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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Publicum sich auf eine sehr angenehme Weise enttäuscht fühle" wird; denn das
Buch ist, einige stilistische Unebenheiten abgerechnet, auf die doch nicht viel ankommt,
ganz reizend geschrieben. Gleich die einleitende Schilderung von der Reise durch
die bairische Ueberschwemmung im August des Jahres 1851 ist höchst ergötzlich und
so ist das ganze Buch durch die Anschauung vom individuellen Leben erfüllt. Herr
Pecht, dessen liebenswürdige, unbefangene und originelle Natur jedem werth gewor¬
den ist, der ihm irgendwie nahesteht, hat mit der größten Entschiedenheit alle vor¬
gefaßten Meinungen, die man gewöhnlich auf eine Reise nach Italien mitnimmt, von
sich geworfen und gibt sich unbefangen wie er ist. Das hat unter anderem den
großen Vortheil, daß man auch in dem Falle, wo man seinen Ansichten nicht bei¬
pflichtet, dennoch mit dem Schriftsteller nicht rechten mag. Wir unsererseits
müssen offen gestehen, daß die Vorliebe für die östreichische Herrschaft in Italien
nicht ganz nach unserm Geschmacke ist; denn wenn wir auch keinen unbedingten
Glauben an die Möglichkeit eines unabhängigen italienischen Staats hegen, so
halten wir es doch nicht blos für Italien, sondern für Oestreich selbst für ein sehr
schlimmes Verhängniß, daß dieser Staat genöthigt ist, über ein Volk zu regieren,
das ihn haßt und das, selbst die wohlwollendsten Absichten der Regierung voraus¬
gesetzt, dennoch aus keine Weise zu einer versöhnlicheren Stimmung gebracht werde"
kann. Wir wissen sehr wohl, daß i" dem militärischen System, welches Oestreich
i" Italien aufgerichtet hat, die despotische Willkür nur zum geringern Theil das
Motiv ist, wir wisse", daß Oestreich wenigstens zum Theil so handeln muß, wie
es handelt, aber wir beklagen diese Nothwendigkeit, denn sie ist ein nagender
Wurm an seinem politischen Organismus. -- Aber bei Herrn Pecht begreifen
wir vollkommen, wie sein naiver ehrlicher deutscher Sinn sogar für die unbefangene
Rohheit rege wird, wenn er sie im Gegensatz gegen den schwächlichen, hinter¬
listige" und phrasenhaften Enthusiasmus betrachtet, der ihm in Italien von allen
Seiten entgegentritt. Uebrigens spielen diese politischen Reflexionen im Buche
auch u"r eine sehr untergeordnete Rolle. Die Hauptsache ist, abgesehen von den
Bildern und Anschauungen aus dem wirklichen Leben, die Kunstkritik, und diese
verräth überall das Verständniß eines durchdachten, erfahrnen und hochgebildeten
Künstlers und die Gesinnung eines ehrlichen Mannes. Herr Pecht geht von
keiner einseitigen Kunsttheorie aus, er schwärmt weder für das Princip des Klas¬
sicismus, das ma" gewöhnlich in Italien durchzuführen sucht, noch weniger gehört
er zu jeuer rückwärts gewandten Richtung, die in der Kindheit der Kunst, nament¬
lich der altdeutschen, zugleich das höchste Ideal der Weisheit finden möchte. Er ist,
wie es der echte Kritiker sein muß, empfänglich für die manigfaltigsten Formen "ud
Vorstellungen, sobald er nur innere Uebereinstimmung, schöpferische Kraft und künst¬
lerische Redlichkeit darin wahrnimmt. Aber der Kern seines Urtheils ist immer
die ehrenfeste deutsche Gesinnung. Und so glauben wir denn, daß das Buch einen
wohlthuenden Eindruck auf alle Classen des Public"ins machen und daß es wehend-


Publicum sich auf eine sehr angenehme Weise enttäuscht fühle» wird; denn das
Buch ist, einige stilistische Unebenheiten abgerechnet, auf die doch nicht viel ankommt,
ganz reizend geschrieben. Gleich die einleitende Schilderung von der Reise durch
die bairische Ueberschwemmung im August des Jahres 1851 ist höchst ergötzlich und
so ist das ganze Buch durch die Anschauung vom individuellen Leben erfüllt. Herr
Pecht, dessen liebenswürdige, unbefangene und originelle Natur jedem werth gewor¬
den ist, der ihm irgendwie nahesteht, hat mit der größten Entschiedenheit alle vor¬
gefaßten Meinungen, die man gewöhnlich auf eine Reise nach Italien mitnimmt, von
sich geworfen und gibt sich unbefangen wie er ist. Das hat unter anderem den
großen Vortheil, daß man auch in dem Falle, wo man seinen Ansichten nicht bei¬
pflichtet, dennoch mit dem Schriftsteller nicht rechten mag. Wir unsererseits
müssen offen gestehen, daß die Vorliebe für die östreichische Herrschaft in Italien
nicht ganz nach unserm Geschmacke ist; denn wenn wir auch keinen unbedingten
Glauben an die Möglichkeit eines unabhängigen italienischen Staats hegen, so
halten wir es doch nicht blos für Italien, sondern für Oestreich selbst für ein sehr
schlimmes Verhängniß, daß dieser Staat genöthigt ist, über ein Volk zu regieren,
das ihn haßt und das, selbst die wohlwollendsten Absichten der Regierung voraus¬
gesetzt, dennoch aus keine Weise zu einer versöhnlicheren Stimmung gebracht werde»
kann. Wir wissen sehr wohl, daß i» dem militärischen System, welches Oestreich
i» Italien aufgerichtet hat, die despotische Willkür nur zum geringern Theil das
Motiv ist, wir wisse», daß Oestreich wenigstens zum Theil so handeln muß, wie
es handelt, aber wir beklagen diese Nothwendigkeit, denn sie ist ein nagender
Wurm an seinem politischen Organismus. — Aber bei Herrn Pecht begreifen
wir vollkommen, wie sein naiver ehrlicher deutscher Sinn sogar für die unbefangene
Rohheit rege wird, wenn er sie im Gegensatz gegen den schwächlichen, hinter¬
listige» und phrasenhaften Enthusiasmus betrachtet, der ihm in Italien von allen
Seiten entgegentritt. Uebrigens spielen diese politischen Reflexionen im Buche
auch u»r eine sehr untergeordnete Rolle. Die Hauptsache ist, abgesehen von den
Bildern und Anschauungen aus dem wirklichen Leben, die Kunstkritik, und diese
verräth überall das Verständniß eines durchdachten, erfahrnen und hochgebildeten
Künstlers und die Gesinnung eines ehrlichen Mannes. Herr Pecht geht von
keiner einseitigen Kunsttheorie aus, er schwärmt weder für das Princip des Klas¬
sicismus, das ma» gewöhnlich in Italien durchzuführen sucht, noch weniger gehört
er zu jeuer rückwärts gewandten Richtung, die in der Kindheit der Kunst, nament¬
lich der altdeutschen, zugleich das höchste Ideal der Weisheit finden möchte. Er ist,
wie es der echte Kritiker sein muß, empfänglich für die manigfaltigsten Formen »ud
Vorstellungen, sobald er nur innere Uebereinstimmung, schöpferische Kraft und künst¬
lerische Redlichkeit darin wahrnimmt. Aber der Kern seines Urtheils ist immer
die ehrenfeste deutsche Gesinnung. Und so glauben wir denn, daß das Buch einen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/390>, abgerufen am 05.02.2025.