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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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commando zur Verantwortung gezogen worden sein, weil er vor Ablauf der
gegebenen Frist die Feindseligkeiten eröffnet habe.

Indessen ist dies mehr als zweifelhaft. Denn jener Befehl des Divans,
wonach der Muschir seine Operationen noch hinausschieben sollte, enthielt die
Klausel: "falls sie nicht schon begonnen hätten". Genan vom Tage des Ein¬
treffens der türkische" Kriegserklärung im Hauptquartier deS Seraskiers hatte"
indessen scho" die Vorpostcnplänkeleicn längs der ganzen Donanlinie gedauert nud
wurden auch durch deu ,,zu spät" eingetroffenen Gegenbefehl nmsvweniqer unter¬
brochen, als Fürst Gortschaloff die Anfrage, ob er Befehl zu Unterhandlungen
habe, abweisend mit der Bemerkung beantwortet hatte, er werde sich vorerst in
der Defensive halten.

Unterdessen erschien das russische Kriegsmauifest, datirt vom ^ß^^, doch
wahrscheinlich schon früher versendet und wol anch an Omer-Pascha gelaugt, da
dieser genau am 1. November mit weitergreifenden Operationen den Uebergang
über die Donau begann.

Bevor wir diese Operationen näher bezeichnen, sind einige Angaben voraus-
zusenden über die Zustände der Kriegsbereitschaft in der Türkei, wie von Seiten
Rußlands, denen allgemeine Ueberblicke über die Beschaffenheit des europäischen
Kriegstheaters und die dort aufgestellten Heeresmassen folgen. -- Andere Bericht¬
erstatter der Grenzboten haben sich bereits sachkundig über das innere Wesen nud
die Organisation der osmanischen Heeresmacht ausgesprochen; dies Thema ist
also nicht von neuem zu berühren. Dagegen war durch verschiedene Zeitungen
die Ansicht verallgemeint worden, die Türkei habe eben nur für den Kriegsschauplatz
Truppen auftreiben können. Dies erweist sich als ein Irrthum, obgleich uicht
zu leugnen sei" mag, daß die im ganzen etwa 3S0--6,00,000 M. starke osmanische
Heeresmacht keine genügende Reserve besitzt. Indessen belief sich in der Mitte
des October die "neue" Armee der Freiwilligen schon auf 160,000 M., so daß mau
bereits entschlossen ist, die "Fahne des Propheten" vorläufig nicht aufzustecken,
In der nothwendigen Schonung der Heereskräftc begründete sich dagegen vor¬
zugsweise die Nöthigung, zur Beobachtung derNeichSgreuzeu, a" denn"möglicherweise
der Krieg gegen Rußland zu feindliche" Augriffen benutzt werde" könnte, die Be¬
völkerung selber als Landwehr und Landsturm (Netifs) zu organisiren. Unter Mustapha
Pascha (Hauptquartier Jnuien) steht el" solches vo" 60,000 M. im Süden vo"
Epirus und Thessalien gegen die griechische Grenze; uuter Mehmet Neschid,
Seraskier von Bagdad, eine noch stärkere, me"" scho" weniger diöcipliuirte
Heeresmacht längs der persischen Grenze; Kurdistan und das Paschalik Erzerum
weiter nördlich könne" theils wege" des Grc"zgebirges, theils wage" des
Charakters ihrer Bewohner als zuverlässige Schutzmauern angesehen werden.
Das Coiumando führe" hier Abdallah Pascha, Bruder des berühmten Kurden-


commando zur Verantwortung gezogen worden sein, weil er vor Ablauf der
gegebenen Frist die Feindseligkeiten eröffnet habe.

Indessen ist dies mehr als zweifelhaft. Denn jener Befehl des Divans,
wonach der Muschir seine Operationen noch hinausschieben sollte, enthielt die
Klausel: „falls sie nicht schon begonnen hätten". Genan vom Tage des Ein¬
treffens der türkische» Kriegserklärung im Hauptquartier deS Seraskiers hatte»
indessen scho» die Vorpostcnplänkeleicn längs der ganzen Donanlinie gedauert nud
wurden auch durch deu ,,zu spät" eingetroffenen Gegenbefehl nmsvweniqer unter¬
brochen, als Fürst Gortschaloff die Anfrage, ob er Befehl zu Unterhandlungen
habe, abweisend mit der Bemerkung beantwortet hatte, er werde sich vorerst in
der Defensive halten.

Unterdessen erschien das russische Kriegsmauifest, datirt vom ^ß^^, doch
wahrscheinlich schon früher versendet und wol anch an Omer-Pascha gelaugt, da
dieser genau am 1. November mit weitergreifenden Operationen den Uebergang
über die Donau begann.

Bevor wir diese Operationen näher bezeichnen, sind einige Angaben voraus-
zusenden über die Zustände der Kriegsbereitschaft in der Türkei, wie von Seiten
Rußlands, denen allgemeine Ueberblicke über die Beschaffenheit des europäischen
Kriegstheaters und die dort aufgestellten Heeresmassen folgen. — Andere Bericht¬
erstatter der Grenzboten haben sich bereits sachkundig über das innere Wesen nud
die Organisation der osmanischen Heeresmacht ausgesprochen; dies Thema ist
also nicht von neuem zu berühren. Dagegen war durch verschiedene Zeitungen
die Ansicht verallgemeint worden, die Türkei habe eben nur für den Kriegsschauplatz
Truppen auftreiben können. Dies erweist sich als ein Irrthum, obgleich uicht
zu leugnen sei» mag, daß die im ganzen etwa 3S0—6,00,000 M. starke osmanische
Heeresmacht keine genügende Reserve besitzt. Indessen belief sich in der Mitte
des October die „neue" Armee der Freiwilligen schon auf 160,000 M., so daß mau
bereits entschlossen ist, die „Fahne des Propheten" vorläufig nicht aufzustecken,
In der nothwendigen Schonung der Heereskräftc begründete sich dagegen vor¬
zugsweise die Nöthigung, zur Beobachtung derNeichSgreuzeu, a« denn»möglicherweise
der Krieg gegen Rußland zu feindliche» Augriffen benutzt werde» könnte, die Be¬
völkerung selber als Landwehr und Landsturm (Netifs) zu organisiren. Unter Mustapha
Pascha (Hauptquartier Jnuien) steht el» solches vo» 60,000 M. im Süden vo»
Epirus und Thessalien gegen die griechische Grenze; uuter Mehmet Neschid,
Seraskier von Bagdad, eine noch stärkere, me»» scho» weniger diöcipliuirte
Heeresmacht längs der persischen Grenze; Kurdistan und das Paschalik Erzerum
weiter nördlich könne» theils wege» des Grc»zgebirges, theils wage» des
Charakters ihrer Bewohner als zuverlässige Schutzmauern angesehen werden.
Das Coiumando führe» hier Abdallah Pascha, Bruder des berühmten Kurden-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/399>, abgerufen am 05.02.2025.