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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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kann komme", daß nun lange Zeit diese Studien darnieder liegen, bevor das
wühlende öffentliche Geräusch ihnen wieder Raum gestatten wird; sie müssen uns
dann wie ein edler und milder Traum hinter uns stehender Jugend gemuthcn,
wenn aus Ohr der Wachenden ein roher Wahn schlägt, alle unsere Geschichte
von Arminins an sei als unnütz der Vergessenheit zu übergeben und blos am
eingebildeten Recht der kurzen Spanne unserer Zeit mit dem heftigsten Anspruch
zu hänge";" -- so ist eine solche Verirrung des politischen Strebens, und das
ist keiner der geringsten Erfolge jener Zeit, jetzt vollständig überwunden. Es
gibt keine Partei in Deutschland mehr, die einem flachen, weltbürgerlichen
Liberalismus die Eigenthümlichkeiten des deutschen Lebens und der deutschen
Geschichte opfern mochte, und die Demokraten wetteifern mit den Constitutionellen
und Absolutisten, sich in den Strom des vaterländischen geschichtlichen Lebens zu
vertiefen, von dem uns kein Sturm von außen mehr hinwegwehen soll. Und
wie die Wissenschaft überall Hand in Hand geht mit den vernehmlichen Aeußer¬
ungen der allgemeinen Gesinnung und Thätigkeit, so ist anch jetzt vorauszusehen,
daß die germanistischen Studien, deren großer Begründer I. Grimm gewesen ist,
grade wie nach der französischen Schreckensherrschaft, einen neuen Aufschwung
nehmen, und befruchtend auf alle weiteren historischen Untersuchungen, auf unsere
Kunst und unsere Sittlichkeit einwirken werden. Gervinus, den man von Seiten
unserer Absolutisten und Demokraten jetzt, einiger nicht mit der gewöhnliche"
Schärfe hingestellten Wendnnge" wege", gern zu el"em Vertreter der unhistorischen
Fortbewegung stempeln möchte, hat in der neuesten Ausgabe seiner "Geschichte
der deutschen Dichtung" mit der ungebrochenen sittlichen Stärke deutschen National-
gefühls und mit neuen, sehr reichhaltigen Forschungen in unser geschichtliches
Leben zurückgegriffen; und wen" mau sich in Berlin, obgleich nach langem
Zögern, entschlossen hat, an Lachmann, des Unvergeßlichen, Stelle den einzigen
Gelehrten zu berufen, der in dem Geist der strengen Methode dieses großen
Kritikers in der deutschen und classische" Philologie fortwirken konnte, Moritz
Haupt, trotz aller politische" Bedenken, die mau geschäftig war, dagegen anzu¬
regen, so ist dies immerhin ein Zeichen, daß mau auch in jenen Regionen ent¬
schlossen ist, die deutsche Wissenschaft, die für die Ewigkeit schafft, den kleinlichen
Rücksichten des Moments nicht zu opfern. So erkenne" wir anch in der drücken¬
den Atmosphäre unserer heutige" Zustände noch immer einzelne Spuren, ans
denen wir das Dämmern einer bessern Zeit empfinden dürfen. Um dieser bessern
Zukunft eine sichere Grundlage zu bereite", ist, da die Poesie uns völlig im
Stich gelassen hat, nichts so berufen, als die deutsche Wissenschaft, und wir
nehme" es als ein schönes Symbol, daß ein großes Werk, welches mit seiner
Gründung in die Zeit fällt, wo mau uach sausculottischer, zerfahrener nngeschicht-
licher Freiheit strebte, jetzt zum zweiten Mal ans Licht tritt, wo man sich in
ebenso ungeschichtlichen, ""deutsche", inhaltlosen "conservativen" Tendenzen bewegt.


kann komme», daß nun lange Zeit diese Studien darnieder liegen, bevor das
wühlende öffentliche Geräusch ihnen wieder Raum gestatten wird; sie müssen uns
dann wie ein edler und milder Traum hinter uns stehender Jugend gemuthcn,
wenn aus Ohr der Wachenden ein roher Wahn schlägt, alle unsere Geschichte
von Arminins an sei als unnütz der Vergessenheit zu übergeben und blos am
eingebildeten Recht der kurzen Spanne unserer Zeit mit dem heftigsten Anspruch
zu hänge»;" — so ist eine solche Verirrung des politischen Strebens, und das
ist keiner der geringsten Erfolge jener Zeit, jetzt vollständig überwunden. Es
gibt keine Partei in Deutschland mehr, die einem flachen, weltbürgerlichen
Liberalismus die Eigenthümlichkeiten des deutschen Lebens und der deutschen
Geschichte opfern mochte, und die Demokraten wetteifern mit den Constitutionellen
und Absolutisten, sich in den Strom des vaterländischen geschichtlichen Lebens zu
vertiefen, von dem uns kein Sturm von außen mehr hinwegwehen soll. Und
wie die Wissenschaft überall Hand in Hand geht mit den vernehmlichen Aeußer¬
ungen der allgemeinen Gesinnung und Thätigkeit, so ist anch jetzt vorauszusehen,
daß die germanistischen Studien, deren großer Begründer I. Grimm gewesen ist,
grade wie nach der französischen Schreckensherrschaft, einen neuen Aufschwung
nehmen, und befruchtend auf alle weiteren historischen Untersuchungen, auf unsere
Kunst und unsere Sittlichkeit einwirken werden. Gervinus, den man von Seiten
unserer Absolutisten und Demokraten jetzt, einiger nicht mit der gewöhnliche»
Schärfe hingestellten Wendnnge» wege», gern zu el»em Vertreter der unhistorischen
Fortbewegung stempeln möchte, hat in der neuesten Ausgabe seiner „Geschichte
der deutschen Dichtung" mit der ungebrochenen sittlichen Stärke deutschen National-
gefühls und mit neuen, sehr reichhaltigen Forschungen in unser geschichtliches
Leben zurückgegriffen; und wen» mau sich in Berlin, obgleich nach langem
Zögern, entschlossen hat, an Lachmann, des Unvergeßlichen, Stelle den einzigen
Gelehrten zu berufen, der in dem Geist der strengen Methode dieses großen
Kritikers in der deutschen und classische» Philologie fortwirken konnte, Moritz
Haupt, trotz aller politische» Bedenken, die mau geschäftig war, dagegen anzu¬
regen, so ist dies immerhin ein Zeichen, daß mau auch in jenen Regionen ent¬
schlossen ist, die deutsche Wissenschaft, die für die Ewigkeit schafft, den kleinlichen
Rücksichten des Moments nicht zu opfern. So erkenne» wir anch in der drücken¬
den Atmosphäre unserer heutige» Zustände noch immer einzelne Spuren, ans
denen wir das Dämmern einer bessern Zeit empfinden dürfen. Um dieser bessern
Zukunft eine sichere Grundlage zu bereite», ist, da die Poesie uns völlig im
Stich gelassen hat, nichts so berufen, als die deutsche Wissenschaft, und wir
nehme» es als ein schönes Symbol, daß ein großes Werk, welches mit seiner
Gründung in die Zeit fällt, wo mau uach sausculottischer, zerfahrener nngeschicht-
licher Freiheit strebte, jetzt zum zweiten Mal ans Licht tritt, wo man sich in
ebenso ungeschichtlichen, «»deutsche», inhaltlosen „conservativen" Tendenzen bewegt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/210>, abgerufen am 05.02.2025.