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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Staat hat sich mit ihnen eine schwere Last aufgebürdet, von der er sich nnr durch
das Begnadigungsrecht allmälig befreien kann.

'Als diese lebenslänglichen Züchtlinge den Znchthansdirectorcn immer lästiger
wurden, begann die große Umgestaltung des ganzen preußischen Gerichtswesens,
welche trotz der kurzen Zeit ihres Bestehens eine nicht erwartete Ueberfüllung der
Gefängnisse besonders herbeigeführt hat.

Seit der Einführung öffentlicher Ankläger in der Person der Staatsanwalte
kommen weit mehr Vergehen und Verbrechen zur richterlichen Kenntniß, weil diese
Beamte mit Eiser und Sorgfalt die Thatsachen sammeln und feststellen, welche
irgend eine Untersuchung begründen können. Wenn bei der Verfolgung politischer
Verbrecher ein blinder Eifer oft zuviel entdeckte, so wurde dnrch die Gerichte sel¬
ber die Ausgleichung bewirkt. Die vielfache und getheilte Thätigkeit der Gerichte
ließ sie früher uicht jene Erfolge erreiche", wie sie in der Thätigkeit der Staats¬
anwaltschaft so auffallend hervortritt.

Durch die Verwendung der Beweistheorie in dem jetzigen Verfahren, durch
die Einführung des AnklageprocesseS mit öffentlicher Verhandlung und Geschwor¬
nen hat die frühere Entbindung von der Instanz, die vorläufige Freisprechung
aufgehört, und während sonst gewandte Verbrecher dem strafenden Arm der Ne¬
mesis sich zu entwinden wußten, wenn die gesetzlichen Zeugen, die erforderlichen
Jndicien, das Eingeständnis) fehlte, ist ein solches Durchschlüpfen jetzt eine Sel¬
tenheit geworden.

Hat das neue Strafgesetz manche Strafen für Vergehen und Verbrechen
ermäßigt oder ganz fallen lasse" -- wir nennen unter andern die Verheimlichung
der Schoa"gerschast ""d Entbindung -- so sind andrerseits die Strafen für Ver¬
gehen und Verbrechen ans Eigennutz, insbesondere für Diebstahl, Betrug und
Meineid bedeutend geschärft worden, und da die meisten Verbrecher in diesem
Genre arbeiten, so liegt auf der Hand, daß die Zahl laugzeiligcr Züchtlmge sich
entsprechend vermehrt hat. Das frühere höchste Strafmaß beim ersten gewalt¬
samen Diebstahle ist von 3 Jahren auf 10 Jahre erhöht, die höchste Strafe der
Fälschung von 4 Jahren ans 10 Jahre, die des Meineides von 3 Jahre" ans
10 Jahre. Fügen wir "och hinzu, daß die Festungsstrafcompagnien z"r Auf¬
nahme von Landwehrmännern eingegauge" sind, ihr Ersatz ebenfalls den Zucbt-
hänsern zugeht, so wird man es erklärlich finden, daß jetzt Exspeclantenlisten wie
zum große" Avancement angelegt sind, "in die Aufnahme i" die Zuchthäuser zu
ermöglichen ""d daß mau jetzt Konnexionen haben muß, um dahin gelangen
zu könne".

Es entsteht deshalb schließlich die Frage, wenn das Niveau in der Ebbe
und Flut, eine beruhigende Ausgleichung zwischen ein- und abgehenden Gefange¬
nen wieder eintreten wird.

Die Strafen wegen Vergehen sollen gesetzlich in den Gefängnisse" und nicht


Staat hat sich mit ihnen eine schwere Last aufgebürdet, von der er sich nnr durch
das Begnadigungsrecht allmälig befreien kann.

'Als diese lebenslänglichen Züchtlinge den Znchthansdirectorcn immer lästiger
wurden, begann die große Umgestaltung des ganzen preußischen Gerichtswesens,
welche trotz der kurzen Zeit ihres Bestehens eine nicht erwartete Ueberfüllung der
Gefängnisse besonders herbeigeführt hat.

Seit der Einführung öffentlicher Ankläger in der Person der Staatsanwalte
kommen weit mehr Vergehen und Verbrechen zur richterlichen Kenntniß, weil diese
Beamte mit Eiser und Sorgfalt die Thatsachen sammeln und feststellen, welche
irgend eine Untersuchung begründen können. Wenn bei der Verfolgung politischer
Verbrecher ein blinder Eifer oft zuviel entdeckte, so wurde dnrch die Gerichte sel¬
ber die Ausgleichung bewirkt. Die vielfache und getheilte Thätigkeit der Gerichte
ließ sie früher uicht jene Erfolge erreiche», wie sie in der Thätigkeit der Staats¬
anwaltschaft so auffallend hervortritt.

Durch die Verwendung der Beweistheorie in dem jetzigen Verfahren, durch
die Einführung des AnklageprocesseS mit öffentlicher Verhandlung und Geschwor¬
nen hat die frühere Entbindung von der Instanz, die vorläufige Freisprechung
aufgehört, und während sonst gewandte Verbrecher dem strafenden Arm der Ne¬
mesis sich zu entwinden wußten, wenn die gesetzlichen Zeugen, die erforderlichen
Jndicien, das Eingeständnis) fehlte, ist ein solches Durchschlüpfen jetzt eine Sel¬
tenheit geworden.

Hat das neue Strafgesetz manche Strafen für Vergehen und Verbrechen
ermäßigt oder ganz fallen lasse» — wir nennen unter andern die Verheimlichung
der Schoa»gerschast »»d Entbindung — so sind andrerseits die Strafen für Ver¬
gehen und Verbrechen ans Eigennutz, insbesondere für Diebstahl, Betrug und
Meineid bedeutend geschärft worden, und da die meisten Verbrecher in diesem
Genre arbeiten, so liegt auf der Hand, daß die Zahl laugzeiligcr Züchtlmge sich
entsprechend vermehrt hat. Das frühere höchste Strafmaß beim ersten gewalt¬
samen Diebstahle ist von 3 Jahren auf 10 Jahre erhöht, die höchste Strafe der
Fälschung von 4 Jahren ans 10 Jahre, die des Meineides von 3 Jahre» ans
10 Jahre. Fügen wir »och hinzu, daß die Festungsstrafcompagnien z»r Auf¬
nahme von Landwehrmännern eingegauge» sind, ihr Ersatz ebenfalls den Zucbt-
hänsern zugeht, so wird man es erklärlich finden, daß jetzt Exspeclantenlisten wie
zum große» Avancement angelegt sind, »in die Aufnahme i» die Zuchthäuser zu
ermöglichen »»d daß mau jetzt Konnexionen haben muß, um dahin gelangen
zu könne».

Es entsteht deshalb schließlich die Frage, wenn das Niveau in der Ebbe
und Flut, eine beruhigende Ausgleichung zwischen ein- und abgehenden Gefange¬
nen wieder eintreten wird.

Die Strafen wegen Vergehen sollen gesetzlich in den Gefängnisse» und nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/300>, abgerufen am 05.02.2025.