Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.Interessen der Demokratie verfechten, soweit dies die Negierung und ihre wach¬ Daß Rußlands Bestrebungen wenigstens im Westen nicht ohne Folgen ge¬ Interessen der Demokratie verfechten, soweit dies die Negierung und ihre wach¬ Daß Rußlands Bestrebungen wenigstens im Westen nicht ohne Folgen ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0314" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97019"/> <p xml:id="ID_935" prev="#ID_934"> Interessen der Demokratie verfechten, soweit dies die Negierung und ihre wach¬<lb/> same Censur erlaubt, siud nicht nur beide für den Krieg, sondern vertreten auch<lb/> die Ansicht, England und Frankreich werden die Türkei nicht im Stiche lassen.<lb/> Am entschiedensten gegen die Russen spricht sich der Univers ans, das Jesuiten¬<lb/> blatt. Es erlaubt sich mehr deun die andern Journale, weil es eine mächtige<lb/> Partei hinter sich hat und es wagt den Spaß, mit Konsequenz für das katholische<lb/> Interesse gegen die russische Hetcrodoxie in die Schranken zu treten, weil es über¬<lb/> zeugt ist, daß die westlichen Mächte ihn nicht beim Worte nehmen werden. Die<lb/> demokratischen Journale sind für die Türkei, weil sie erstens hoffen, ein europäischer<lb/> Krieg müsse den liberalen Ideen zugute kommen und weil ihre anscheinende Un¬<lb/> terstützung der Regierung in diesem Punkte ihnen einigen, wenngleich geringen<lb/> Spielraum zur Opposition in anderer Beziehung offen läßt, und man muß es<lb/> gestehen, weil die öffentliche Meinung hier wie in ganz Deutschland anch ent¬<lb/> schieden ans Seite der Osmaulis steht. Aus diesem Zusammenstoße der verschie¬<lb/> densten Interessen geht nothwendigerweise ein Chaos hervor, das nicht wenig<lb/> durch die Widersprüche in den von allen Seiten ans uns einstürmenden Nachrich¬<lb/> ten vergrößert wird. Die Confusion ist eine greuliche, und wenn man nicht<lb/> gradezu von allem absieht, was man hier liest und hört, so kann man sich unmög¬<lb/> lich zurecht finden. Die Lage der Dinge ist an und für sich verwickelt genug<lb/> und es ist auch so schwer, einen leitenden Faden in diesem Labyrinthe von sich<lb/> gegenseitig aufhebenden Thatsachen zu entdecken. Die eigentliche Lösung ist jetzt<lb/> in den Händen der beiden Armeen und so sehr anch die Diplomatie bemüht ist,<lb/> den Ausbruch der Kriegsflammen durch den Wust ihrer Noten zu dämpfen, so<lb/> ist an ihren diesfällsiger Erfolg nicht mehr zu denken. Die Frage ist blos, ob<lb/> England und Frankreich wirklich so einig sind, als uns der Moniteur bisher ver¬<lb/> sichert, oder ob Frankreich nicht vielmehr in den Fall gesetzt ist, sich auf eine ein¬<lb/> seitige Thätigkeit vorzubereiten. Wohlgemerkt, wir glauben nicht, daß, wenn<lb/> Frankreich factisch zu Gunsten der Türkei mit den Waffen intervenirt, England<lb/> sich von ihm zurückziehen könne, allein wir glauben, daß der von uns schon be¬<lb/> rührte Zeitpunkt herangekommen, in welchem es sich für Frankreich darum handelt,<lb/> so entschieden vorwärts zu gehen, daß England kein Zweifel mehr über seine Ab¬<lb/> sichten bleiben dürfe. Der Kampf ist nämlich durch den schnellen Umschlag der<lb/> russischen Politik wieder hauptsächlich ein französisch-russischer geworden. Rußland<lb/> zeigt sich plötzlich bereit, Zugeständnisse zu machen, die zur Zeit den Ausbruch des<lb/> Krieges unmöglich gemacht hätten, und es wählt zu seinem Agenten den König<lb/> der Belgier, der seiner Stellung nach am meisten geeignet ist, England zu impo-<lb/> niren und dessen Intervention, Napoleons Empfindlichkeit reizend, diesen möglicher¬<lb/> weise zu einem falschen Schritte verleiten könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_936" next="#ID_937"> Daß Rußlands Bestrebungen wenigstens im Westen nicht ohne Folgen ge¬<lb/> blieben, beweist die Haltung der englischen und französischen Presse, insofern aus</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0314]
Interessen der Demokratie verfechten, soweit dies die Negierung und ihre wach¬
same Censur erlaubt, siud nicht nur beide für den Krieg, sondern vertreten auch
die Ansicht, England und Frankreich werden die Türkei nicht im Stiche lassen.
