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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Redacteur Friedrich Abt gilt, einen -- Breierschen Roman, "der Kongreß zu
Wien" und macht damit -- vielleicht sehr eontrs coeur, aber nothgedrungen
-- eine Concession dem Geschmack des Wiener Publicums, und selbst dem Ge¬
schmack des Publicums, welches vorzugsweise die Ostdeutsche Post liest: denn
man muß wissen, daß Herr Breier, der Wiener Eugene Sue, nicht blos von den
Köchinnen und Schneidermamsells, sondern bis in die höchsten Regionen hinauf
mit Begierde gelesen wird.

Der Wiener Lloyd hat nicht mehr soviel Abonnenten wie früher, aber
immer noch mehr, als Post und Wanderer. Man liest ihn > nicht eben wegen
seines Feuilletons, in dem die Redactrice, Frau oder Fräulein Betty Paoli, Be¬
sprechungen von ihrem Standpunkte über Bnrgthcateraufführuugen, Ausstellun¬
gen des Wiener Kunstvereins und diejenigen literarischen Novitäten, welche ihr
zu diesem Zwecke eingesandt werden, zu liefern pflegt, in denen gar curiose Ur¬
theile zu Tage gefördert werden; die Mehrzahl seiner Leser, namentlich unter
der Kaufmanns- -- Wienerisch-Großhandluugs - -- und Börsen-Welt, verdankt
der Lloyd, dessen Benennung noch ans seiner frühern Triester Periode stammt,
den Leitartikeln des Herrn Warreus, die durch ihre Klarheit, ihr gesundes, stets
den Nagel ans den Kopf treffendes Urtheil und durch ihre fast niemals politischen
Theorien, sondern stets praktischen Fragen geltende Tendenz, sich in allen intel¬
ligenten Kreisen eine wohlverdiente Anerkennung erworben haben. Herr Warrens
hat überdies durch eine glückliche Wendung, die er binnen verhältnismäßig kurzer
Zeit seinen früher keineswegs glänzenden Vermögnngsverhältnissen zu geben gewußt
hat, den Beweis geliefert, daß seine Ansichten von der Lage der Dinge, sein
Urtheil über politische Konstellationen und seine Kenntniß von dem, was in den
höhern Regionen im Werke und geeignet ist, auf den Geldmarkt, auf die Börse
Einfluß zu üben, von mehr als blos relativem literarischen Werthe sind, wenn
man, wie er, das Talent besitzt, praktischen Nutzen daraus zu ziehen.

Der Wanderer des Herrn von Seyfried hat, wenn ich recht vermuthe, von
diesen drei Zeitungen die Minderzahl der Leser. Weder der politische Theil,
noch daß Feuilleton sind von der Art, daß sie die Neugierde des Lesers reizen
könnten. Oder wäre es vielleicht die Rubrik: "Theaternachrichten von gestern",
in welcher der Redacteur zwar niemals eine eigentliche Kritik, aber alltäglich,
namentlich über Oper, Ballet und Concerte, eine gewissenhafte Aufzählung der
Hervorrufe und ü-z, e-ipo's, der in Aussicht stehenden Gastspiele, der Beurlau¬
bungen, Kunstreisen, Heiserkeiten, kurz aller jener kleinen öffentlichen Conlissen-
geheimnisse gibt, mit denen doch wol mir dem für die betreffenden Persönlich¬
keiten speciell sich interessirenden Theaterenthusiasten gedient sein kann, die aber
in einer großen politischen Zeitung kaum am Platze sind.

Allen diesen drei Zeitungen ist ein Uebelstand gemeinsam. Ihnen fehlt ein
hauptsächliches Erfordernis; zur frischen Lebensfähigkeit: die Annoncen. Eine


Redacteur Friedrich Abt gilt, einen — Breierschen Roman, „der Kongreß zu
Wien" und macht damit — vielleicht sehr eontrs coeur, aber nothgedrungen
— eine Concession dem Geschmack des Wiener Publicums, und selbst dem Ge¬
schmack des Publicums, welches vorzugsweise die Ostdeutsche Post liest: denn
man muß wissen, daß Herr Breier, der Wiener Eugene Sue, nicht blos von den
Köchinnen und Schneidermamsells, sondern bis in die höchsten Regionen hinauf
mit Begierde gelesen wird.

Der Wiener Lloyd hat nicht mehr soviel Abonnenten wie früher, aber
immer noch mehr, als Post und Wanderer. Man liest ihn > nicht eben wegen
seines Feuilletons, in dem die Redactrice, Frau oder Fräulein Betty Paoli, Be¬
sprechungen von ihrem Standpunkte über Bnrgthcateraufführuugen, Ausstellun¬
gen des Wiener Kunstvereins und diejenigen literarischen Novitäten, welche ihr
zu diesem Zwecke eingesandt werden, zu liefern pflegt, in denen gar curiose Ur¬
theile zu Tage gefördert werden; die Mehrzahl seiner Leser, namentlich unter
der Kaufmanns- — Wienerisch-Großhandluugs - — und Börsen-Welt, verdankt
der Lloyd, dessen Benennung noch ans seiner frühern Triester Periode stammt,
den Leitartikeln des Herrn Warreus, die durch ihre Klarheit, ihr gesundes, stets
den Nagel ans den Kopf treffendes Urtheil und durch ihre fast niemals politischen
Theorien, sondern stets praktischen Fragen geltende Tendenz, sich in allen intel¬
ligenten Kreisen eine wohlverdiente Anerkennung erworben haben. Herr Warrens
hat überdies durch eine glückliche Wendung, die er binnen verhältnismäßig kurzer
Zeit seinen früher keineswegs glänzenden Vermögnngsverhältnissen zu geben gewußt
hat, den Beweis geliefert, daß seine Ansichten von der Lage der Dinge, sein
Urtheil über politische Konstellationen und seine Kenntniß von dem, was in den
höhern Regionen im Werke und geeignet ist, auf den Geldmarkt, auf die Börse
Einfluß zu üben, von mehr als blos relativem literarischen Werthe sind, wenn
man, wie er, das Talent besitzt, praktischen Nutzen daraus zu ziehen.

