auch die edelste» und anscheinend mcnfthcufrcnndlichsten Motive zu rücksichtsloser Gewaltthat führen können, wobei man dann noch hinzusetzen würde, daß bis zu einem gewissen Grade wenigstens ein Moment von jeuer Natur sich bei jedcM großen Menschen vorfinden muß, der der Schöpfer einet neue» Zeit werden soll. Denn alles, was in der Geschichte geschieht, oder allgemeiner' ausgedrückt, jeder Entschluß beruht auf einer gewissen Rücksichtslosigkeit gegen Seiten, die anch ihre Berechtigung habe». Ezzclin ging nnter, weil seine Macht nicht im richtigen Verhältniß zu seinem Willen stand. Unter anderer! Umständen wäre er vielleicht ein großer Regent geworden, und ganz abgesehen davon, war, was ihn verführte, nicht die Idee der Gerechtigkeit, sondern der Despotismus, mit dem er sie ins Werk zu setzen suchte. Ueber die Einseitigkeit dieses Beispiels wird man noch mehr durch das ideale Gegenbild aufgeklärt, den heiligen Franciscus, der als ein Ideal der wahrhaft christlichen Tugend, der Selbstverleugnung, erscheint. Als dieser wunderliche Heilige beim Papst um die Bestätigung seines Ordens einkam, antwortete ihm dieser der Sage nach, um das cynische Aeußere des frommen Mannes zu tadeln, „er solle einen Orden nnter den Schweinen stiften." Der gehorsame Heilige nahm das wörtlich und wollte es bereits ausführe». Solche Selbstverleugnung fand ihren Lohn: die katholische Christenheit betet noch heutzutage zu ihm u>n Vermittelung bei Gott. Aus diesem Beispiel hätte Leo grade das Entgegengesetzte herleiten sollen; denn die uäniliche Selbstverleugnung, womit der heilige Franciscus mit voll¬ ständiger Aufgebung aller Bctnnnftnnd alles natürlichen Gefühls den unvernünftige» Willen der Autorität wirklich vollstreckte, gab den jesuitische» Fanatikern des »6. Jahr¬ hunderts jene Dolche i» die Ha»d, die wahrlich auch nichts sittliches wären. Wenn der despotische Hochmuth, der von einer Idee durchdrungen ist, schon Uebelthaten genug herbeiführt, so ist das noch in weit höherem Grade der Fall bei jener fatalistischen Selbstverleugnung, welche den Menschen zu einem blinden Werkzeug einer höheren, vielleicht bösen Macht herabsetzt. — Leo hat auf dieses Beispiel viel Werth gelegt und ist später hänfig darauf zurückgekommen; er hat die ver- hängnißvolle Idee der Selbstgerechtigkeit bis in die Rvinanfiguren verfolgt. Zur Zeit der „Mysterien" und des ewigen Juden gab er in der evangelischen Kirchenzeitung eine übrigens recht interessante Kritik der vvruehmsteii Charaktere. Er wies ,M, daß in Rudolf, dein Großherzog vöri Gerölstci», dieselbe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/415>, abgerufen am 06.02.2025.