Am entschiedensten gegen die Russen spricht sich der Univers ans, das Jesuiten¬
blatt. Es erlaubt sich mehr deun die andern Journale, weil es eine mächtige
Partei hinter sich hat und es wagt den Spaß, mit Konsequenz für das katholische
Interesse gegen die russische Hetcrodoxie in die Schranken zu treten, weil es über¬
zeugt ist, daß die westlichen Mächte ihn nicht beim Worte nehmen werden. Die
demokratischen Journale sind für die Türkei, weil sie erstens hoffen, ein europäischer
Krieg müsse den liberalen Ideen zugute kommen und weil ihre anscheinende Un¬
terstützung der Regierung in diesem Punkte ihnen einigen, wenngleich geringen
Spielraum zur Opposition in anderer Beziehung offen läßt, und man muß es
gestehen, weil die öffentliche Meinung hier wie in ganz Deutschland anch ent¬
schieden ans Seite der Osmaulis steht. Aus diesem Zusammenstoße der verschie¬
densten Interessen geht nothwendigerweise ein Chaos hervor, das nicht wenig
durch die Widersprüche in den von allen Seiten ans uns einstürmenden Nachrich¬
ten vergrößert wird. Die Confusion ist eine greuliche, und wenn man nicht
gradezu von allem absieht, was man hier liest und hört, so kann man sich unmög¬
lich zurecht finden. Die Lage der Dinge ist an und für sich verwickelt genug
und es ist auch so schwer, einen leitenden Faden in diesem Labyrinthe von sich
gegenseitig aufhebenden Thatsachen zu entdecken. Die eigentliche Lösung ist jetzt
in den Händen der beiden Armeen und so sehr anch die Diplomatie bemüht ist,
den Ausbruch der Kriegsflammen durch den Wust ihrer Noten zu dämpfen, so
ist an ihren diesfällsiger Erfolg nicht mehr zu denken. Die Frage ist blos, ob
England und Frankreich wirklich so einig sind, als uns der Moniteur bisher ver¬
sichert, oder ob Frankreich nicht vielmehr in den Fall gesetzt ist, sich auf eine ein¬
seitige Thätigkeit vorzubereiten. Wohlgemerkt, wir glauben nicht, daß, wenn
Frankreich factisch zu Gunsten der Türkei mit den Waffen intervenirt, England
sich von ihm zurückziehen könne, allein wir glauben, daß der von uns schon be¬
rührte Zeitpunkt herangekommen, in welchem es sich für Frankreich darum handelt,
so entschieden vorwärts zu gehen, daß England kein Zweifel mehr über seine Ab¬
sichten bleiben dürfe. Der Kampf ist nämlich durch den schnellen Umschlag der
russischen Politik wieder hauptsächlich ein französisch-russischer geworden. Rußland
zeigt sich plötzlich bereit, Zugeständnisse zu machen, die zur Zeit den Ausbruch des
Krieges unmöglich gemacht hätten, und es wählt zu seinem Agenten den König
der Belgier, der seiner Stellung nach am meisten geeignet ist, England zu impo-
niren und dessen Intervention, Napoleons Empfindlichkeit reizend, diesen möglicher¬
weise zu einem falschen Schritte verleiten könnte.
Daß Rußlands Bestrebungen wenigstens im Westen nicht ohne Folgen ge¬
blieben, beweist die Haltung der englischen und französischen Presse, insofern aus
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