Der Wanderer des Herrn von Seyfried hat, wenn ich recht vermuthe, von
diesen drei Zeitungen die Minderzahl der Leser. Weder der politische Theil,
noch daß Feuilleton sind von der Art, daß sie die Neugierde des Lesers reizen
könnten. Oder wäre es vielleicht die Rubrik: „Theaternachrichten von gestern",
in welcher der Redacteur zwar niemals eine eigentliche Kritik, aber alltäglich,
namentlich über Oper, Ballet und Concerte, eine gewissenhafte Aufzählung der
Hervorrufe und ü-z, e-ipo's, der in Aussicht stehenden Gastspiele, der Beurlau¬
bungen, Kunstreisen, Heiserkeiten, kurz aller jener kleinen öffentlichen Conlissen-
geheimnisse gibt, mit denen doch wol mir dem für die betreffenden Persönlich¬
keiten speciell sich interessirenden Theaterenthusiasten gedient sein kann, die aber
in einer großen politischen Zeitung kaum am Platze sind.

Allen diesen drei Zeitungen ist ein Uebelstand gemeinsam. Ihnen fehlt ein
hauptsächliches Erfordernis; zur frischen Lebensfähigkeit: die Annoncen. Eine


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[0218] Redacteur Friedrich Abt gilt, einen — Breierschen Roman, „der Kongreß zu Wien" und macht damit — vielleicht sehr eontrs coeur, aber nothgedrungen — eine Concession dem Geschmack des Wiener Publicums, und selbst dem Ge¬ schmack des Publicums, welches vorzugsweise die Ostdeutsche Post liest: denn man muß wissen, daß Herr Breier, der Wiener Eugene Sue, nicht blos von den Köchinnen und Schneidermamsells, sondern bis in die höchsten Regionen hinauf mit Begierde gelesen wird. Der Wiener Lloyd hat nicht mehr soviel Abonnenten wie früher, aber immer noch mehr, als Post und Wanderer. Man liest ihn > nicht eben wegen seines Feuilletons, in dem die Redactrice, Frau oder Fräulein Betty Paoli, Be¬ sprechungen von ihrem Standpunkte über Bnrgthcateraufführuugen, Ausstellun¬ gen des Wiener Kunstvereins und diejenigen literarischen Novitäten, welche ihr zu diesem Zwecke eingesandt werden, zu liefern pflegt, in denen gar curiose Ur¬ theile zu Tage gefördert werden; die Mehrzahl seiner Leser, namentlich unter der Kaufmanns- — Wienerisch-Großhandluugs - — und Börsen-Welt, verdankt der Lloyd, dessen Benennung noch ans seiner frühern Triester Periode stammt, den Leitartikeln des Herrn Warreus, die durch ihre Klarheit, ihr gesundes, stets den Nagel ans den Kopf treffendes Urtheil und durch ihre fast niemals politischen Theorien, sondern stets praktischen Fragen geltende Tendenz, sich in allen intel¬ ligenten Kreisen eine wohlverdiente Anerkennung erworben haben. Herr Warrens hat überdies durch eine glückliche Wendung, die er binnen verhältnismäßig kurzer Zeit seinen früher keineswegs glänzenden Vermögnngsverhältnissen zu geben gewußt hat, den Beweis geliefert, daß seine Ansichten von der Lage der Dinge, sein Urtheil über politische Konstellationen und seine Kenntniß von dem, was in den höhern Regionen im Werke und geeignet ist, auf den Geldmarkt, auf die Börse Einfluß zu üben, von mehr als blos relativem literarischen Werthe sind, wenn man, wie er, das Talent besitzt, praktischen Nutzen daraus zu ziehen. Der Wanderer des Herrn von Seyfried hat, wenn ich recht vermuthe, von diesen drei Zeitungen die Minderzahl der Leser. Weder der politische Theil, noch daß Feuilleton sind von der Art, daß sie die Neugierde des Lesers reizen könnten. Oder wäre es vielleicht die Rubrik: „Theaternachrichten von gestern", in welcher der Redacteur zwar niemals eine eigentliche Kritik, aber alltäglich, namentlich über Oper, Ballet und Concerte, eine gewissenhafte Aufzählung der Hervorrufe und ü-z, e-ipo's, der in Aussicht stehenden Gastspiele, der Beurlau¬ bungen, Kunstreisen, Heiserkeiten, kurz aller jener kleinen öffentlichen Conlissen- geheimnisse gibt, mit denen doch wol mir dem für die betreffenden Persönlich¬ keiten speciell sich interessirenden Theaterenthusiasten gedient sein kann, die aber in einer großen politischen Zeitung kaum am Platze sind. Allen diesen drei Zeitungen ist ein Uebelstand gemeinsam. Ihnen fehlt ein hauptsächliches Erfordernis; zur frischen Lebensfähigkeit: die Annoncen. Eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/218>, abgerufen am 06.02.2025.